32 – Über die Rückkehr der Bücher
Meine Zukunfts-Empfehlungen für die Sommerlektüre
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Täuscht der Eindruck – oder wird dieses Jahr tatsächlich wieder mehr gelesen? Auf Papier, schwarz auf weiß, ganz altmodisch, mit Umblättern und Seiten einknicken und dem leicht modrigen oder seifigen Geruch von Papier?
Es stimmt schon: Die Zahl der regelmäßigen Buchleser ist zurückgegangen. Einige gesellschaftliche Gruppen lesen überhaupt nicht mehr – aber ist das wirklich neu? Nach den letzten Zahlen der Buch-Branche ist die Anzahl der Neuerscheinungen im deutschsprachigen Markt in den letzten zehn Jahren um weniger als 10 Prozent gesunken – alle digitalen Prognosen haben einen kompletten Zusammenbruch des analogen Marktes vorausgesagt. Diejenigen, die analog lesen, lesen eher NOCH mehr. Gleichzeitig stagnieren die Absätze bei Readern und E-Books schon seit Jahren.
Das Papier-Lesen ist eine Kulturtechnik, die nie wirklich aussterben wird. „Eine neue Kommunikationsform verdrängt eine alte nicht, sondern führt diese auf ihre eigentliche Stärke zurück.“, so formulierte es schon im Jahr 1909 der Historiker Wolfgang Riepl. Lesen erlebt gerade deshalb immer wieder eine Renaissance, WEIL die elektronischen Medien eine solche gewaltige Übermacht gewonnen haben. Das tägliche Bombardement von Clips und Bits und Bytes, die fast totale Herrschaft von rasenden Bilderwelten, lässt in unseren Hirnen irgendwann nur noch graues Flimmern übrig.
Beim Buchlesen funktioniert das Hirn völlig anders als im Erregungsmodus des Audiovisuellen. Lesen erzwingt Differenzierungen, mentale Arbeit, aktive Übersetzung. Wenn wir lesen, werden geschriebene Worte in Neuronenverschaltungen übersetzt, die Bilder und Töne, Gedanken, Reflexionen, sogar Gerüche enthalten. Jeder liest ein Buch anders, er »produziert« es gewissermaßen im Kopf. Deshalb ist Buchlesen ein Akt von Autonomie. Das ist viel anstrengender als das passive Konsumieren, und deshalb starren wir immer wieder lieber auf einen Bildschirm, dessen flackernden Zeichen wir aber im Grunde nicht vertrauen. Was gedruckt ist, hat am Ende mehr mentales Gewicht. Es ist aber auf Dauer auch befriedigender. Weil tatsächlich etwas in unserem MIND passiert. Etwas, das uns VERÄNDERT, statt uns zu überwältigen.
Meine Söhne, Digital Natives der zweiten Generation (ich selbst gehöre zur ersten, die noch zweigeistig funktioniert(e): (Analog und Digital parallel nebeneinander), sind heute begeisterte BuchHÖRER. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir Eltern ihnen als Kinder eine Menge vorgelesen haben.
Bill Gates hat in diesem Jahr wieder eine Buchliste veröffentlicht. Das scheint ein Trend zu sein – immer mehr Bekannte. Freunde und Prominente sprechen Lese-Empfehlungen aus. Hier ist meine für einen irre langen Sommer:
Hans Rosling: Factfulness – Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist
Ullstein 2018
Ich bin sehr glücklich, dass Hans Roslings Buch ein Jahr nach seinem Tod auch in Deutschland auf der Beststellerliste gelandet ist. Es handelt sich um seinen geistigen Nachlass, fertiggestellt von Ole und Anna Rosling. Neben den Fakten über die allmählich bessere Welt, die immer noch die Apokalypsegläubigen und Doomsayer erschrecken, ist eine kognitionspsychologische Analyse über unsere negativistischen Weltmodelle: Warum beschreiben wir die Welt wir immer vom Scheitern, vom Untergang her?
