107 – Die konstruktive Ökologie

Friedrich Merz hat sich auf dem Zukunftskongress der CDU am 27. April zu einer Haltung des Zukunfts-Konstruktivismus bekannt. Ein Denken und Handeln in Möglichkeiten. Er hat vor der sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung des Pessimismus gewarnt und einen Perspektivenwechsel eingefordert. Wenn man die ökologische Debatte als reine Verzichts-, Verbots- und Verlust-Debatte führt, so Merz, kommt man nicht weiter. In der Klimadebatte geht es darum, die POTENTIALE der Energiewende neu zu bewerten. Die bereits errungenen Erfolge zu würdigen, wahr-zunehmen und zu verstärken. Ökologie und Ökonomie endlich zu vereinen. Von den Lösungen her zu denken anstatt nur über Probleme zu lamentieren.
Das finde ich wunderbar. Ich freue mich sehr über die Resonanz und das Zitieren.


Ausschnitt aus der Rede von Friedrich Merz am CDU-Zukunftskongress, 27. April 2023, Berlin
Quelle: youtube.com

Das fossile Denken (und Fühlen)

Warum tun wir uns, als Individuen und Gesellschaft, so schwer, uns gemeinsam in eine Richtung zu bewegen, über die wir uns im Grunde einig sind? Also in Richtung einer dekarbonisierten, vom Fluch der Kohlenwasserstoffe befreiten Wirtschaft und Gesellschaft?
Vielleicht ist das wirklich eine Identitätsfrage.

Wir alle sind Kinder des BIG BOOM, des gewaltigen Wohlstandsaufstiegs, der mit dem Ende des letzten großen Krieges einsetzte. Das „fossile System“, die Logik der Verbrennung und Extrahierung und Vernichtung von Rohstoffen, hat unsere inneren Selbstbilder, unseren Freiheitshorizont, ja unsere IDENTITÄTEN geprägt. Wer mit dem Aufstieg des Verbrennungs-Automobils in den 60er Jahren groß geworden ist, dessen inneres Sein ist sozusagen mit dem Benzin (oder Diesel) verheiratet. Autos sind so etwas wie Weltbewältigungs-Maschinen. Sie sind mit Gefühlen von Kontrolle, Freiheit, Status, Selbstwert, Komfort und (vor allem bei Männern) Machtgewinn verbunden. Autos müssen dröhnen, zittern, röhren, jedenfalls bei den Jüngeren. Und sie müssen jedes Jahr, oder alle zwei Jahre, mehr PS, mehr Komfort, mehr WUMMS auf die Räder bringen. Das kann Lebenssinn erzeugen. Und eine große Frustration, wenn es irgendwann als Lebenssinn nicht mehr funktioniert.

Wer seit seiner frühen Jugend den Geschmack von viel Schweinefleisch als Geborgenheit und Sättigung erlebt hat, als körperliche Beruhigung im Chaos der Welt, der wird dauerhaft an Gewicht zulegen. Und er wird dieses Sättigungs-Gefühl, diese segensreiche Tröstung, verteidigen. Gegen all die unheimlichen dünnen, nervösen unheimlichen VeganerInnen aus den Großstädten. Und gegen die fade Ersatzwurst, die die „Ökos“ zu sich nehmen.

So ist aus der Klimafrage eine Art Identitarismus geworden, der von beiden Seiten auf einer hochsymbolischen Ebene geführt wird. Wir erschöpfen uns in Kulturkämpfen um Wurstessen, Recht auf Schnitzel und die Freiheit, dumme Männerwitze zu machen. Dagegen rennt ein Hypermoralismus des Ökologischen an, der uns auch nicht weiterbringt. Eins schaukelt das andere hoch. Aus dieser Negativ-Spirale herauszukommen wäre eine Befreiung der Zukunft vom Joch der Hoffnungslosigkeit.

Dazu wäre die Vor-Stellung hilfreich, dass es jenseits des Verbrennungsprinzips einen anderen, eben einen BESSEREN Wohlstand geben kann als den fossilen, überhitzten. Einen Fortschritt, der nicht nur unsere Energieformen, sondern auch das Zusammenleben, die Kommunikations-formen, Zeit-Ökonomien und Gesundheits-Potentiale betrifft. Diese Vision einer postfossilen Gesellschaft ist viel weiterverbreitet als wir glauben. Und zwar quer zu allen politischen Lagern, in so gut wie allen Milieus.

Es ist verständlich, dass Menschen, die ihre Lage als unsicher empfinden, weil sie in eine vergifteten oder im Niedergang befindlichen Welt zu leben glauben oder einfach das Gefühl haben, ihre Autonomie und Souveränität zu verlieren, die Forderung erheben, die Kontrolle über ihre Umwelt zurückzugewinnen.
Der französische Soziologe Gérald Bronner

Allerdings gibt es ein kleines – sorry – Problem in der Praxis. Die CDU – jedenfalls viele ihrer Mitglieder in Ländern, Gemeinden, Medien – handeln häufig in die entgegengesetzte Richtung. Immer wenn sich Lösungen in Richtung Dekarbonisierung, abzeichnen, wird eine irrwitziger polemischer Aufwand getrieben, um genau das zu verhindern.

