141 – Der Spirit der Zukunft
Eine Antwort auf die Frage, wie Zukunft eigentlich entsteht.
Und wie sie in die Welt hineinwirkt.
Matthias Horx, Mai 2025
„The past is history.
The future ist a mystery.
The presence is a gift.”
„Die Vergangenheit ist Geschichte.
Die Zukunft ist ein Mysterium.
Die Gegenwart ist ein Geschenk.”
Deepak Chopra, Winnie the Poo, oder Alice Morse Earle (1851–1911)
Für manches gibt es bessere Worte im Englischen als im Deutschen. Zum Beispiel „spirit“: Man könnte dieses Wort in „Geist“ übersetzen. Oder in „Geisteshaltung“. Irgendwann landet man bei „Stimmung“. Dann ist das Wort endgültig kaputt.
„Spirit“ ist ein Wort, das man spüren muss.
Es geht um den „Future Spirit“. Die Art und Weise, wie wir mit der Zukunft umgehen. Wie die Zukunft in uns wirkt und entsteht. Und wie wir uns durch sie in die Welt hineinverwandeln.
Wir leben in einer Zeit, der die Zukunft abhandengekommen ist. Bis vor einigen Jahren war sie noch als eine Vorstellung dessen, wohin die Welt geht oder gehen soll, existent. Jetzt hat sie sich beleidigt hinter den Horizont zurückgezogen, von wo aus sie uns mit endlosen Untergängen und Katastrophen droht.
Profan gesagt: Wir wissen nicht mehr, wo’s langgeht.
Trotzdem, oder gerade deshalb, wird das Wort ZUKUNFT unentwegt benutzt und wie eine Art Fetisch beschworen. Es wandert durch die Marketing-Broschüren, Management-Kurse, Politiker-Reden, durchtränkt die IT-Beilagen der Restmedien, die Papiere der Lobby-Organisationen, die damit irgendetwas fordern wollen. Aber das Wort ist seltsam hohl geworden. Es bedeutet nichts mehr, es meint nur.
Interessant ist, wie sich die Zukunft in den Reden der neuen Berliner Koalition anhört. Die ZUKUNFT (immer in Versalien) wird endlich beginnen, wenn „Wir wieder mehr arbeiten!“. Wenn „der Konjunkturmotor wieder anspringt“ und „die Wirtschaft nicht mehr stottert“. Das klingt voll und ganz nach Verbrennungsmotor. Nach Schornsteinen, die wieder rauchen. Es ist die Sprache, die Denkweise, die Mentalität des fossilen Industriezeitalters, in der wir uns irgendwie verheddert haben.
Wachstum ist gut. Dynamik brauchen wir, damit die Welt sich wandeln kann. Aber welches Wachstum? Welche Dynamik? Das Beispiel USA zeigt, dass die Wirtschaft boomen kann, während die Gesellschaft von innen heraus kaputtgeht. Ohne Gesellschaft keine Wirtschaft, aber beides trennt sich offenbar voneinander ab.
In der Gesellschaft hat sich längst ein anderer Spirit entwickelt, was die Arbeit betrifft. Jenseits der „Maloche“-Kultur, die das Industriezeitalter prägte – mit ihren Stechuhren, Anwesenheit und Lohnfortzahlung, löst sich das alte Modell der Lohnarbeit langsam auf. Die alte Arbeitswelt erodiert von den Rändern her, wo Arbeit öde und entfremdet und unverschämt ausbeuterisch ist. Aber auch und gerade bei den „guten“, den bezahlten und produktiven Jobs geht es immer mehr um Zeit und Souveränität. Um Sinn. Um die Suche nach einer Balance des Lebens zwischen dem Sozialen, dem Kreativen und dem Produktiven. Überall dort, wo sich dieser „Geist“ nicht realisieren kann, werden die Menschen krank, gestresst, oder unglücklich unproduktiv.
