134 – Beyond Green
Wie die Ökologie als Zukunfts-Kraft wiederkehrt.
Und die grüne Bewegung sich selbst transformieren wird.
Ich möchte eine Prognose, eine Voraussicht wagen, die sicher heftigen Widerspruch hervorruft.
Aus der Serie: Wie kann man nur so naiv, so blauäugig sein …
Ich vermute, dass das Grüne, das Ökologische, die Klimawende, ein Comeback erleben wird. Und zwar bald.
Ziemlich naiv, oder? Spätestens nach dem „Habeck’schen Heizungsgesetz“ (was für ein Wortungetüm!) ist die Klimawende, die postfossile Transformation, mausetot. Ersetzt durch den rückwärtsgewandten oder anarchokapitalistischen Furor, der Ängste durch die Landschaft jagt und daraus Ignoranz destilliert. Und am liebsten alle Windkraftwerke abreißen will. Auch die Klimabewegung selbst hat ihren Teil zu diesem Desaster beigetragen. Nach den stümperhaften Klebeversuchen der Letzten Generation und der Selbst-Entlarvung von Greta Thunberg als politische Ideologin müssen wir einsehen, dass das grüne Thema VORBEI ist.
Also gut.
Geben wir auf.
Oder wir atmen einmal tief durch. Und schauen ein bisschen tiefer hinein. In die Begriffe. Die Fakten. Die Zusammenhänge. Die gefühlten und unsichtbaren Wandlungen der Welt.
Sechs Gründe, warum die ökologische Wende trotzdem kommen wird
- Erstens: Die Behauptung, dass das Ökologiethema auf eine kleine Gruppe woker urbaner Privilegierter zusammengeschrumpft ist, ist falsch. In den echten Umfragen spielt der Klimawandel für die Mehrheit der Menschen eine große Rolle. Allerdings wird er in der rasenden Aufmerksamkeitsökonomie ständig von anderen Themen überschrieben und überdeckt.
- Zweitens: Die entscheidende Kraft, die wir für die Klimawende brauchen, hat sich als erstaunlich resistent gegen den antiökologischen Trend erwiesen: Die Wirtschaft. Viele große Konzerne halten an ihren Dekarbonisierungs-Zielen fest, bauen sie sogar noch aus. Aus Greenwashing ist inzwischen immer mehr ein Greendoing geworden. Auf viele Weise ist das ökologische Thema in die Köpfe, die Herzen, die Seelen der Unternehmen eingedrungen. Das Ökologische hat viele Firmenkulturen von innen heraus verändert – in einen anderen mindset hinein.
- Drittens: Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit gehen die erneuerbaren Energien weltweit durch die Decke. In den Wüstengürteln der Erde entstehen derzeit quadratkilometergroße Solarkraftwerke, die man mit bloßem Auge aus der Umlaufbahn sehen kann. Der erneuerbare Sektor befindet sich in einem dynamischen Innovationsprozess; Batterien, Materialtechniken, Speichermedien, Wirkungsgrade, Systemverbesserungen – all das geht viel schneller als gedacht. Was viele Jahre als unmöglich und naiv galt – dass wir den Energiebedarf jenseits von Kohlenwasserstoffen abdecken können – rückt plötzlich in den Rahmen der Faktizität.
- Viertens: China wird womöglich schon 2025 den Gipfel seines CO2-Ausstoßes verkünden. Da China mit Abstand größter CO2-Emitteur der Welt ist (und immer gerne aus Ausrede fürs Nichtstun dient), wird dies erhebliche Auswirkungen auf die Perspektiven der Klimawende haben. Wenn China „kippt“, ist auch der globale „Carbon Peak“ nicht weit.
- Fünftens: In einer Zeit globaler Konflikte und Unsicherheiten sind erneuerbare Energien ein Sicherheits- und Autarkie-Vorteil. In der Ukraine ist bereits ein erneuerbares Energiesystem im Aufbau, das militärischen Angriffen und Sabotage besser widerstehen kann.
- Sechstens: Die Ökologie beschreibt die Welt als ein ganzheitliches System von Verbindungen, Kreisläufen, Balancen und Ausgleichen. Dieses Narrativ ist derzeit die einzige Erzählung, die in der Lage wäre, die Paradoxien und Spaltungen unserer Zeit auf einer höheren Ebene aufzulösen. Wir brauchen, als Menschen, als Spezies, als Erdbewohner eine BIG STORY für die Zukunft.