  • Branchen, die sich ökonomisch bewährt haben wie Kohle, Luftfahrt, Automobil – werden in einer bestimmten Weise fetischisiert. Es ist so gut wie unmöglich, in Deutschland eine ernsthafte Mobilitätsdebatte zu führen, ohne in bizarr unproduktive Verbotsdebatten zu geraten.
  • Man betreibt einen aggressiven Feindbildaufbau gegen als „Kulturgegner“ markierte Personen. Robert Habeck, der marktwirtschaftlichste Grüne, wurde immer weiter in eine marktfeindliche Ecke geschoben, in die er wahrhaftig nicht hingehört (während die CDU gleichzeitig in mehr und mehr Bundesländern mit den Grünen koaliert).
  • Dazu kommt ein Ausspielen der sozialen gegen die ökologische Frage. Das „Mitnehmen“ der „Kleinen Leute“ bedeutet in den meisten Fällen: Was nicht sofort superbillig ist, wird als sozialer Skandal gebrandmarkt. An anderer Stelle wissen Konservative sehr genau, dass Preise schnell fallen, wenn die Nachfrage steigt und die Wirtschaft reagiert.
  • Und schließlich ist da die Polemisierung von Lebensstil-Veränderungen als hysterisierte Gefahr. Beispielhaft Markus Söders (nicht direkt CDU, aber eben doch) Geschichte von den grünen Insektenburgern, die „die Leute demnächst alle essen müssen“.
    Klar, war ja nur ein kleiner Scherz. Aber es wirkt eben sehr ins Destruktive.

Dabei war die CDU schon viel weiter. In den 90er Jahren stellte sie die ersten aktiven Umweltminister, nach vielen Debatten unterstützten sie die Schwulenrechte, und die Frauen in der CDU setzten letztlich die Erweiterung der Kinderbetreuung durch. Wo die Konservativen den Weg der politischen Integration gingen, sich gesellschaftlichen Wandlungsprozessen öffneten und sie moderierten, konnten sie Protest in Mäßigung und Verantwortung umformen. In ihren guten Zeiten konnten sie Technikwahn von Technikanwendung unterscheiden und ökonomistischen Exzessen einen zivilgesellschaftlichen Gegenentwurf entgegensetzen.
Wo das nicht gelang, zerfielen sie. Oder wurden vom Populismus zerrieben.

Genuss ist die letzte Instanz
Verwöhntheit der Lebensmodus.
Quengelei ein legitimes Stilmittel.
Wut die latente Drohung.
Bernd Ulrich, die ZEIT, Verschärfte Welt, ZEITmagazin 31/22

Die Ökologie des Wandels

Um in Richtung Zukunft klüger zu werden gilt es, den Unterschied zwischen Optimismus und Zuversicht zu verstehen.
Optimismus kann eine Fassade sein, hinter der sich Wandelfeindlichkeit verbirgt. Optimismus ist eine Form der passiven Erwartung: Alles wird schon gut werden, wenn wir dran glauben.

Zuversicht – oder „Possibilismus“, also das Denken in konstruktiven Möglichkeiten – handelt hingegen von der Gewissheit, dass wir gemeinsame Lösungen finden können. Zuversicht nimmt uns selbst in die Verantwortung. Begleitet uns sozusagen in den Möglichkeitsraum, in dem wir mündig Handelnde werden können.
Das ist, so wie ich es verstanden habe, das Menschenbild der CDU.

In den Lösungen der Zukunft werden immer auch Begrenzungen eine Rolle spielen. Und ja doch, auch Verbote. Zivilisation ist nichts anderes als eine Ordnungs-Entwicklung, die manches ausschließt. In Gesetzen, Regeln und Regulierungen ebenso wie in Marktanregungen. Gerade eine Ordnungspartei wie die CDU sollte das wissen. Und weiß es natürlich auch. Aber vergisst es manchmal gerne.

Auch Verzicht ist im konservativen Weltbild nicht per se etwas Negatives. Exzesse einzudämmen kann zu neuen Freiheiten führen. Ein Verzicht auf das pure MEHR ebnet den Weg zum BESSEREN.

Ich habe eine Ver-mutung (mit Bindestrich geschrieben): Nach einer Zeit der ständigen Polarisierung, die die Demokratie an den Rand ihrer Fähigkeiten gebracht hat, beginnt jetzt eine neue Phase, in der man mit Konstruktivität wieder Mehrheiten gewinnen kann. Viele, sehr viele Menschen haben die Ebene des politischen Streites á la BILD und Anne Will satt. Sie sehnen sich nach einem echten Zukunftsdiskurs, der Win-Win-Prozesse definiert und die fossilen Spaltungen überwindet.

Dazu gehört Jammerverzicht, Kooperationsbereitschaft mit allen gesellschaftlichen Gruppen, und eine zurückhaltende Weisheit. Vielleicht sehnen wir uns deshalb manchmal nach Angela Merkel. Zukunft ist eine Entscheidung. Ich bin dankbar, dass Friedrich Merz das tief und ganz verstanden hat. Und ich wünsche ihm viel Glück und Gelassenheit bei dieser Aufgabe.

“Any intelligent fool can make things bigger, more complicated, and more violent. It takes a touch of genius – and a lot of courage – to move in the opposite direction.”
Ernst Friedrich Schumacher, deutsch-amerikanischer Nationalökonom