129 – Der Weg in die Metamoderne

Versuch über den Zeit- und Weltgeist und die Zivilisation der Zukunft.

Wie geht es weiter, mit der Welt, mit der Zukunft? Fragen Sie Hanzi Freinacht, einen ausgemachten Weltendeuter.

Daniel Görtz und Emil Ejner Friis alias Hanzi Freinacht gehören zu den interessantesten Vordenkern der Jetztzeit.

Hanzi Freinacht hat einen imposanten Bart und einen coolen Glanz in all seinen Gesten und Aktionen. Sein Stil ist elegant und immer auch ein bisschen ironisch. Er hat etwas Aristokratisches, oder sagen wir: Post-Aristokratisches.
Hanzi Freinacht ist ein Privatgelehrter unserer Zeit. Er lebt hoch in den Bergen Mitteleuropas, womöglich in der Schweiz, wo er ausgiebige Spaziergänge in der Natur macht. Er lebt in freiwilliger Enklave, ist aber verbunden mit vielen Andersdenkern, Aktivisten und Zukunfts-Geistern dieser Welt. Ein intellektueller Alm-Öhi, der konservativ und progressiv zugleich ist.

Es wird Sie womöglich nicht überraschen, dass Hanzi Freinacht nicht existiert. Freinacht ist eine künstliche Figur, die auf eine gewisse Art trotzdem sehr real ist. Er wurde von zwei jungen soziologischen Philosophen (oder philosophischen Soziologen) aus Schweden und Dänemark erfunden. Sie heißen Daniel Görtz und Emil Ejner Friis, und sind nicht die einzigen, aber die derzeit bekanntesten Vertreter einer neuen Denkweise, von der wir in Zukunft noch viel hören werden: Dem Metamodernismus.

What the fuck ist METAMODERN?

„Bitte nein!“, – könnte man jetzt schreckhaft ausrufen. Nicht schon wieder eine von diesen Super-Theorien, mit denen wir seit Jahr und Tag aus den Hochburgen des Intellektualismus belästigt werden!
Ich bitte um etwas Geduld. Vielleicht bietet sich hier tatsächlich eine Gelegenheit, unser Welt-Bild, die Art und Weise, wie wir über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft denken, mit einer konkreten Philosophie zu vermitteln. Die dänische Futuristin Lene Rachel Anderson schreibt in ihrem Buch Metamodernity – Meaning and Hope in a Complex World:

„Die Metamoderne bietet uns einen Rahmen, um uns selbst und unsere Gesellschaften auf eine viel komplexere Art und Weise zu verstehen. Sie ist eine Möglichkeit, das lokale, nationale, kontinentale und globale kulturelle Erbe zu stärken. Sie enthält sowohl indigene als auch vormoderne, moderne und postmoderne kulturelle Elemente und bietet somit gleichzeitig soziale Normen und ein moralisches Gefüge für Intimität, Spiritualität, Religion, Wissenschaft UND Selbsterforschung.“

Ganz schön hoher Anspruch, oder?
Aber fangen wir von vorne an. Mit einer Begriffsklärung.

Woran denken Sie, wenn Sie „Moderne“ hören? An skandinavische Möbel vielleicht. Den Grand-Comfort-Sessel von Corbusier oder die Bauhaus-Architektur. Wie wäre es mit abstrakter Kunst, modernen Einbauküchen, Astronauten-Anzügen oder Flugzeugen, die „pfeilschnell“ und silbern durch die Luft fliegen, mit immer fröhlichen und glücklichen Passagieren an Bord (kann sich noch jemand an die Concorde erinnern –, ein Flugzeug, das wie nichts anderes die Neue Zeit repräsentierte, bevor sie verschrottet wurde?)?
Die Moderne ist die Zeit, das Lebensgefühl unserer Kindheit, in den Jahrzehnten, bevor alles kompliziert wurde. Als alles immer geradeaus lief, und irgendwie immer besser wurde. Werden musste. Ging gar nicht anders.