Eine neue universelle Ordnung könnte ausgerechnet entlang der Klimakrise und gemeinsamer Strategien zu ihrer Bewältigung entstehen. Ironischerweise scheint dies unsere beste Hoffnung auf eine neue Synthese zu sein – deshalb fasziniert mich das Klimaproblem derzeit so sehr. Es ist eine Rückkehr zum Hochmodernismus alter Schule, aber auf planetarischer Ebene.
Der Globalökonom Adam Tooze
Natürlich ist es an dieser Stelle einfach, aus den heiß gelaufenen Kanonen des erlernten Pessimismus zu feuern. Aber vielleicht lohnt es sich, uns zunächst noch einmal zu fragen, warum „das Fossile“ derzeit wieder so stark, so übermächtig zurückkehrt.
Die Petro-Melancholie
Mit der schönen Wortprägung Petro-Melancholie bezeichnet man die Rückwärts-Sehnsucht in Richtung auf ein fossiles Zeitalter, in dem alles irgendwie „richtig“ erschien“. Dort verbrachten die meisten von uns ihre Kindheit und Jugend: In Petroland, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Ich habe nach 60 Jahren (!) noch den wunderbaren Geruch von Straßenteer im Kopf, jener klebrigen Substanz, mit dem in den 60er Jahren die Straße vor unserem Haus geteert wurde – vorher war es eine rumpelnde Kopfsteinpflasterstraße. Es stank nicht, es duftete. Nach Fortschritt, Zukunft, neuer Zeit. Das setzte sich im üppigen Benzingeruch an der Tankstelle fort, wenn mein Vater unseren Ford 17 M auftankte. Tief im limbischen Gedächtnis geblieben ist mir auch der köstliche Kerosingeruch, als ich zum ersten Mal ein Flugzeug besteigen durfte…
Womöglich kleben wir viel mehr an diesem Stoff aus den Tiefen der Erde als wir glauben. Wir sind süchtig danach. Eine neue Wissenschaft, die „Energy Humanities“ – die Energie-Humanwissenschaften – beschäftigen sich mit diesem Aspekt der Kulturgeschichte. Der englische Historiker Timothy Mitchell weist anhand der Geschichte der englischen Industrialisierung nach, wie die „Große Fossilisierung“ das Denken und Fühlen der Menschen in Richtung auf völlig neue Weltzugänge veränderte (Carbon Democracy: Political Power in the Age of Oil). Öl, Kohle und Gas sind eben nicht nur Energieträger. Das Fossile, als ungeheuer potenter und allseits verfügbarer Energieträger, generierte einen Lebensstil, der nicht nur ungeheure Warenfülle und Kaloriendichte mit sich brachte. Sondern auch spektakuläre Erweiterungen und Befreiungen des Lebens. Mit den brummenden und spotzenden Autos des Großen Aufschwungs konnten wir Studenten in den 70er Jahren bis an die Strände Spaniens oder die romantischen Landschaften Irlands entkommen. „Das Fossile“ transportiert bis heute einen Mythos, der zutiefst in uns eingebaut ist: der Mythos des grandiosen Fortschritts.
„Der Mann der morgens in seinem Auto mit Verbrennermotor zur Arbeit in ein Industriegebiet fährt, während die Frau zuhause, umgeben von den neuesten Haushaltsgeräten, die Kinder betreut und auf seine Rückkehr wartet – eine Hommage an ein Fantasiegebilde des US-Amerikanischen Lebens. Mitte des 20. Jahrhunderts, als Männer in Vollzeit noch das Leben ihrer Familie regelten.“
(Spiegel 33 / 10.8.2024, Andreas Bernard über die „Petromelancholie“)
Man könnte hier nahtlos Elon Musk einfügen, der mit seinen riesigen Weltraum-Verbrenner-Raketen diese Tradition fort und auf die Spitze führt. Die Politikwissenschaftlerin Cara Daggett erkennt in diesem Zusammenhang eine „Petro-Maskulinität“, die unsere Kultur gleichsam von innen durchwirkt. Das äußert sich in der männlichen Brüllbereitschaft im Netz ebenso wie in den Böllerorgien zu Sylvester oder im demonstrativen Kreischen von Gummi auf Asphalt, dem Röhren und Blubbern von getunten Verbrennungsmotoren, das immer mehr den Hintergrundsound von Städten ausmacht. In ihrem 2018 veröffentlichen Essay argumentiert die Politikwissenschaftlerin, dass der heutige „Aufstand der Männer“ etwas damit zu tun haben könnte, dass das männliche Verbrennungs-Privileg in der liberalen Modernisierung immer mehr unter Druck geriet. Hass auf Windmühlen und Verachtung für Solarpaneele könnten etwas mit einer Verlust-Panik zu tun haben, einer Kastrationsangst, die sich im bösartigen Populismus verselbstständigt. Und an der erstaunlicherweise sogar Frauen teilnehmen.