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Bernhard Pörksen: Die Große Gereitzheit – Wege aus der kollektiven Erregung
Hanser Verlag, 2018
Der Medienwissenschafter hat vielleicht das klarste Buch über den medialen Erregungswahn geschrieben. Normalerweise ist es ja nicht sehr ergiebig, die grassierenden Angst-Hysterien zu analysieren, weil man das Phänomen mental nur verdoppelt. Aber wie Pörksen sprachlich elegant unser digitalhysterisches Zeitalter beschreibt – das hat schon poetisch-heilende Wirkung. Zitat: „Es ist womöglich wenig geschehen und doch unendlich viel passiert. Alles was geschieht, was das Nervenkostüm anderer Menschen an irgendeinem Ort der Welt erreicht, bewegt, verstört, ängstigt, vermag auch uns zu erreichen und zu verstören. Es ist eine Zeit der Empörungskybernetik, in der miteinander verschlungene, sich wechselseitig befeuernde Impulse einen Zustand der Dauerirritation erzeugen.“
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Robert Sapolsky: Gewalt und Mitgefühl – Die Biologie des menschlichen Verhaltens
Hanser Verlag, 2017
Robert Sapolsky ist ein ganz außergewöhnliches Multitalent, ein Universalist der höchsten Stufe: Anthropologist, Hirnforscher, Evolutions-Spezialist und so vieles mehr. Er beantwortet eine einzige Frage in diesem riesigen Schinken, die im Grunde die Frage aller Fragen ist: WIE IST DER MENSCH? Die englische Ausgabe heißt einfach BEHAVE – Verhalten. Seine Antwort: der Mensch ist ein von Mitgefühl geprägter Kooperateur, der im Kooperieren aber auch immer seine gefährlichen Züge entwickelt. Gewalt entsteht nicht im Versagen, sondern in der ÜBERSTEIGERUNG von Empathie. Wer dieses Buch liest, wird humanistischer Realist.
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Jordan P. Peterson: 12 Rules for Life – Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt
Deutsche Ausgabe erscheint im Goldmann Verlag, Oktober 2018
Einige halten den Psychologen und Psychiater für einen Trump-Fan, andere für einen reaktionären Chauvinisten: Petersons Riesenerfolg in den USA entstammt aus der politically-correct-Debatte, in der er selbst zum Skandal wurde. Sein »Regelbuch« gilt als Bibel für eine neue Generation junger Männer, die sich von der Feminisierung abgrenzen wollen. Aber all das sind Klischees. Petersons 12 Lebensregeln sind nicht einfach nur How-to-be-happy-Anweisungen. Sie handeln von innerer Würde und Lebendigkeit, von der Akzeptanz des Leidens und der Überwindung des Jammerns, von Authentizität und Selbstehrlichkeit. Dass Peterson dazu auffordert, sich aufrecht mit Autorität und sozialer Differenz auseinander zu setzen, statt sie zu negieren, macht das Buch für mich, der als Antiautoritärer geprägt ist, spannend. Wir brauchen eine nicht-naive Philosophie im 21. Jahrhundert, die uns helfen kann, all den Regressionen und Infantilisierungen zu ent-wachsen, also wirklich erwachsen zu werden.
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Cixin Liu: Die Trisolaris-Trilogie
(Die drei Sonnen, Der dunkle Wald, Jenseits der Zeit)
Heyne Verlag, 2016-2019
Was ist eigentlich aus der guten, alten Science-Fiction geworden? Ich bin aufgewachsen in der Zeit der wuchtigen Zukunftsromane, viele meine Jugendjahre verbrachte ich in anderen Sonnensystemen und mit tausend intergalaktischen Rassen. Arthur C. Clarke, Stanislaw Lem, Ursula K. Leguin, John Brunner, Heinlein, später Gibson und Baxter…. Dann kam lange nichts.
Doch jetzt gibt es wieder eine neue Welle der kosmologischen Literatur. Pünktlich zum 50-Jahre-Jubiläum der Mondlandung und Kubricks »2001-Odysse im Weltraum«-Opus. Und wie kann es anders sein: Aus China! Cixin Liu ist der neue Stern am SciFi-Himmel. Er hat DEN 2000-Seiten-Schinken für den Strandsommer geschrieben. Wie bei Kubrick/Clake in „2001“ geht es wieder um die Erstbegegnung mit einer außerirdischen Zivilisation, diesmal ist aber alles viel tragischer und weniger kitschig. Der Roman beginnt in der chinesischen Kulturrevolution und zieht sich bis ist Dritte Jahrtausend. Einziger Einwand: Die Charaktere sind in der chinesischen Schreibart eben doch nicht so individuell und differenziert, wie man es sich erhofft. Dafür ist der Plot von erhabener Raffinesse. Mehr wird nicht verraten… Ist das nur für Männer und ewige Space-Jungs? Mal sehen. In den Hauptrollen finden sich endlich ein paar starke Frauen.
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