Man kann die Metamoderne als eine Art Bewuss­tseins­mutation begreifen. Wir fangen an, die Welt neu zu begreifen, indem wir sie aus den Bruchstücken der vergangenen Zukünfte neu zusammensetzen.

Die Moderne war eine Zeit, in der alles zusammenpasste – im Sinne eines euphorischen Fortschrittsgedankens, der die Zukunft mit SINN erfüllte. Ein ständiger Strom von Innovationen, Sensationen, Neuigkeiten veränderte die Welt zum Besseren, Komfortableren. Das Neue war immer sensationell, und ausschließlich positiv: Modern waren Supermärkte, Autobahnen, Strukturen aus Beton. Computer, Roboter, all das, was man uns auch heute noch als Zukunft verkauft, und vor dem es kein Entrinnen gibt. Modern waren Kleinfamilien, Autos mit immer mehr „Pferdestärken“, alles, was die Welt beschleunigen konnte, einschließlich Öl, Kohle, Gas (man spricht auch von der „fossilen Moderne“).

Die „Moderne“, wie man diese Episode nennt, hat die letzten 200 Jahre der menschlichen Geschichte tiefgreifend geprägt. Und zwar weit über jenen Kulturkreis hinaus, den wir „den Westen“ nannten.
Typische Grund-Ideen der Moderne waren oder sind:

  • Die Wissenschaft ist objektiv und gestaltet die Zukunft.
  • Fortschritt und Entwicklung gehen immer schneller immerzu weiter.
  • Vernunft bringt alle Menschen zusammen; Demokratie verwandelt die Welt überall zum Besseren.
  • Freiheit ist der allerwichtigste Wert, wenn er verwirklicht wird, ist alles gut (es gab auch eine kommunistische Moderne, in der alles anders war – eine Art spiegelverkehrte Moderne, die schnell an sich selbst scheiterte).
  • Die Menschen können, müssen die Natur beherrschen und formen.

Was die Moderne vor allem auszeichnete war, dass sie als Erwartungs- und Lebensgefühl konsistent und konsequent war. Die Moderne, verbunden mit den Produktionsweisen des Industrialismus (in Ost und West), vereinte die Gesellschaft in einer eschatologischen Erwartungshaltung. Jenseits von Klassen-, Bindungs- und Kulturschichten markierte sie die Grundperspektive einer Welt, die an die Zukunft glaubte.
Doch genau diese Gewissheit ist heute grundlegend zerstört und verwüstet.

Die Postmoderne: Rebellion, Zweifel, Sinnzerfall, immerwährende Kritik

Der Zweifel an der Moderne begann bereits in ihrer kraftstrotzenden Zeit. Schon mitten im Nachkriegs-Boom mit seinen überwältigenden Konsum- und Wohlstandsversprechen geriet der Fortschritt irgendwie ins Stolpern. Die Ölkrise, der Vietnamkrieg, eine zunächst marxistische, dann hedonistische Jugendrevolte, die ALLES infrage stellte… Die beginnende Ökologiefrage, die Kritik an der „Technokratie“, die den Menschen immer mehr als Teil einer einzigen (Fortschritts-)Maschine sah – das erzeugte eine andauernde Turbulenz, einen Sinn-Riss inmitten der Gesellschaft. Die Skepsis klopfte laut an die Mauern des rasenden Fortschritts. Und dahinter klang es plötzlich hohl.

Im Jahr 1973 erschien der erste große postmoderne Roman: „Die Enden der Parabel“ (Gravity’s Rainbow). In Thomas Pynchons Kunstwerk wurde die Welt nicht mehr synchron, sondern zufällig und gnadenlos dargestellt. Nicht die geraden Linien des Fortschritts bestimmten die Zukunft, sondern die gekrümmten Bahnen von Raketen (kommt uns das heute nicht wieder bekannt vor?). Das Leben erweist sich als ständiger Einschlag, der nicht zu berechnen ist, als permanente Verstörung, Zumutung, Verunsicherung. Die Zukunft lag in dieser Erzählung nicht mehr geradeaus, in den Linien der steten Verbesserung und Beschleunigung. Sie überfiel uns plötzlich von hinten, narrte uns, verwirrte unsere Menschlichkeit.