„Die jüngsten Triumphe reaktionärer Politik, nicht nur die Trumps, sind ein Ergebnis von Kränkungen und Ängsten, die mit dem Ende der sogenannten Petromoderne zu tun haben. Im Übergang vom Erdölzeitalter zur Ära der erneuerbaren Energien stehen nicht nur 100 Jahre alte Heiz- und Verbrennungstechniken zur Disposition, sondern auch überlieferte Konzepte von Subjektivität und sozialer Ordnung. Kurz: Es geht nicht bloß um Öl, sondern auch um den Menschen und darum, wie er sich in der Welt verortet“. (Spiegel 33 / 10.8.2024, Andreas Bernard über die „Petromelancholie“)
Für eine Ökologie der Zweiten Stufe – eine nichtgrüne Ökologie (zur Farbwahl später) – müssen wir diese Gefühlsströme nicht einfach akzeptieren. Aber wir müssen sie verstehen. Das fossile Zeitalter lässt sich nicht mit moralischen Argumenten oder der Drohung des Untergangs beenden. Wenn man ständig die Apokalypse an die Wand gemalt bekommt, beginnt man lieber, das Ganze durch Leugnung abzuwehren.
Zum Beispiel in der Studie Addressing climate change with behavioral science. Dort untersuchten amerikanische Verhaltenswissenschaftler die Wandlungsmotive, die Menschen zu umweltbewusstem Verhalten führen. Die Studie war mit 59.000 Teilnehmern aus 63 Ländern ziemlich groß. Interessant ist, dass die „Herbeiführung negativer Emotionen” – wie Angst und Katastrophenbilder – zwar eine sehr hohe Aufmerksamkeitsquote entfaltet (C – Share). Aber gleichzeitig die GERINGSTE Aktions-Quote, oder Bereitschaft, sich für praktische Lösungen zu engagieren (D – Action).
Vielleicht muss der Weg andersherum gehen: Die fossile Vergangenheit muss, damit wir uns von ihr verabschieden können, gewürdigt werden. „The Age of Oil“ stellte einen ja auch einen Ausgang aus der Unmündigkeit dar, eine Menschheits-Phase, in der Abermillionen, ja Milliarden von Menschen ihre Träume von einem materiellen Grundkomfort und äußerer Freiheit verwirklichen konnten. Erweisen wir dem Fossilen also unsere Referenz, unsere Anerkennung: Danke, Öl! Danke, Kohle! Danke, Erdgas! Ihr wart großartig! Wie verdanken Euch viel!
Aber jetzt ist auch mal genug.
Timothy Michell: Carbon Democracy – Political Power in the Age of Oil
Imre Szeman und Dominic Boyer: Energy Humanities – An Anthology
Ausstellung Kunstmuseum Wolfsburg: Oil – Schönheit und Schrecken des Ölzeitalters
Petro-Masculinity: Fossil Fuels and Authoritarian Desire
Jenseits der Nachhaltigkeit
In jedem Politiker-Papier, jedem Geschäftsbericht, jedem gutgemeinten Schüler- und Praktikantenaufsatz kommt heute jenes magische Wort vor, mit dem wir unserem schlechten Gewissen huldigen: Nachhaltigkeit.
Der Begriff steht für das Ökologiethema per se. Gleichzeitig geht er selbst denen, die ihn häufig verwenden, gewaltig auf die Nerven.
Bewegen wir das Wort auf der Zunge hin und her: Nach-Haltigkeit. Da heißt, dass man etwas „nachhält“, also einen Vorrat anlegt. Genug vom Gleichen im Keller hat, um Verluste zu ersetzen. Hier wird ein Aspekt der Hortung angesprochen, der auf Angst beruht, es könnte nicht reichen.