Dass unsere Wirtschaft derzeit nicht wächst, hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir das Produktive immer noch am alten Industriemodell festmachen. Zurück in die Vergangenheit, das ist ja derzeit sehr angesagt. Nur funktioniert es nicht. Deshalb stagnieren wir.
Der Fetisch der Technologie
Einen garantierten Lacher (oder Gröhler) kann man auf Zukunfts-Konferenzen aller Art erzielen, wenn man das FAX erwähnt. Dieses Gerät ist schuld daran, dass wir uns nicht längst in einem Turbo-Boom und Super-Fortschritt befinden. Mit anderen Worten: es verhindert, dass die richtige, die geile Zukunft beginnt.
Wirklich?
Ich möchte nicht als Ketzer dastehen. Aber ich habe mich entschlossen, mein altes Fax aus dem Keller zu holen und reparieren zu lassen. Es gibt ja jetzt diese Repair-Shops, und auch eine einfache Adapter-Lösung, um ein analoges Gerät an schnelle Datenleitungen anzuschließen.
Vielleicht ist das Faxgerät (ähnlich wie das „dumbphone“, das gute alte Tastenhandy à la Nokia) heute so etwas wie ein Gerät des subversiven Widerstands gegen eine falsche Zukunft. Es symbolisiert eine Technologie, in der man irgendwie noch die Kontrolle behielt. Und mit Kommunikation tatsächlich Dinge bewegen konnte. Das Fax markiert eine Phase der Kommunikations-Technologie, die noch nicht von Überkomplexität und Echoeffekten plus riesiger Konzerninteressen überformt war. Vielleicht klammern deshalb so viele an ihm fest.
Wir leben heute in einem großen, uneingelösten Versprechen: Mit der radikalen Digitalisierung wird endlich alles ganz easy. Wir müssen nie mehr zum Amt oder zum Arzt gehen, alles geht vollautomatisch und hypereffizient …
Wirklich?
Womöglich ist das Gegenteil der Fall: Digitalisierung schafft unentwegt neue Schnittstellen, schlägt Brüche in bewährte Abläufe und menschliche Kommunikationsweisen, die dann mühsam wieder durch Handarbeit, Koordinationsbastelei ausgebügelt werden müssen. Allein für eine Terminkoordination schreiben wir heute achtzehn Mails, die wir dann im Wust des Browsers nicht mehr wiederfinden (Na klar, es gibt „intelligente“ Programme dafür, aber dann wird es noch komplizierter). Ständig sind wir damit beschäftigt, irgendetwas in Masken und Tabellen und Listen einzugeben. Codewörter. Passwörter. Persönliche Daten, 18-stellige Nummern. Immerzu müssen wir unser Einverständnis wegklicken, dass wir unsere Daten bedingungslos zur Verfügung stellen: consent, consent, consent …
Irgendwie sind WIR SELBST zu den Bürokraten geworden, die wir eigentlich abschaffen wollten …
Die schottische Statistikerin und Zukunftsforscherin Hannah Ritchie (ourworldindata.org), Autorin des Buches „Hoffnung für Verzweifelte“, hat den Begriff der MOLOCH-FALLE erfunden. In einer Molochfalle (Moloch ist die Bezeichnung für einen antiken Opfergott) wird man gezwungen, etwas zu tun, was man eigentlich vermeiden will, aber nicht vermeiden kann, wenn man weiter mitspielen will.
Das Buch „Hoffnung für Verzeifelte” ist u.a. erhältlich bei www.amazon.de (Affiliate Link – Offenlegung).
Die Rennradfahrer – man denke an Lance Armstrong und Jan Ullrich – mussten dopen, weil sie sonst gar nicht erst bei der Tour de France hätten antreten könnten. Das ganze Sportsystem driftet in Richtung eines Doping-Systems (amerikanische Milliardäre bieten jetzt die Lösung an: eine Olympiade für Super-Doper, die „Enhanced Games“).