Wie die Moderne entwickelte auch die Postmoderne ihre eigene Ästhetik. Sie löste die Stromlinien-Formen wieder ins Barocke und Widerspenstige auf. Da war die nihilistische Fröhlichkeit des Punks, der an nichts glaubte – aber mit viel Gefühl rebellierte. Die verschobenen Fassaden und Formen der postmodernen Architektur, eines Designs, das fröhlich alles zitierte und dekonstruierte. In der Kunst entstanden postmoderne Superstars wie Andy Warhol oder Jeff Koons. Postmodernismus lebte von Übertreibung, Zuspitzung, Sarkasmus, rebellischen Posen, die aber immer schnell in Affirmation umschlugen. Wir sind Kunstwesen, alles ist nur Pose – lasst uns wenigstens DAS feiern!

Typische postmoderne Ideen sind:

  • Misstrauen gegenüber ALLEN Narrativen, die einen größeren Zusammenhang ausdeuten wollen.
  • Moral entwickelt sich immer nur aus dem Subjekt oder bestimmten Interessen heraus. Es gibt keine allgemeine Ethik.
  • Be against it! Dagegensein, Verneinung, als Weltprinzip.
  • Es gibt nur Zitate, keine „reale Wirklichkeit“.
  • Die Menschheit hat die Biosphäre zerstört und muss büßen – recht so!
  • Zynismus als Lebenskonzept.

Auf eine komplementäre Weise passten Moderne und Postmoderne wunderbar zusammen. Während die Moderne immerzu bejahte, aber das, was nicht in ihr Konzept passte, einfach ignorierte, verneinte die Postmoderne von vornherein alles, stellte alles infrage und gefiel sich in Kritik. Dabei verlor sie ihren spielerischen Charme, wie er noch im Punk, in den Noir-Filmen oder in den verspielten Designformen vorhanden war.

Der Spätmoderne fehlt jede Sehnsucht, jede Vision, jede Ferne. Sie ist daher ganz ohne Aura. Ohne Zukunft.
Byung-Han, Die Krise der Narration

Karl Hosang, einer der wichtigsten Vertreter der deutschsprachigen Metamoderne, bringt es so auf den Punkt: „Die Postmoderne blieb letztlich gelähmt; sie buddelte die Untaten der Fortschrittsmoderne aus und fand das Schlechte im Menschen. Sie dekonstruierte den Fortschritt – aber ließ auch keine Lösungen übrig. Sie wurde ob der ökologischen und sozialen Probleme zynisch und träge.“ („Der Methodenkoffer der Metamoderne”, in „Die Metamoderne”, hrsg. v. Maik Hosang, Gerold Hüther, S. 301).

METAmoderne – ein Neubeginn der Aufklärung?

„Meta“ bedeutet ursprünglich eine übergeordnete Ebene, eine höhere Stufe der Betrachtung (dass Mark Zuckerberg an der Umbenennung seines Konzernes in META scheiterte, lag wohl daran, dass er das nicht verstand). In der Spieltheorie meint META eine Regel-Einigung zwischen Spielern, die nicht von vornherein festgelegt ist, sondern sich im Spiel als Übereinkunft bildet. Und schließlich ist META auch ein griechischer Vorname. Er bedeutet LICHT.

Die METAmoderne ist eine Position, von der aus wir die Dinge in einem anderen Licht betrachten können. Dem Licht der Zusammenhänge.