Ich meinen Vorträgen machen ich zum Aufwecken manchmal einen frechen Witz. Ich frage mein Publikum:
Hätten Sie gerne einen NACHHALTIGEN PARTNER?
Die Reaktion ist umwerfend komisch. Erst Stille. Dann verdruckstes Lachen. „Treu sollte er schon sein“, kommt es leise aus dem Parkett.
Das „schon“ meint: Es reicht nicht für die Liebe, treu zu sein.
Und „Nachhaltigkeit“ reicht eben nicht für eine bessere Zukunft.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Natürlich ist Nachhaltigkeit nicht falsch. Aber kann man die Welt aus dem schlechten Gewissen heraus verändern? Braucht man nicht auch so etwas wie Freude? Ich werde den Verdacht nicht los, dass mit der Idee der Nachhaltigkeit im Grunde etwas Statisches gemeint ist. Eine Nicht-Dynamik, die weder gute Geschäftsmodelle noch jene Attraktivität hervorbringt, die Menschen für die Zukunft begeistern kann.
Der Nachhaltigkeit fehlt es an Energie. Und Energie ist das Entscheidende.
„Nachhaltigkeit“ ist keineswegs eine Erfindung der grünen Bewegung seit den 1970er-Jahren. Das Wort stammt vielmehr aus dem Beginn der Industrialisierung. Erfunden hat es Carl von Carlowitz, ein sächsischer Forstmeister aus dem Spätbarock, der auf Abbildungen stets mit einer fürstlichen Lockenperücke und grimmiger Miene gezeigt wurde. Carlowitz schrieb in seinem Traktat Sylvicultura oeconomica – Über die Ökonomie der Wildbäume im Jahr 1713:
„Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land nicht bleiben mag.“
(S. 105-106 in der „Sylvicultura Oeconomica“ – Wikipedia)
Carlowitz war angehalten, der boomenden Minenindustrie im sächsischen Erzgebirge immer genug Bäume „zuzuführen“, so dass diese zu Holzkohle verarbeitet werden konnten. Carlowitz hat einen nicht unwesentlichen Anteil an der Verspargelung unserer Wälder. Eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung konnte nämlich am besten durch Reihenpflanzungen von schnellwachsenden Bäumen wie etwa der Fichte bewerkstelligen … Also jenen Bäumen, die heute in unseren Wäldern jämmerlich vertrocknen.
Intelligente Verschwendung
Michael Braungart ist ein wunderbarer Ketzer der Ökologiebewegung, und gleichzeitig ihr bester Apologet. Er hat schon vor einem Jahrzehnt mit seinem Freund William McDonough ein Buch geschrieben, das in China ein Bestseller wurde, hierzulande aber Irritation hervorrief. „Intelligente Verschwendung“ – wie kann Verschwendung „intelligent“ sein? Müssen wir nicht immerzu sparen, verzichten, Gürtel enger schnallen, endlich aufhören, zu „prassen“?
Braungart, der mit seinem Institut EPEA, in dem rund 300 Chemiker arbeiten, reihenweise Unternehmen in Cradle-to-Cradle-Kreislauf-Prozesse hineintransformiert, begreift „Ökologie“ in einem ganzheitlichen, dynamischen Sinne. Als ständige Vermehrung von Kreislauf-Optionen. Als kreatives Entwickeln neuer Systeme. Er geht mit der alten grünen Ideologie hart ins Gericht: „Es hat überhaupt keinen Sinn, alles nur zu 90 Prozent schlecht zu machen, statt zu 100 Prozent. Es bringt überhaupt nichts, nur vermeiden zu wollen!
Bruno Latour, der Philosoph und Soziologe, der den Begriff der „ökologischen Klasse“ erfand, formulierte ziemlich drastisch:
„Der Klimabewegung fehlt es an einer Ästhetik, die in der Lage wäre, die menschlichen Leidenschaften in Richtung auf eine positive Veränderung zu schüren. Bislang besteht der Erfolg der politischen Ökologie darin, die Menschen in Panik zu versetzen und sie gleichzeitig aus Langeweile zum Gähnen zu bringen.“
Der fundamentale Irrtum der Ökologiebewegung besteht in der Konstruktion absoluter Knappheit als Weltprinzip. Aber ist die Welt wirklich knapp? „Spart“ die Natur ständig an Allem, und wir müssen uns in diese Sparprogramme einpassen?