Im Internet müssen Frauen einen digitalen Schönheitsfilter benutzen, sonst werden sie unentwegt weggeklickt und gesperrt. Kinder müssen ab acht Jahren ein pornofähiges Smartphone besitzen, um nicht gedisst oder gemobbt zu werden. Politiker, selbst vernünftige, müssen ständig blödsinnige populistische Rhetorik raushauen, weil sie sonst in der Aufmerksamkeits-Digitalität keine Chance haben. Jeder Journalist muss in Sachen Sensation, Zuspitzung, Übertreibung, Schlechtreden, Angstmachen oder nackte Profanität noch einen draufsetzen. Sonst wird er schnellstens von der KI ersetzt.
Wird er aber sowieso.
Künstliche Illusionen
Ganz vorne im Kanonenboot der Zukunft befindet sich derzeit die „Künstliche Intelligenz“. Die wird, wie man in zahlreichen flammenden ZUKUNFTS-Traktaten hören kann, alle Probleme einschließlich des Schlamassels, das uns die Digitalisierung eingebrockt hat, demnächst lösen. Durch ihre rasende Intelligenz und überlegene Klugheit. Neuerdings auch durch ihr charmantes Schmeicheln.
Wirklich?
KI ist, so wie sie heute entwickelt wird, ein monströses, parasitäres Experiment mit der menschlichen Integrität. Sie ist entstanden durch einen Akt universeller Plünderung. Die KI-Systeme, die heute von gigantischen Konglomeraten als nächstes Super-Monopol entwickelt werden, haben schlicht und einfach das gesamte Internet in sich aufgesaugt. Alles, was je von Menschen geschrieben, gezeichnet, gemalt, gestaltet, gesungen und getanzt wurde, wurde enteignet. Daraus wird die Illusion fabriziert, man könnte durch eine Maschine (einen stochastischen Papageien) alles lösen. Indem man alles delegiert. Oder „rationalisiert“. Denken, Analysieren, Wissen. Intelligente binäre Systeme können angeblich demnächst „intelligenter als Menschen“ entscheiden.
Könnte es sein, dass wir uns da – wieder einmal – in eine neue Erlösungs-Phantasie hineingeschossen haben, die religiöse Züge trägt? Eine Technologie soll uns erlösen in ein Himmelreich des Komforts, der Nichtanstrengung, der unbegrenzten Produktivität. Sowas hatten wir vor Kurzem schon mal, in der Illusion der befreienden Vernetzung durch Social-Media. Auch das hat ziemlich wehgetan.
Wir leben in einer „unreifen Technospähre“, wie die Kosmologen Adam Frank & David Grinspoon formulieren. Die KI ist der Opfergott, der Dämon unserer Zeit. Ein dunkler Mythos, der den Kern des Menschlichen bedroht. Seine geistige, mentale, emotionale Autonomie. Was wir brauchen, ist nicht eine künstliche, sondern eine humanistische Intelligenz, die lernt, mit den Möglichkeiten stochastischer Maschinen im Sinne des menschlichen Spirits umzugehen. Im Sinne einer Selektion zum Brauchbaren, Machbaren, Haltbaren. Einer echten Co-Evolution von Technik und Mensch.
Ein Fax verwandelt Geschriebenes in eine Botschaft „one to one”. Man sendet oder empfängt, ohne in irgendeine Plattform gezwungen zu werden, aus der man dann nicht mehr herauskommt. Es gibt einen Sender und einen Empfänger. Man muss nicht sofort antworten, und man kann nicht sofort alles umschreiben. Das Fax piept, wenn es loslegt. Und klingelt, wenn es fertig ist. Und gut ist. Den Geist des Faxes sollten wir uns irgendwie bewahren.
Die Mondfahrt
Auf eine magische Weise ist „Zukunft“ immer auch mit WELTRAUM verbunden. Im neuen Kabinett sitzen gleich mehrere MinisterInnen, die unbedingt ins All wollen. „Deutschland auf dem Mond – darin liegen riesige Chancen!“ Für was? Na klar: für die ZUKUNFT!
Ja. Aber warum?