Kennen Sie das Gefühl, dass in einer Talkshow eigentlich ALLE recht haben? Dass alle Teilnehmer auf ihre Weise eine wichtige Sichtweise, einen notwendigen Aspekt einbringen? Dass sie aber durch irgendeine Verhexung, angeheizt durch affektgeile Moderation, nur blödsinnig durcheinanderreden? Und das Problem, um das es geht, nicht lösen, sondern immer weiter aufspalten, bis keine Wahrheit mehr übrig bleibt?

Ein wesentlicher Begriff der Metamoderne ist Oszillation. Das klingt schon wieder nach einem Klugscheißer-Begriff aus dem Arsenal des französischen Poststrukturalismus. Aber übersetzen wir es einmal mit Variabilität. Mit Flexibilität der Wahrnehmung. Die amerikanische Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin nannte es Denken in Rundungen. In einer METAmodernen Sicht können wir anerkennen, dass die Wirklichkeit komplex, vielschichtig, widersprüchlich und gerade dadurch „real“ ist. Wie sagte der dänische Physiker Niels Bohr so schön? „Wie wunderbar, dass wir auf ein Paradoxon gestoßen sind. Jetzt haben wir die Chance, Fortschritte zu machen!“

Die Metamoderne führt uns ins kulturelle DAZWISCHEN, ins politische DANACH und ins mystische DARÜBERHINAUS.
Jonathan Rowson, schottischer Schach-Großmeister

Typische metamoderne Denkmuster sind:

  • Das Unlösbare unserer Gegenwart lässt sich womöglich „aus der Zukunft heraus“ in Zusammenhänge verwandeln.
  • Die Zukunft entsteht durch Synthesen, Verbindungen, Re-Kombinationen.
  • Aktuelle Probleme kann man nicht mit den Betrachtungswinkeln der Vergangenheit lösen.
  • Die Wirklichkeit entsteht in der BEGEGNUNG (Enaktivismus).
  • Mindestens so wichtig wie die Weltveränderung ist die Selbstveränderung.

Metamodernes Denken verabschiedet sich von der ENTWEDER-ODER -Logik, jener Binarität, in der die Welt in lauter Einzelstandpunkte, „Meinungen“, Fraktale zu zerfallen droht. Es geht um ein beherztes SOWOHL ALS AUCH. Nicht einfach nur „Kompromiss“. Oder „Nachgeben“. Sondern ERGÄNZUNG zu einem Neuen Ganzen.
Innenwelt und Außenwelt.
Individualität und Bindung.
Natur und Technologie.
Ökonomie und Ökologie.
Gefühl und Verstand.
Romantik und Effizienz.
Produktivität und Gemeinwohl.
Intensität und Distanz.
Verbundenheit und Freiheit.

Alle diese Begriffe, so behauptet der Metamodernismus, sind nur durch ihre Begrenzungen und Ergänzungen verstehbar. Im Ganzheits-Denken macht plötzlich alles wieder Sinn.
In REDDIT bin ich kürzlich auf folgende feine Überlegung gestoßen:

„Modernistischer Optimismus und postmodernistische Kritik sind zwei gegensätzliche Pole, zwischen denen wir hin- und herschwanken müssen. Wir müssen Dinge schaffen, die kritisiert werden können, und wir müssen Kritik als kreativen Akt erlernen. Indem wir gleichzeitig konstruieren und dekonstruieren, können wir Kreativität ohne Dogma und Fortschritt ohne Agenda erreichen.“

(Reddit, „Can someone explain metamodernism like I’m 5? Especially how it related to post-modernism and modernism.”)

Akzeptanz und Vergebung

Neben dem Zusammendenken ist ein weiterer Aspekt metamoderner Mentalität die Bereitschaft, das Gewordene zu akzeptieren. Und damit weiterzuarbeiten.

Nehmen wir den Fortschritt selbst: Gibt es nicht alle Gründe, die Idee des Fortschritts selbst in Bausch und Bogen zu verdammen? Sich einfach von diesem Lügengebäude des Kapitalismus, Kolonialismus und der scheinbaren Rationalität zu verabschieden?

