25 – Der Techlash ist da
Endlich!
Februar 2018
Vor zehn Jahren prognostizierte ich den „Digital Backlash”, den Punkt, an dem die unbegrenzte digitale Euphorie umkippt und sich Ernüchterung, aber auch eine segensreiche Revision breit machen wird. Nun hat es einige Jahre länger gedauert. Aber jetzt ist es soweit. Zum ersten Mal wird weltweit ernsthaft über die Folgeschäden der Sozialen Medien diskutiert.
Die Rolle von Facebook und Twitter in der Trump-Revolution brachte das digitale Fass zum Überlaufen: Kann ein Super-Medium sich vollkommen aus der Frage heraushalten, wie es benutzt wird? Kann das digitale Universum völlig frei von menschlichen Umgangs-Kriterien, von Moral und Wahrheitsfragen bleiben? Nach unendlichen Shitstorms, Cybermobbings, Hass-Blasen, Bot-Plagen und einer weitgehenden Zerstörung der gesellschaftlichen Diskurs-Fähigkeit reiben wir uns die Augen. Und realisieren plötzlich, was im Namen des Götzen Digitalisierung alles geschehen ist.
Das heißt auch, dass es Abschied zu nehmen gilt von den revolutionär-infantilen Euphorien, die mit dem Netz als Freiheitsbringer verbunden waren. Netz-Euphorie war lange Jahre lang so cool, dass Widerspruch zwecklos war. Auf vielen Konferenzen dominierten die stakkato-sprechenden digitalen Jünglinge, die dem andächtig lauschenden Publikum – „Wir sind ja leider keine digital Natives” – lauter wohlklingenden Cyber-Unsinn um die Ohren hauten. Irgendwas Schickes mit Internet der Dinge, Brain-Enhancing, Smart Mobs und rasender Künstlicher Intelligenz.
Bis vor kurzem galten die „Influencer” als die großen Popstars der Gegenwart. Jetzt hat zum ersten Mal ein Hotel (in Dublin) die Luft aus der Imagination herausgelassen, indem es einer Influencerin (Elle Darby) die Lizenz zum Schmarotzen entzog. Siehe: www.stern.de/neon.
Selbst Mark Zuckerberg hat heute eingesehen, dass der Wind sich gedreht hat. Er versprach in mehreren Interviews, Facebook radikal „umzubauen”. Nun gut, das kann auch eine Behauptung sein wie „Dieselaggregate werden immer sauberer”. Aber der Trend ist eindeutig und irreversibel. WIRED als Leitmedium des Digitalismus brachte eine Titelgeschichte über „The Great Tech Panic of 2017”, eine gründliche Abrechnung mit den hyperdigitalen Mythen. Längst herrscht eine Art digitaler Depression: In jedem amerikanischen Medium wird heute die Frage der seelischen Folgeschäden von Social Media und die Über-Macht der digitalen Monopolisten debattiert.
Fünfzehn Jahre stiegen die Tech-Aktien der großen Monopolisten (Apple, Facebook, Amazon etc.). Wetten, dass es in den nächsten Monaten dort steil bergab geht?
Viele Märkte des Digitalen stagnieren heute oder erfüllen ihre disruptiven Versprechen nicht. Das digitale Buch hat das Papierbuch nicht ersetzt. Bitcoin bleibt ein Hype (auch wenn Blockchain bleiben wird). Die Virtuelle Realität, der Megahype des vorletzten Jahres, ist in ein paar durchaus sinnvollen Simulationsanwendungen und einigen Spielen steckengeblieben. Ja, Menschen haben diese komischen Brillen auf, aber man kommt sich immer noch einsam in ihnen vor. Der digitale Kaiser steht bisweilen ziemlich nackt da.
Digitalisierung kann weder die Bildungsfrage noch das Gesundheitswesen „erlösen”, dazu braucht es klügere Systeme, nicht nur mehr Daten. Künstliche Intelligenz steckt in Wahrheit noch in einem embryonalen Frühstadium (aber schon fürchten sich alle rund um die Uhr). Wir ahnen, dass sich die hohen Erwartungen an das autonom fahrende Auto so schnell nicht erfüllen werden. Um Autos wirklich vollautomatisch fahren zu lassen, müssen wir alle Städte „digitalistisch” umbauen, und die Autobahnen dazu. Ist das wirklich die Zukunft? Oder nur der feuchte Folgetraum verunsicherter Automanager?
