151 – Die Rückkehr der Spontis

Protest als ironisch-politische Form kehrt wieder.
Aber hat das auch Zukunfts-Chancen?

Matthias Horx, Oktober 2025

Ach, wie schön das ist. In den USA gibt es sie wieder, die wunderbar bunten Protest-Demonstrationen, die ich aus meiner Jugend in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kenne. Verkleidungen, Straßentheater, Kostüme, Pappkameraden, trommelnde Musik, Tiermasken – eine Rebellion des Vergnügens. Und die „Parolen“ sind eben keine klassisch politischen. Es sind einfallsreiche Memes, die zum Schmunzeln anregen.
Wer schmunzelt, oder viele schmunzeln lässt, gewinnt. So haben wir es als junge Boomer in Europa erlebt und gelebt. Unsere Sponti-Sprüche, von denen es tausende gab, hörten sich so an:

„Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“
„Die beste Nation ist die Resignation.“
„Die nächste Steinzeit kommt bestimmt!“
„Keine Macht für niemand. (Außer mir und Evelyn!)“

Sponti-Sprüche

Auf den US-Demonstrationen vom Wochenende des 18. Oktober 2025 ging es ähnlich lustig zu:

„Trump – the worst President since Trump.“
„No Kings except Burger Kings.“
„NO Kings, Crowns and Cry Babies.“
„No Kings. Maybe Queens.“
„MAGA = Morons Are Governing America“
„I like Taters (Kartoffeln) not Dictators (Boston).“
„Real Clowns would run Things better!“
„No Hope without Hop (Bild eines Frosches, ein Icon der Anti-Trump-Bewegung).“
„We dumped Tea for less!“
„Fuck ICE, deice ICE (auf einem wandelnden Pinguin).“
„Humpty Dumpty is no King.“ (Spielt auf Humpty Dumpty an, das sprechende Ei, das, wenn es fällt, sich nicht mehr zusammensetzen lässt).
„IKEA has better Cabinets (Regierungskabinett).“
„Let them eat Cake!“ (Trump mit Marie-Antoinette-Perücke)
Und so weiter. Das Netz ist voll davon. Macht gute Laune. Aber hilft es auch, die Demokratie zu verteidigen?

Kann man Diktatoren, angehende oder vollendete, in Grund und Boden lachen? Früher ging das. Die Jugendrebellionen der 70er und 80er hatten einen wesentlichen Einfluss auf den „Big Shift“, den Großen Wertewandel, dem wir die offene, vielfältige, plurale Demokratie verdanken (oder verdankten)? In meiner Studentenzeit fielen die europäischen Diktaturen – die es damals tatsächlich noch gab, in Spanien, Griechenland, Portugal etc. -, eine nach der anderen. Es war eine breite Bewegung der gesellschaftlichen und ideenhaften Vielfalt, ein geistig-mentaler Aufbruch, aus dem ein zukunftsweisendes MOMENTUM entstand. Ein Werte- und Lebenswandel, der die ganze Gesellschaft ergriff.

Heute hat das Momentum die Seite gewechselt. Der Unterschied ist, dass die andere Seite das Spiel nach anderen Regeln spielt. Flood the Zone with Shit. Lüge gründlich, hasse alle, selbst deine Buddies. Nutze die digitalen Medien zur Hetze und Manipulation, ohne mit der Wimper zu zucken. Notfalls rufe die Schlägertruppen. Oder gleich das Militär, die Heckenschützen.
Wut und Hass dominieren das Aufstandsgefühl der Rechten. Es geht um narzisstische Bösartigkeit, kombiniert mit raffinierter Dummheit. Allerdings ist auch das wiederum eine Einfallsschneise für die Kraft des Humors.
Der Kaiser hat keine Kleider an. Auf dieses wirksame Märchen kann man bauen.

Der verlorene Protest?

Dass Menschenketten, Demonstrationen und Blockaden, also die Instrumente gewaltfreien Widerstands, nicht mehr die Welt verändern, sondern eher Schießgefahr und Dauerknast hervorrufen, wissen wir seit vielen Jahren. Die Rebellen vieler Länder mussten das blutig erfahren. Türkei, Russland, Weißrussland, Syrien, Iran, Hongkong, Peking … die Liste ist lang und wird immer länger.

Spontiland ist abgebrannt.
Und die Hoffnung auf tanzende Verhältnisse ebenso.

Immerhin scheint es jetzt „von der Jugend aus“ wieder loszugehen, weltweit. Die Gen-X-Rebellionen in Peru, Madagaskar, Kenia, Indonesien, vielleicht auch in Serbien finden ein neues Selbstbewusstsein. In den Schwellenländern können Jugend-Aufstände Wirkung haben, weil die Jugendlichen über eine relative Mehrheit verfügen – ähnlich wie wir Boomer in den 70ern. Aber je näher man den alternden Gesellschaften kommt, desto mehr scheint die Regel zu wirken, dass Aufstände und Proteste hoffnungslos sind, wenn sich eine Gesellschaft innerlich bereits so weit zerlegt und zersplittert hat, dass das lauteste Geräusch nicht das Trommeln und Lachen ist, sondern das reaktionäre Grölen.
Oder wenn beides nicht mehr zu unterscheiden ist.