In seinem Essay „Relative Utopia“ schreibt Hanzi Freinacht: „In gewisser Weise leben wir in der Utopie unserer Vorfahren. Wenn sie unser heutiges Leben hätten miterleben können, hätten sie ihren Augen wahrscheinlich kaum getraut: So viel Essen wie man essen kann, ein Minimum an harter körperlicher Arbeit, die Erwartung, dass alle Kinder erwachsen werden, nur selten betrunkene Herren, die einen misshandeln – wirklich ein Paradies im Vergleich zu dem, was die meisten von ihnen ertragen mussten. Die Moderne mit all ihren technologischen und sozialen Fortschritten hat gewissermaßen alle Probleme früherer Gesellschaften gelöst: Hungersnot, Krankheit, Unterdrückung, Krieg, Armut, mangelnde Bildung, langsame und gefährliche Transportmöglichkeiten, Aberglaube, ja sogar Krieg; selbst wenn wir die Weltkriege und die aktuellen Kriege mitzählen, war das Risiko, von einem anderen Menschen getötet zu werden, nie geringer als heute.“

Hanzi Freinacht teilt die Probleme, die durch die Moderne entstanden sind auf in:

  • Restprobleme: Überbleibsel aus der Zeit vor der Moderne, also Armut, die IMMER NOCH existiert. Krankheiten, die nicht besiegt wurden. Ungerechtigkeiten, die nicht überwunden werden konnten.
  • Emergente Probleme: Unerwartete Probleme, die durch die Moderne selbst verursacht wurden, etwa Entfremdungseffekte in Konsumgesellschaften, Stress-Epidemien, Folgeschäden digitaler Kommunikation etc.
  • Verlorene Schönheiten: Bewundernswerte Eigenschaften früherer Gesellschaften, die in der Moderne verloren gegangen sind.
  • Neue Höhen-Probleme: Probleme, die vorher einfach nicht „erreichbar“ waren, jetzt aber in unsere Reichweite gerückt sind, etwa Langlebigkeit, Besiedlung anderer Planeten, KI.
  • Im metamodernen Denken kann man die Moderne als PROTOPIE betrachten &ndashM; eine unfertige Utopie, die viele ihrer Versprechungen einlöste – aber eben viele auch nicht. So wie das Leben selbst. Das uns ja auch immer wieder enttäuscht. Aber Ent-Täuschung ist wichtig, damit wir uns von Illusionen verabschieden können.

    Auch die Postmoderne hatte ihren Sinn, ihren Charme. Indem sie den Furor, die Ignoranz der Moderne infrage stellte.

    Bei alledem hat die Metamoderne ein zentrales Anliegen: Die eigene Verantwortung für die Zukunft anzunehmen. Im Kern geht es darum, sich von der Jammerei der Postmoderne ebenso zu verabschieden wie von der Arroganz des Modernismus. Sich wieder in Beziehung zu setzen zur Wirklichkeit, zum Wandel. Zum Unfertigen, aber noch Werdenden.

    Was der Metamodernismus der Moderne hinzufügt, ist eine neue Dualität … Königsweg einer guten zukünftigen Entwicklung ist persönliche Entwicklung und seelisches Wachstum.
    Hanzi Freinacht, „Die Metamoderne“rdquo;, S. 275

    Eine poetische Metapher dazu findet sich im Märchen „Der Zauberer von Oz“ von 1939. Am Ende ihrer Reise auf der Yellow Brick Road trifft das tapfere Mädchen Dorothy den bösen Zauberer in seinem Schloss. Dorothy ist mit ihren „unfertigen“ Freunden unterwegs – der Vogelscheuche, die statt Stroh im Kopf gerne mehr Verstand hätte, dem mutlosen Löwen und dem Zinnmann (Roboter), der kein Herz hat. Der Zauberer erweist sich als schwebender Kopf, der auf einer Rauchsäule erscheint (ein moderner Illusionstrick). Es stellt sich heraus, dass der Zauberer in Wirklichkeit ein Jahrmarktschauspieler ist, der sich nur getarnt hat.