Als Beispiel wird gerne die amerikanische Mondlandung genannt, die vor 60 Jahren die Wirtschaft anfeuerte und den Amerikanern, ja der ganzen Welt, Zusammenhalt und ZUKUNFT gab.
Ich kenne mich da ein bisschen aus, weil ich selbst sozusagen ein Kind der Mondlandung bin. Als Neil Armstrong seinen Fuß in den Staub des Mondes setzte („ein kleiner Schritt für die Menschheit …“), war ich 14 Jahre alt, der Fernseher war schwarzweiß und hatte einen hartnäckigen Bilddurchlauf. Es war eine Zeit voller Wunder und Geheimnisse. „Zukunft“ war einerseits voll und ganz gegenwärtig, in Technologien, die in schneller Folge auf den Markt und unter den Weihnachtsbaum kamen (Autos! Stereoanlagen! Nogger Eis!). Andererseits blieb sie eine magische Verheißung, ein Mysterium, das noch nicht ausgemessen war. Gerade weil das „All“ so unscharf war, eben irgendwie „alles“, blieb es eine gloriose Verheißung.
In seinem Buch„Zukunftslärm” nennt Bernhard Fischer-Appelt das „eine fiktionale Energie, die Kennedy nutzte, um sein emotional politisch festgefahrenes Land aufzuwecken, um aufzubrechen”.
Das Buch „Zukunftslärm” ist u.a. erhältlich bei www.amazon.de, (Affiliate Link – Offenlegung).
Aus heutiger Rück-Sicht gab es auch andere Seiten: Das Projekt der Mondlandung hatte mindestens genauso viel mit dem Kalten Krieg und dem Rüstungswettlauf zu tun wie mit Wissenschaft, Forschung und heroischen Zielen. Es war auch eine Art Heilungsversuch: Der Vietnamkrieg hatte das amerikanische Selbstbewusstsein zutiefst verunsichert, die Nation gespalten – das Super-Projekt sollte den Spirit wiederherstellen. Der hatte allerdings auch etwas mit Eroberung und Dominanz zu tun.
Die Mondlandung hatte trotzdem einen wunderbaren menschlichen Spirit. Sie war ein besonders schönes Beispiel dafür, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie über alle Grenzen und Unterschiede hinweg kooperieren. Was wirklich zukünftig war, war das Zusammenwirken zwischen mehr als 80.000 Menschen: Menschen aller Kulturen, aller Sparten, vom Elektronik-Ingenieur über schwarze Quoten-Frauen bis zum Hausmeister in Cape Canaveral, wie die „Moonbase“ damals noch hieß, kamen zusammen und bewältigten eine ungeheure Herausforderung (es gibt wunderbare Filme dazu, z.B. „To the Moon“ oder die Alternate-History-Serie „For All Mankind“, in der die Frauen das Space-Programm erobern).
Mit Apollo 17 im Jahr 1972 ging das Mondprojekt zu Ende. Plötzlich war es nicht mehr aufregend, im Regolith zu stapfen oder wie ein Känguru bei 0,2 g herumzuhüpfen. Aber darauf kam es gar nicht an. Das wirklich Kostbare an der bemannten Raumfahrt war nicht die Ausbeute von Mondgestein, Raketentechnik und Teflon-Pfannen. Es war der Rück-Blick auf uns selbst, dieses WHOW der Selbsterkenntnis, das uns klarmachte, auf welchem wunderbaren blauen Planeten wir leben.
Ein Monat nach der ersten Landung fand das Woodstock-Festival statt. Die Mondlandung war auch der Beginn des Großen Wandels, des Aufbruchs, der nicht nur die Gesellschaften des Westens ergriff. Die Mondlandung war auch Initialzündung der Ökologiebewegung, eines anderen Verständnisses von Mensch und Natur. Und Kosmos. Sie wies weit über den technischen und politischen Raum hinaus, in ein neues Selbstverständnis der menschlichen Kultur.