Die 3,5-Prozent-Regel, gefunden von der Politologin Erica Chenoweth, nach der sich Straßen-Rebellionen dann gesellschaftlich durchsetzen, wenn sie mehr als 3,5 Prozent der Bevölkerung zu Aktivisten macht, ist längst außer Kraft gesetzt. Diktatoren und Despoten haben gelernt, das rebellische Momentum im Keim zu ersticken. Es umzucodieren, ja sogar für die eigene Strategie zu nutzen.
Spätestens bei 2 Prozent wird geschossen. Ab 30 Prozent wird eingesperrt und gefoltert.
Das ist die Gretchen-Zukunftsfrage von allen: Was passiert, wenn die autokratische Staatsmacht zu schießen beginnt – und sich dadurch in eine echte faschistische Diktatur verwandelt? Wie bekämpft man Despoten, Tyrannen, Diktatoren, Hasserfüllte, wenn sie nicht nur die Polizei, die Gerichte und das Militär in den Händen haben, sondern auch die semantischen Codes, mit denen man Wahrheit infrage stellt und Hoffnung zerstören kann? Und ein mächtiges Spaltungs- und Manipulationsinstrument – die Ruinen jenes Mediums, das wir einst „Social Media“ nannten?
Es gibt darauf keine allgemeine Antwort mehr. Jedenfalls keine, die leichtfüßig wäre. Es wird, auch wenn es wieder lustig wird, ziemlich ernst.

Der Code der Rebellion

Spontane, also nicht-ideologische Rebellionen, arbeiten mit romantischen Memes, Symbolen der Sehnsucht und der Hoffnung. Ein Aktivismus der Zeichen, der subtilen Humor nutzt, um einerseits die alten politischen Ideologien zu überwinden. Und anderseits emotionale Energie zu erzeugen. Eine Oszillation des Wandels.
„Unter dem Pflaster liegt der Strand!“ war eine der romantischen Sponti-Hauptparolen. Damit war ironisch die (energetische) Möglichkeit der Gewalt (Steinewerfen) angesprochen – aber gleichzeitig die Überwindung der Gewalt durch das romantische Prinzip des Strandes.
Sponti-Rebellionen inszenierten die Macht der Machtlosigkeit, die Lust auf das Leben, die Freude an Vielfalt UND Selbstveränderung. Dazu gehörte auch, dass man sich nicht allzu sehr auf den Gegner fixierte. Nicht am Dagegensein kleben blieb. Sondern auch ein DAFÜR entwickelte. Eine eigene Autonomie. Einen Selbstwert-Stolz.

Irgendwie erscheint die neue amerikanische Demokratiebewegung noch ZU divers, ZU bunt, ZU verzweifelt, als dass man ihr zutrauen könnte, etwas zu drehen. Es wirkt noch wie ein Haufen zorniger, rührend verunsicherter Einzelner, die sich irgendwie selbst (noch) nicht ganz verstehen. Sie können das Momentum „Der Kaiser hat keine Kleider an“ nutzen. Aber das wird nicht ausreichen.
Jeder gesellschaftliche Wandel – und darum geht es, nicht nur um politische Macht – benötigt neben dem NO auch ein YES. Ein gemeinsames Gefühl für die Zukunft. Für das WOHIN.

Rebellische Bewegungen waren erfolgreich, wenn sie eine neue Sprache für die Welt entwickelten. Einen Code des Wandels. Und verschiedene gesellschaftliche Gruppen spontan zusammenführen konnten. Die Nelken-Revolution in Portugal (1974) gelang, als junge StudentInnen Blumen in die Gewehrläufe der jungen Soldaten steckten – die Gewalt war plötzlich ohnmächtig geworden und die Rebellion ins Liebevolle gekippt. Die Ökologiebewegung hatte ihren Durchbruch, als beim Atomkraftwerk Wyhl die Bauern 1975 mit in den Protest einstimmten. In Madagaskar wie Nepal solidarisierte sich das Militär mit den aufständischen Jugendlichen.
Der ermüdende amerikanische (Alp-)Traum hat die Menschen vereinzelt, die Codes, die die Gesellschaft zusammenhielten, zerstört. Es wird in Amerikas Zukunft darum gehen, ein neues WIR zu manifestieren, jenseits der individuellen Atomisierung. Dazu braucht es eine Bewegung, die nicht nur den Dissens betont, sondern den kommenden Konsens entwickelt.
Aber das wird kommen, ganz gewiss.


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