    Dorothy: „Warum bist Du so böse, Zauberer?“
    Zauberer: „Ich bin gar nicht böse. Ich bin nur ein sehr schlechter Zauberer!“

    Der Zauberer verleiht dem Löwen eine Medaille für Mut, der Vogelscheuche ein Diplom für Verstand und dem Zinnmann eine Uhr in Form eines Herzens. Von hier aus ist wieder Wandel möglich. Die Macht gesteht ihre Schwäche ein. Die Wahrheit kommt ans Licht. Und alles kann neu beginnen.

    Meta-Religion: Das spirituelle Darüber-hinaus

    Metamodernismus ist keine fixe Theorie, die „alles richten soll“. Sie ist, ein Gedankenexperiment, ein bestimmter Modus, mit der Welt umzugehen. Eine Struktur des Hineinfühlens in die Welt.

    Während sich Moderne wie Postmoderne im scharfen Gegensatz zum Religiösen entwickelten, sucht die METAmoderne wieder den Weg ins Metaphysische. Sie stellt ohne Scheu die Frage nach den höheren Bezügen des Menschen (ohne dabei immer nur das Gehalt zu meinen). In der Metamoderne traut man sich (wieder) Wörter wie „Geist“, „Seele“ „Kosmos“, „Spiritualität“ auszusprechen. Und zwar IM Sinne der Aufklärung, nicht gegen sie.

    Die spirituelle Verbindung mit der Zukunft beginnt mit der Entwicklungs-Psychologie, die den Menschen als Wesen definiert, das sich seelisch, geistig und emotional entwickeln kann. Wir existieren nach den Worten des Systemforschers Heinz von Foerster nicht als „human beings“ (als feste statische Entitäten), sondern als „human becomings“ – als Möglichkeitswesen, die fähig sind, sich selbst zu überraschen. Von da aus ergeben sich Anknüpfungspunkte mit holistischen Weltbildern wie der „Integralen Theorie“ von Ken Wilber, die die Vereinigung von Philosophie, Wissenschaft, Religion und spiritueller Erfahrung zum Ziel hat. Weiter hinauf geht es in die verschiedenen Versionen der „Spiral-Dynamic“-Modelle. Mensch-Welt-Co-Evolutionen in einer in die Komplexität hinein offenen Spirale.

    Übersetzung:
    ?X? = Das Mysterium
    Selbst-Bewusste Narration
    Der postmetaphysische Gott
    Metarationalität überwindet den Nihilismus
    Planetarische Regierung
    Allseits-Berücksichtigung
    Kosmopolitischer Schamanismus
    Selbstbestimmte Gemeinschaften
    Ökologien der Praxis
    Metamoderne Spiritualität

    Eine dem Metamodernismus nahstehende neue Organisation ist die „Inner-Development-Goals-Initiative“ (IDG), die einen gut besuchten jährlichen Kongress in Stockholm veranstaltet. „Inner Development Goals“ setzt den Global Goals, den 17 Zukunfts-Zielen der Vereinten Nationen 23 ergänzende Innere Ziele gegenüber – Grund-Elemente der (Selbst-)Entwicklung des Menschen. Die Grundthese lautet: Wir können die Rettung des Planeten, die Heilung der Demokratie, die humane Transformation nicht erreichen, wenn wir es nicht schaffen, uns als EIGENE (nicht Einzelne) VON INNEN HERAUS zu verwandeln.