Ist der Mensch ein „Überflüssiger“? Und deshalb zum Aussterben verdammt?
Vor einigen Jahren war ein Öko-Duschgel in Mode, dass dazu aufforderte, beim Einseifen das Wasser abzustellen. Abgesehen davon, dass das zu Verrenkungen führt (und irgendwie nicht richtig funktioniert): Was passiert eigentlich mit Wasser, wenn man es fließen lässt? Geht es verloren? Kaputt? „Vertilgen“ wir es? Nur wenn man in komplett un-ökologischen Kategorien denkt. Wasser fließt einfach zurück in den Kreislauf. Und täglich durch uns hindurch (Ja ja, ist schon gut! In trockenen Sommern und Gegenden, die ein Wasserproblem haben, muss man den Gebrauch verringern. Ansonsten schädigt Wassersparen die Wasserleitungen).
Michael Braungart vertritt als Praktiker die Idee des „Upcyclings“. Im Gegensatz zum Re-Cycling, das meistens ein Downcycling ist, aus dem schlechte Plastikparkbänke entstehen, wird dabei Materie nicht einfach degradiert, sondern in ihrer Qualität verbessert. Dadurch entsteht aus einem Nullsummenspiel ein Win-Win-Spiel mit der Natur, bei der der Mensch die Rolle des Veredlers übernimmt.
Schriller Gedanke, oder? Haben wir nicht rund um die Uhr schuldig zu sein, an unserer sündigen Existenz zu verzweifeln?
Braungart, der einmal über die die deutsche Umweltbewegung sagte, sie sei „ein Klub lustbefreiter Schuldmanager“, kann sich stundenlang über einen Begriff wie „Fußabdruck“ aufregen. Jene Messeinheit, in der wir IMMER in zu großen Füssen durch die Welt laufen, „und uns am besten alle an große Luftballons aufhängen oder gleich ganz von der Erde verschwinden sollten“.
In einem Interview des SPIEGEL formulierte er:
Nachhaltigkeit wünsche ich mir für die Biosphäre. Ich wünsche mir, dass es Löwen, Tiger und Elefanten, Eichen und Birken und Buchen auch noch in 5000 Jahren gibt. Aber in der Technosphäre führt eine solche Nachhaltigkeit dazu, dass der Status quo erhalten wird, anstatt positiv zu definieren, was besser sein könnte. Cradle-to-Cradle geht nicht mit Nachhaltigkeit zusammen. Nachhaltigkeit fördert die Optimierung des Bestehenden. In ihrem Namen wird Gewicht gespart und falsches Recycling erhöht, anstatt Produkte neu zu denken.
SPIEGEL 28.04.2024, „Plastikflaschen als Mehrweg? – das Dümmste was man machen kann.“
Stellen wir uns einmal etwas ganz anderes vor:
- Die Natur wäre keine Sparanstalt mit Hang zum Konkurs, sondern ein endloser dynamischer Transformationsprozess, in den ständig Energie in Materie und umgekehrt umgewandelt würden – in immer neuen Formen und Möglichkeiten.
- Wir als Menschen wären keine Schädlinge oder Saboteure in dieser Dynamik, sondern aktiver, kreativer TEIL des Ganzen.
- Die Sonne, dieser ziemlich verlässliche Fusionsreaktor (Laufzeit ca. 5 Milliarden Jahre) bringt uns so viel Energie auf die Erde, dass wir ein hunderttausendfaches dessen zur Verfügung hätten, was wir als technische Zivilisation jemals „verbrauchen“ könnten. Zum Leben und Überleben brauchen wir nur Energie (reichlich) und Moleküle (üppig), und die Fähigkeit, aus Beidem immer das Neue zu schaffen.
- Stellen wir uns vor, „die Ökologie“ wäre nicht teleologisch auf einen fixierten Endzustand der Balance hin ausgerichtet. Sondern auf Blühen, Gedeihen, ständige Innovation. „Cradle to Cradle braucht ein echtes Verständnis von Innovation, Qualität und Schönheit“, sagt Braungart. Wenn man aus der Knappheit heraus in die Zukunft denkt, wird alles zu einem Verteilungskrieg. Statt sich darum zu kümmern, dass die Fülle die uns umgibt, intelligenter organisiert und weiter gestaltet wird, klammern wir an der Panik fest, es könnte „nicht reichen“. Das führt zu engstirnigen Weltkonstruktionen, in denen wir uns in Ängsten verlaufen.
