43 – Die blaue Revolution

Die grüne blaue Revolution

Wie die kommende High-TechÖkologie unsere Zukunft formt

1. Die Macht der Meme

Wie entsteht eigentlich Wandel? Gemeint sind hier nicht kurzfristige Trendphänomene, sondern tiefer, grundlegender Wandel – BIG SHIFTS, in denen sich ALLES verändert: Wirtschaft, Kultur, Politik, das ganze Wertesystem, das Denken, sogar die Weltwahrnehmung der Menschen. Solche Transformationen geschahen vor 8000 Jahren, mit dem Übergang vom Jäger- und Sammler-Dasein zur Landwirtschaft. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, dem Zeitalter der Renaissance. Oder zwischen 1850 und 1900, als die Industriegesellschaft die agrarische Gesellschaft ablöste. Solche Übergänge verlaufen nie bruchlos, immer kommt es zu Ungleichzeitigkeiten, Turbulenzen, Unruhen. Typisches Anzeichen: Wir erkennen die Welt nicht wieder, und uns selbst auch nicht. Denn das Alte hat noch nicht aufgehört, und das Neue noch nicht wirklich begonnen.

Genau dort stehen wir heute: Im Wandel vom INDUSTRIELLEN zum ÖKOLOGISCHEN Zeitalter. Es geht darum, einen Abschied zu organisieren: den Abschied von der FOSSILEN ÄRA, in der die Macht der Kohlenwasserstoffe uns eine rasende Erhitzung der menschlichen Systeme beschert hat. Natürlich fällt uns das schwer. Das hat mit Gewohnheiten zu tun, aber auch mit gedanklichen Modellen, „wie die Welt zu sein hat”. Wie sie aber nie mehr wird.

Der Widerstand ist stark. Er organisiert sich in Windkraft-Hassern, AFD-Klima-Leugnern, in Lobbys, die Wut organisieren und auf die Straße bringen. In Ignoranz und Zynismus, in Verweigerung und Negativität.
Wenn das Neue bevorsteht, steigt vorübergehend die Macht des Alten.

Um epochale Übergänge besser zu verstehen, ist es hilfreich, sich mit den MEMEN beschäftigen. Das Wort, von dem Evolutionsbiologen Richard Dawkins popularisiert, entstand in bewusster Anlehnung an die GENE: Während GENE die biologische Evolution codieren, entwickeln sich MEME im Inneren der humanen Kultur. In Wikipedia heißt es:

Das Mem (Neutrum; Plural: Meme) bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt, zum Beispiel einen Gedanken. Es kann durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden und wird so soziokulturell auf ähnliche Weise vererbbar, wie Gene auf biologischem Wege vererbbar sind. Ganz entsprechend unterliegen Meme damit einer soziokulturellen Evolution, die weitgehend mit denselben Theorien beschrieben werden kann wie die biologische: Selektion, Mutation und Adaption.

Bekannt wurden Meme zunächst als nerdige »Memes« im Internet – Kulturelle Schnellcodes wie Katzen, die so reden wie Trump, ironische Wortspiele und zynische Witze. Aber »richtige«, komplex ausgewachsene Meme – so genannte MEMPLEXE – umfassen viel mehr. Sie sind „Ideen, Überzeugungen, Verhaltensmuster” (Richard Dawkins). Sie beinhalten Wertekonstrukte, Weltbilder, Mythologien. Es sind die Codes, mit denen wir der Welt einen Sinn geben, und mit deren Hilfe wir die Zukunft sehen können. Sie äußern sich in folgenden Phänomenen:

  • Latenter Wertewandel: Epochale Umbrüche kündigen sich durch Werte-Shifts an, die länge Zeit in der Gesellschaft »schlummern«. Am Anfang sind es nur Avantgarden, kleine Gruppen, die einen abweichenden Werte-Set annehmen und zunächst an etablierten Mehrheiten scheitern. Aber an bestimmten TIPPING POINTS greifen die neuen Codes auf den Mainstream über. Auf diese Weise ist das ökologische Denken in den letzten Jahren aus seinem Getto ausgebrochen und hat weite Teile der Gesellschaft erfasst.
  • Komplexitätsweisende Krisen: BIG SHIFTS entstehen, wenn ein etabliertes sozioökonomisches System sich erschöpft hat. So, wie Europas Ritter-Fürstentümer im 16. Jahrhundert oder die Monarchien Europas um 1900. »Komplexitätsweisend« ist eine Krise immer dann, wenn sie auf eine höhere Ebene der Lösung verweist. Genau eine solche Krise ist GLOBAL WARMING: Das Problem der Erderwärmung lässt sich nicht mehr mit den Mitteln industrieller oder nationaler Strategien lösen, sondern nur durch GLOBALE Kooperation – und radikal andere Produktionsweisen.
  • Wütender Widerstand: Das Auftauchen eines neues Groß-Mems provoziert wütenden Widerstand. „In Zeiten der Veränderung steigt die selektive Wahrnehmung”, schreibt Wolf Lotter in Brand Eins. „Vereinfachung, Lagerdenken und das Setzen immer engerer Rahmen sind bewusstseinsreduzierende Drogen.” Genau das erleben wir heute im Furor des Rechtspopulismus, der Hysterisierung der Medien, der Polarisierung der Zukunftsdebatte.
  • Ikonen des Morgen: Als Vorboten solcher Transformationen treten scheinbar aus dem Nichts heraus Symbolfiguren auf den Plan – Propheten des Kommenden. Man denke an Jeanne D’Arc, Gandhi, Kennedy, Che Guevara. Greta Thunberg ist eine solche Person. Solche Persönlichkeiten werden immer mit Hass UND Bewunderung verfolgt, sie SPALTEN die Wahrnehmungen, und genau das ist ihre Aufgabe. Denn erst wenn sich Welt-Wahrnehmungen spalten, können wir die DIFFERENZ erkennen, um die es geht.