    • Spiritualität ist das Gefühl von tiefer Verbundenheit mit anderen Menschen, und zwar allen Menschen aller Kulturen (der humanistisch-kosmopolitische Aspekt).
    • Spiritualität ist die Erfahrung der Größe und Weite, zu der wir uns in Bezug setzen (der kosmische Aspekt).
    • Spiritualität handelt von Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft, unserer Verbundenheit mit der langen Zeit, deren Teil wir sind.

    Wir können gemeinsam versuchen, über uns selbst hinauszuwachsen.
    Das ist der Kern einer neuen Moderne.
    Gerald Hüther, Neurobiologe

    Ironie der Zukunft

    Schließlich führt uns metamodernes Denken in eine bestimmte Art des Humors hinein. Eine leichte Ironie der Freundlichkeit, die mit den Augen zwinkert.

    Zum Schluss hat sich Hanzi Freinacht noch eine kleine Gemeinheit ausgedacht: die „umgekehrte Christlichkeit“ (Reverse Christianity):

    „Umgekehrtes Christentum ist die Idee, dass uns beigebracht wurde, dass es einen Gott gibt, der uns unsere Sünden vergeben kann. Aber es ist andersherum: WIR sind es, die Gott vergeben sollten, ob wir nun an einen persönlichen Gott glauben oder nicht. Wenn wir uns die Unvollkommenheiten der Realität ansehen, all den verrückten Scheiß, der passiert – je besser wir darin sind, dieser Totalität zu vergeben, desto mehr Seelenfrieden werden wir finden. Vergebung steht an der höchsten Stelle in den Geboten, dies ist das höchste Ziel, das es zu erreichen gilt, denn dann entspringt alles, was wir tun, nicht mehr aus Groll, sondern vielmehr aus Fürsorge und Liebe oder der Suche nach der Wahrheit.“

    kortina.nyc/notes/the-listening-society

    ANHANG: Vier poetische Welthaltungen der Metamoderne

    1. Informierte Naivität
      Kinder sind auf eine unverstörte Weise mit der Wirklichkeit verbunden. Die Metamoderne ist auch die Wiederentdeckung des Zaubers der Welt, die sich im Kindlichen erschließt. Bleiben wir neugierig im Sinne der Überraschungsfähigkeit, ohne dabei „kindisch“ (regressiv) zu werden.
    2. Pragmatischer Idealismus
      Metamodernisten sind Romantiker, aber die Welt muss auch in der Praxis, im Konkreten funktionieren. Zu viel Idealismus führt uns auf Abwege, deshalb muss das Idealisierende durch Vernunft und Maß gezähmt werden. Es lohnt sich, Ziele zu setzen, Visionen zu verfolgen. Aber diese Visionen dürfen uns weder den Kopf verdrehen noch zu einem starren Blick führen. Ideale bewähren sich, wenn sie in der Realität überprüfbar und „er-lebbar“ werden.
    3. Verbundenes Selbstsein
      Wir alle wollen uns als Individuen entfalten, aber der „Individualismus“ züchtet das EGO und vernachlässigt das Selbst, das nur im Gemeinsamen existieren kann. „Die Tür der Zukunft geht nach Innen auf. Wer hindurch will, muss erst einen Schritt zurück tun.“ (Martin Kornberger, Philosoph).
    4. Ironische Ernsthaftigkeit
      Humor ist nicht, wenn man trotzdem lacht, sondern wenn man ein liebevolles Verhältnis zu den Paradoxien der Wirklichkeit entwickelt. Zynismus verengt uns ins Dunkle, im Gegensatz dazu hält die Ironie unseren MIND offen für immer neue Bezüge und Erkenntnisse. „Die zentrale Motivation der Metamoderne ist es, unsere inneren, subjektiv erfahrenen Erfahrungen vor der zynischen Distanz der Postmoderne, dem wissenschaftlichen Reduktionismus der Moderne und der blinden Trägheit der Traditionen zu schützen.“
      Greg Dember, („Die Metamoderne, hrsg. v. Maik Hosang, Gerald Hützer, S. 275)

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