Nein, es geht nicht um eine neue Technikfeindlichkeit. Es geht endlich wieder um KONTEXTE. Um ein tieferes Verstehen des Verhältnisses zwischen Mensch und Technologie. Um digitale Erwachsenheit. Die Internet-Illusion bestand darin, dass man mit dem Digitalen das Menschliche und Zwischenmenschliche, das Bewährte und Analoge einfach ÜBERSCHREIBEN wollte. Diese Illusionen erinnern an viele andere Revolutionen, die sich am Ende als menschenfeindlich herausstellten. Aber ich bin zuversichtlich.
Immer in 20-Jahres-Zyklen kommt es zu einem großen Paradigmenwechsel. Das Pendel schlägt von einer eher linear-technizistischen Weltsicht wieder in eine Humanistische. Die Achtsamkeits-Bewegung mit ihrer Fragestellung, wie der menschliche MIND die Zukunft gestalten kann, statt sie zu erleiden, gewinnt an Stimme.
Die Fragen werden frisch gestellt:
„Wie können wir unsere Seelen vor der Überreizung schützen?”
„Wie können wir die paranoischen Epidemien stoppen, die den Populismus füttern?”
„Wie können wir BESSER DENKEN lernen – um die Zukunft besser zu gestalten?”
Und im Zentrum von allem: „Wie nutzen wir real-digitale Systeme für echten humanen Fortschritt?”
Noch einige Teil-Trends der digitalen Revision:
Facebook Fatigue
Social-Media-Plattformen verlieren inzwischen massenhaft User, weil die tägliche Pflege von Kommunikationsströmen die Menschen auf Dauer überfordert und sozial ermüdet und negative Hass-Feedbacks inzwischen den Spaß verderben. Facebook hat nicht nur Menschen verbunden, sondern auch auf viele Weise das Böse in die Welt gebracht.
Uber-ruption
Das Disruptionsplattform UBER gerät selbst in die Disruption, weil sie den Ausgleich zwischen den Interessen von Fahrern, Passagieren und Stadtregierungen nicht hinbekommt. In ähnliche Probleme driftet AirBnb ab: Nebenvermietungen verwüsten die Wohlstrukturen ganzer Stadtteile.
Twittertropie
Wer sich lange im Radius von Twitter-Botschaften aufhält, verliert die Lust an den 144 Zeichen. Nicht nur Trump zeigt: es handelt es sich meistens um Aufmerksamkeits-Operationen und manipulative Botschaften. Da hilft auch die Verdoppelung auf 288 Zeichen nichts.
Amazorn
Wollen wir wirklich in einer Welt von Lieferwagen-Kolonnen und Drohnen-Schwärmen leben und in unserer Wohnung ständig mit dialogisierenden Lautsprechern sprechen, die uns bereitwillig Klopapier und Beruhigungspillen nachbestellen? Amazon bringt in seinem Wahn, jeden noch so fernen Punkt des Universums mit seiner Lieferlogistik zu verbinden, immer mehr Menschen gegen sich auf. Mehr und mehr auch die Kartellbehörden. Und inzwischen auch die Politik.
RealDigital
Die neuen Synthesen zwischen der sinnlichen, haptischen, menschlichen Welt und den digitalen Möglichkeiten. Plattformen, die auf die Kräfte der realen menschlichen Kommunikation setzten, ohne sie monopolisieren zu wollen. Synthesen zwischen Handwerk und Vernetzung. Die zweite Welle der Internet-Unternehmen, die sich nicht aus der Idee speist, die Welt zu übernehmen und möglichst schnell einen cashout zu veranstalten. Sondern das Digitale für den Menschen und seine Emanzipation zu nutzen.
OMline
Der Zustand, in den wir zwischen der digitalen Echtzeit-Welt und der analogen Real-Welt souverän differenzieren können. Die Kunst, das Smartphone ausgeschaltet zu lassen, wenn man Menschen Auge zu Auge begegnet. Die Fähigkeit, in Familien, Freundesgruppen, Business-Kontexten zu leben, ohne dauernd gestört, genervt, abgelenkt zu sein. Die Einsicht, zu verstehen, dass das der eigene Wert nicht von der Anzahl der LIKES abhängig ist.
Alle bisher erschienenen Kolumnen sehen Sie auf der Seite: Kolumne.
Bei Nachdruck-Anfragen wenden Sie sich bitte an Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com