“
„I’ve seen too many activists hold the heaviness of the climate clock within them, a well meaning martyr complex that prevents the intake of abundance.”
Rebecca Solnit
Die Faltung der Welt
Wie aber gehen wir mit dem Wachstumsparadox um, dem tragischen Dilemma unserer Tage? Das Ökologische ist ja auch deshalb so unter Druck geraten, weil es der Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum im Wege zu stehen scheint. Ökologische Theorien sind fast immer Schrumpfungstheorien.
Ist am Ende Ökologie immer nur „für die Reichen“ da – diejenigen, die sich einen Verzicht auf Öl und Kohle und Gas „leisten können“?
Um aus dieser blödsinnigen Denk-Falle herauszukommen ist ein wenig intelligente Magie gefordert.
In seinem Buch „Die Faltung der Welt“ benutzt der Chaosforscher Anders Levermann – er arbeitet beim Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung – die Metapher eines GOLDENEN SCHNATZES als Wandlungs-Agent. Der Schnatz ist ein magischer Ball, der bei den Quidditch-Wettbewerben im Harry-Potter-Universums als Spielball dient. Ein Ball, der seine Flugrichtungen blitzschnell ändern kann, mit situativer Intelligenz. Wenn man einen fliegenden Besen hat – und das sollte mit moderner Technik heute eigentlich möglich sein – wird daraus ein mehrdimensionales Spiel, das richtig spannend ist.
„Was geschieht, wenn wir dem Goldenen Schnatz nicht nur die Möglichkeit geben, sich frei zu bewegen, sondern auch die Möglichkeit, zu entscheiden, welche Richtung ihm gefällt? Wir können wohl annehmen, dass er dann NICHT in die Sonne fliegt. Manch ein Schnatz würde diesen Weg wählen. Aber wenn Schnatze Luft zum Überleben brauchen, dass würden sie die Atmosphäre sicher nicht verlassen. Sie würden die Grenze der Natur respektieren, und in der Nähe der Erde bleiben. Aber trotzdem „frei“ sein.“
Das klingt beim ersten Lesen ein bisschen bizarr. Es „framt“ aber systemisches Denken. Es verweist auf Selbstorganisationsprozesse, die in Natur und Kultur andauernd vorkommen.
Intelligenz ist die Fähigkeit, mit Hilfe von Begrenzungen höhere Komplexitäten und Möglichkeiten zu generieren.
„Ich glaube“, schreibt Levermann, „… dass der Gedanke von Reduktion und Verzicht die Sicht auf die eigentliche Aufgabe verstellt. Anstatt über Verzichtsideologien zu streiten oder über die Forderung, wir müssten irgendwie „zurück zur Natur“, müssen wir innovativ nach vorne Denken im Sinne einer dritten industriellen Revolution… „Zurück zur Natur“ hat seit Rousseau und der deutschen Romantik eine lange Tradition. Aber die Idee einer Gesellschaft, die auf dem Fundament der erneuerbaren Energien Wachstum und Wohlstand ANDERS definiert und generiert – das wäre eine wirkliche Transformation in die Zukunft.“
Levermanns Ansatz definiert „Faltung“ als jenen Prozess, in dem ein System – in diesem Fall die „fossile Zivilisation“ – fraktales Wachstum erzeugt. Auf diese Weise entsteht ein erweiterter Möglichkeitsraum IM endlichen Raum. Wie im TARDIS, jener Raum-Zeit-Maschine aus dem englischen Fernsehen, die innen viel mehr Platz hat als in ihren äußeren Dimensionen.
Nach diesem Prinzip der Faltung funktioniert übrigens auch das menschliche Hirn. Da unsere Hirnmasse im Verlauf der Evolution an die Grenzen der Schädeldecke gestoßen ist (ein größerer Schädel würde zum Aussterben führen, weil der Geburtskanal nicht mehr erweiterbar ist), „faltet“ sich das Hirn, um seine innere Dichte und seine Möglichkeiten zu erweitern. Das hat letztendlich zum Wunder des Bewusstseins geführt – unsere Hirnmasse ist durch die Faltung dermaßen „komplexiert“, dass darin ein ganzes Universum stattfinden kann.