Heute ist alles anders. Zahlreiche Weltraum-Programme sind auf dem Weg, die aber ganz anderen Zielen dienen. Sie sind nicht von einem gemeinsamen Geist des Aufbruchs beseelt. Es geht um monetäre oder militärische Zwecke, Machtkämpfe oder Werbeaktionen. Monopolinteressen, Eitelkeiten oder schlichten Größenwahn. Spätestens seit sich Elon Musk in einen Untoten verwandelt hat, ist die Weltraumfahrt in ihrem spirituellen Sinn tot. Unter seiner Ägide wäre die Reise zum Mars eine Zombie-Veranstaltung, eine bizarre Fernsehshow, schlimmer als Big Brother. Lauter Prominente, aber niemand kann sie mehr dort rausholen …
Und trotzdem: Zukunft braucht SPACE. Dass bis heute in der ISS, der internationalen Raumstation, Amerikaner, Russen und Europäer immer noch friedlich zusammenwohnen, ist kein Zufall. Es ist ein Zeichen. Wir brauchen diese vertikale Dimension, diese Sicht auf das Mysterium. Statt immer nur auf unsere Bildschirme zu starren sollten wir wieder unsere Köpfe erheben. Und in den Himmel schauen.
Allerdings müssten wir erst beantworten, was wir „dort“ eigentlich wollen. Ohne den Spirit gibt es keinen Aufbruch. Nur Geldverschwendung.
Zukunft als Fülle
Die amerikanischen Journalisten Ezra Klein und Derek Thompson haben ein Buch über die Frage der Zukunft geschrieben, das im liberalen Teil Amerikas eine kräftige Debatte ausgelöst hat. Es heißt „Abundance“ – Fülle. Es handelt von der ketzerischen These, dass die Zukunft üppig ist. Es ist genug für alle da. Alles wird besser werden.
Klein und Thompson gehen von der scheinbar paradoxen These aus, dass das eigentliche „Problem“ der spätindustriellen Gesellschaften das Knappheitsdenken ist, das tief in unseren archaischen Seelen verankert ist. Ständig gehen wir vom Mangel aus. Mangel an Natur. Mangel an Moral. Mangel an Glück. Mangel an Ressourcen, Wasser, Wohnungen, Geld, medizinischer Versorgung, Energie. Bei allem gibt es ein ewiges „Zu wenig“.
Supermärkte gibt es erst seit zwei Generationen. Warum können wir uns nicht über ihre Existenz freuen. In ihrer Fülle wohlfühlen, statt immer nur nach dem niedrigsten Preis zu rennen?
Die Angst vor der Knappheit hat tiefe Wurzeln. Millionen Jahre lang haben Menschen ausschließlich in existentiellem Mangel gelebt. Unsere Vorfahren überlebten immer nur am Rande des Aussterbens. Sie mussten unablässig kämpfen: für Nahrung, für Wasser, gegen wilde Tiere und Nachbarn. Der Mangel ist sozusagen in unserer (kollektiven) Psyche eingebrannt.
Klein und Thompson skizzieren eine Welt, in der der Mangel aufgehoben und die Fülle wirksam werden kann: Erneuerbare Energie wird immer billiger, intelligente Systeme ermöglichen eine CO2-freie Zivilisation, die in der Lage ist, die Nahrungs-, Wohn- und Mobilitätsbedürfnisse einer nicht mehr wachsenden Weltbevölkerung zu befriedigen. Im „Abundance“-Szenario wachsen Ökologie und Ökonomie zusammen, „ein Ökoparadies mit Kühlschränken voller Früchte von regionalen vertikalen Farmen und Fleisch aus Zellkulturen; mit von synthetischen Treibstoffen angetriebenen Flugzeugen, mit denen man um die Welt jetten kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.“ (FAZ 11. Mai 2025, „Zurück in die Zukunft”, Harald Staun).
Warum wirkt das heute so naiv, so lächerlich?