Kennen Sie das Gefühl, ein ganzes Universum in ihrem Kopf zu haben?
Sehen Sie, es funktioniert!

Positive Kipppunkte: Das Beispiel E-Mobilität
Ein handfestes Beispiel für die Zukunfts-Rekursion des Ökologischen ist die Elektro-Mobilität. Elektroautos werden heute in so gut wie allen Medien unablässig in Grund und Boden geschrieben. Oft höhnisch und mit einem „Siehste“-Duktus. Irgendwas lässt sich immer finden, um zu begründen, dass der Übergang zur E-Mobilität völlig unmöglich ist. Elektroautos sind fahrende Sündenböcke, die dazu dienen sollen, die Transformation, die vor uns steht, als unmöglich darzustellen.
Ich fahre seit 2010 Elektroautos. Mit meiner Familie habe ich so ziemlich alle Modelle ausprobiert. Zuerst lustige Plastikdosen wie den norwegischen „Think“ mit 90 Kilometer Reichweite und 20 Stunden Ladezeit. Ein Schlumpfmobil – die Passanten blieben stehen und lachten. Dann die Sparautos für Öko-Pioniere mit klingenden Namen wie Miev oder Leaf. Schließlich den Pseudostromer Ampera von Opel, der mit einem kleinen Benzinmotor seinen eigenen Strom erzeugte, dabei aber ziemlich gut aussah (das Konzept kommt heute zurück). Dann ging es los mit den Teslas, mit denen alles ganz anders wurde. Man muss es trotz Elons Totalabsturz leider sagen.
Mit Hilfe von Elektronen bin ich nach Kilometern inzwischen einmal zum Mond und zurück gefahren. Ich bin kein einziges Mal stromlos liegengeblieben. Notfalls tat es auch eine einfache Steckdose in einem Ferienhaus. Heute lade ich an den Chargern, die übrigens überall zu finden sind, wenn man sich nicht komplett dämlich anstellt, in 13 Minuten 250 Kilometer. Ich komme gar nicht mehr zum gemütlichen Kaffeetrinken, wie früher, als die Ladezeiten noch deutlich länger waren. Ich vermisse das: Mit dem elektrifizierten Fahren wurde das Autofahren wieder zum entspannten Reisen anstatt zur Hetzstrecke auf der linken Spur. Man kann mit diesen Gefährten wunderbar gleiten.
Das E-Auto-Beispiel zeigt drastisch, wie sehr negative Erwartungen die Wahrnehmung nicht nur trüben, sondern ersetzen. Immer, wenn ich über das Thema mit Menschen spreche, lande ich in einer völlig anderen fiktiven Welt:
- Die Batterien sind ja bald hin (meine hat nach 200.000 km noch 91 % Kapazität).
- Es gibt ja viel zu wenig Ladestationen (die Dauerausrede).
- Man kommt mit den Dingern doch nicht weiter als 150 Kilometer im Winter (sind alle Norweger blöd?).
- Die Chinesen werden uns bald den Lithium-Hahn zudrehen.
- Dass ist doch viel zu teuer! (Stimmt inzwischen immer weniger).
- Die sind doch viel umweltschädlicher als jedes Verbrennerauto.
www.wiwo.de/unternehmen/auto/batterierecycling-akkus
Und so weiter. Es ist wie, wenn man mit Zeugen Jehovas um das bevorstehende Armageddon streitet: Aber wir WISSEN doch, dass es wahr ist! Erstaunlicherweise teilen auch manche meiner grünen Freunde solche Ressentiments. Nur mit einer anderen Begründung: E-Autos seien ja AUCH Autos. Und als solche auf keinen Fall „nachhaltig“.
Lange Zeit habe ich mich echt geärgert. Wie kann man nur so ignorant, so wandelfeindlich, so informationsrenitent sein?
Aber auch hier möchte ich eine Prognose wagen: es wird so nicht bleiben.
Bei allen echten Neuerungen gibt es zunächst eine massive Abwehr. Das Neue fordert immer einen Änderungs- Aufwand, es stört alte Gewohnheiten, erlernte Deutungsmuster, auf denen man beharrt, in denen man sich gemütlich eingerichtet hat. Aber mit fortschreitender Verbesserung entsteht irgendwann ein „Tipping Point“, in dem die Meinungs- und Wahrnehmungs-Systeme ziemlich schnell umkippen.