Klein und Thompson beklagen den Verhinderungs-Mechanismus, mit dem gerade progressive Menschen Veränderungen unterbinden. Während die Linke vor allem mit Knappheits- Schuld- und Gerechtigkeits-Rhetoriken argumentiert und Botschaften des Verzichts propagiert, die weder attraktiv noch effektiv sind, stockt das, was wir früher Fortschritt nannten. Solarfelder oder Windkraftwerke werden durch Naturschützer verhindert. Die Mentalität des Progressiven hat sich auf Drohung und Verhinderung spezialisiert. Folgerichtig übernimmt die radikale Rechte die Deutungsmacht des Möglichen, indem sie alle Rücksichtsnahmen und Bedenken abschaffen will. Das Vitale, Kreative, Schöpferische wandert so in den reaktionären Bereich.
Ein Spirit der Fülle könnte uns aus vielen Fallen des alten Zukunftsdenkens herausführen. Er könnte helfen, unser Weltverhältnis nicht mehr als grundlegend defizitär und schuldhaft (wie in der christlichen Idee der „Ursünde“) zu definieren. Vom Hügel der kommenden Fülle aus können wir vielleicht sogar auf vieles leicht verzichten, was uns nicht guttut. Wenn genug für alle da ist, müssen wir nicht noch mehr hineinfüllen, bevor es nicht mehr verfügbar ist.
So könnte eine neue Zukunfts-Gelassenheit entstehen, die uns wieder in einen future spirit zurückführt, in dem echter Wandel möglich wird. Dazu benötigen wir jedoch eine spirituelle Öffnung, die uns aus der Enge der Gegenwart befreit.
Der Papst- Effekt
Die Zukunft ist ein scheues Reh. Wenn man sie allzu sehr propagiert, anschreit, herbeizwingen will, verschwindet sie im dunklen Wald der Zeit. Sie wird dann zu einer Ideologie, an der man nur scheitern kann.
Die Zukunft ist auch keine Lokomotive, die aus einem dunklen Tunnel auf uns zurast und uns überfährt. In diesem weitverbreiteten Bild steckt ja immer etwas Passives, Verweigerndes. Wir negieren unseren Anteil an der Zukunft. Unsere Kraft, sie in uns selbst in Verbindung mit anderen zu verwirklichen. Als Synchronisation von Hoffnungen, Narrativen, Sehnsüchten, die zur Verwirklichung drängt.
Diese Denkweise nennen wir den Humanistischen Futurismus.
Oder wie der Kognitions- und Neurowissenschaftler Anil Seth formulierte:
We predict ourself into existence.
Zukunft braucht eine überzeitliche Spiritualität (nicht zu verwechseln mit Mystik oder Magie). Spiritualität ist die Erfahrung des Verbundenseins. Sie ist auch das Erleben der Ganzheit der Welt in ihrer Verbindung mit der eigenen Existenz.
Zukunfts-Spiritualität ist das Bewusstsein des Zusammenhangs von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft im eigenen Selbst.
Man könnte auch sagen: die Erfahrung der Überzeitlichkeit.
Zukunft beginnt, wenn wir wieder Staunen können, was alles möglich wird.
PS: Ist es nicht seltsam, dass mitten in einer tiefen Kirchenspaltung plötzlich weißer Rauch aufsteigt, und jemand Papst wird, der etwas Neues repräsentiert. Etwas jenseits der Polaritäten (in der Systemsprache heißt das Emergenz). In den Tagen nach der Inauguration von Leo XIV gab es plötzlich Friedensschlüsse, wie die Auflösungserklärung der türkischen PKK, oder der Waffenstillstand Indiens und Pakistans, die sich schon wieder am Anfang eines All-out-Wars befanden. „Did the Pope pope-ing?“, fragte Dylan Page, ein 15-Millionen-Follower TikTok-Influencer. Er nannte es den „Pope-Effekt“. Natürlich, es kann auch Zufall gewesen sein. Aber etwas ver-wandelte sich. Es ist schön, dass auch die Altreligiösen das noch können. Wie war das mit dem „holy spirit“?
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Bei Nachdruck-Anfragen wenden Sie sich bitte an Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com