Dieser Punkt wird ab einer kritischen Masse von etwa 40 Prozent E-Auto-Käufern entstehen. Das ist die so genannte „Transformative Minderheit“. Die noch verbleibende Mehrheit kommt dann unter Deutungsdruck. Sie fühlt sich plötzlich benachteiligt. Man wird regelrecht wütend, dass man eine solche alte Schraube noch fahren muss. Man wittert Statusverlust. Wenn so viele umsteigen – mache ich dann womöglich einen Fehler? Bin ich benachteiligt?
Neid hilft dem Wandel.
Sinnvolle technische Innovationen funktionieren häufig nach dem Prinzip der REVERSEN AFFINITÄT: Am Anfang sind viele dagegen. In zwanzig Jahren werden wir rückblickend darüber lächeln, wie wir es damals so toll finden konnten, mit explodierenden Flüssigkeiten herumzufahren. Und natürlich wird es auch dann noch Verbrenner-Autos geben: Als nostalgische „Kutschen“ oder illegale Provokationen.
Es gibt ja auch heute noch Pferde. Und Böller.
Eine einmal etablierte Technologie setzt sich auf vielen Pfaden durch: Wussten sie, dass Äthiopien einen regelrechten E-Auto Boom erlebt. In der Hauptstadt Addis Abeba werden fast nur noch Elektroautos verkauft. Nicht unbedingt, weil es ökologisch oder modisch ist. Das Land kann sich keine großen Importe von Öl leisten, hat aber Elektrizität im Überfluss.
www.spiegel.de/auto/elektroauto-wunder

Ich bin sicher: Das elektrifizierte Auto wird den Sieg davontragen. Schon aufgrund der Tatsache, dass ein Elektromotor ungleich effizienter und auch kraftvoller ist als ein kompliziertes Pleuelgestänge mit integrierter Explosion.
Wir werden uns wundern, wie schnell das dann gegangen ist.
Man nennt das übrigens Fortschritt. Es passiert immer wieder.
Ob wir daran glauben oder nicht.
Von Grün zu Blau: Metamoderne Ökologie
Bleibt die Frage, ob auch das „politische Grün“ ein Comeback erleben wird. In Form relevanter Wahlergebnisse und einer Image-Renaissance für die Grünen.
Natürlich soll man nie nie sagen. Aber vielleicht kommt es auch gar nicht mehr darauf an. Vielleicht müssen sich die Grünen (wie eigentlich alle Parteien) erstmal zerlegen, sich im größeren Ganzen auflösen und sich dadurch von ihren inneren Paradoxien befreien, bevor sie wieder wirkmächtig werden können.
Was sich schließlich durchsetzen wird, ist die Blaue Ökologie. Das tiefe, leuchtende Blau der Erdatmosphäre aus dem Weltall. Das Blau als Symbolfarbe der Technologie, der Innovation. Des Wasserstoffs, der Hoffnung, der Weite …
Was ist der Unterschied?
Die grüne Ökologie sucht die Einschränkung. Blaue Ökologie sucht die Erweiterung der Möglichkeiten.
Grüne Ökologie bevorzugt das Kleine, Idyllische, Alternative – die „Eutopie“, in der man für sich selbst „authentisch“ sein kann. Auch im Blau-Ökologischen spielt das Lokale, Konkrete eine Rolle. Es geht aber darum, aus der Position der handelnden Praxis, des „Doing Future“, eine Linie zum globalen Horizont zu ziehen.
Das Grüne negiert das Technische eher und fürchtet sich vor ihm.
Das Blaue sucht die Ergänzung menschlicher Fähigkeiten durch eine humane(re) Technologie.
Das Grüne will zurück zur Natur. Das Blaue will, auch wenn das derzeit kein schöner Begriff ist, einen neuen „Deal“ zwischen Mensch und Natur. Eine Übereinkunft. Ein Win-Win-Spiel im Sinne gegenseitigen Respekts.
All das wird sich fügen, ob wir es grün, blau oder lilabunt nennen. Wie alles wahrhaft Zukünftige.
PS: Die besten „blauen“ Öko-Modernisten sind Frauen.
Hannah Ritchie von der Datenplattform ourworldindata,
Florence Gaub vom Strategie-Think-Tank der Nato,
Maya Göpel, auf der Suche nach der dem gesellschaftlichen Kern des Ökologischen.