Damit ein epochaler Übergang aber tatsächlich stattfinden kann, muss noch etwas anderes passieren: Das Mem, das den Wandel einleitet, in diesem Fall das ökologische Mem, muss sich SELBST verändern. Es muss die Form eines MYTHOS annehmen.

Die Frage ist heute: Wie wird Ökologie, »das Ökologische« oder »das Grüne«, wahrgenommen, prozessiert und kulturell codiert? Als bloßer Naturschutz? Als Restriktion und Diktat menschlicher Handlungen? Oder als Öffnung und Befreiung – als Fortschritt in einem neuen Sinne? Meme können nur die Gesellschaft durchdringen, wenn sie echte ZUKUNFT in sich tragen.

2. Die Grüne Ökologie

Die Ursprünge der GRÜNEN, also der reinen Natur-Ökologie lassen sich bis in die Naturromantik des frühen 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. „Alles ist Wechselwirkung” formulierte schon der Universalist Alexander von Humboldt, der die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Natur voraussah. Zurück-zur-Natur-Bewegungen begleiteten die gesamte Industrialisierung. Schon um 1900 gab es die ersten vegetarischen Landkommunen (etwa auf dem Monte Verita in Ascona). Ihre erste Breitenwirkung entfaltete die ökologische Bewegung jedoch erst im Zenit des westlichen Wirtschaftsbooms – in der Blüte der Hippie- und Alternativbewegung. Damals entstanden nicht nur die Grünen als politische Partei, sondern auch ein neues, postmaterielles Weltbild, das nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur fragte und das industrielle Konsum-Primat in Frage stellte.

In den grünen Bewegungen der 70er und 80er Jahre bildete sich ein stabiles, über die Zeit aber stagnierendes postmaterielles Kulturmilieu aus, und zwar nicht nur in den Müsli-Hochburgen von Kreuzberg oder Altona. In jeder Kleinstadt, in jedem Dorf Europas leben seit einem halben Jahrhundert Menschen, die die technische Zivilisation, den »linearen Industrialismus«, skeptisch betrachten. Im Lauf eines halben Jahrhunderts hat sich daraus so etwas wie eine Ökologische Klasse entwickelt: Wissensarbeiter, liberaler Mittelstand, Auf- und Aussteiger in Kreativberufen, Teile des Digital-Milieus und »humanistische Ältere« bilden heute ein weitgehend globalisiertes Milieu, das viele Prominente und zunehmend auch Unternehmer umfasst. In der Friday-for-Future-Zeit, gewinnt dieses Milieu schubartig an Deutungsmacht. Die grüne Partei ist auf dem besten Weg, die dominante Partei der Mitte zu werden. Das stellt die Machtfrage auf neue Weise – und führt, wie wir deutlich sehen, zu heftigen Abwehrreaktionen.

Aber woran lag es, dass die grünen Ideen (mit Ausnahme des Kernkraft-Ausstiegs in Deutschland) bislang so randständig blieben?

Ökologie in ihrer grünen Form hatte stets drei weltanschauliche Basis-Ideologien: Erstens das Dogma der existentiellen Knappheit. Die Weltmodelle des Club of Rome, dessen legendärer Bestseller „Die Grenzen des Wachstums” das grüne Denken formte, basierten auf Modellen einer fundamentalen Rohstoff- und Ressourcenknappheit, die alle menschlichen Aktivitäten radikal begrenzt. Devise: Es kann NIE für alle reichen!

Zweitens fußte »das Grüne« auf einer Romantisierung der Natur als »heile«, ja heilige Welt. Darin spiegeln sich alte religiöse Muster, Ursprungs-Mythen, die nicht nur im Christentum eine Rolle spielen. Vor dem »Sündenfall« lagen im Paradies Lamm und Löwe friedlich nebeneinander – bis das sündhafte Verhalten der Menschen Unordnung bringt.

Daraus entwickelt sich – drittens – die SCHULDLOGIK des grünen Ökologismus.

3. Das Grüne Öko-Mem

Hier trifft sich die grüne Denkweise irgendwann mit konservativen und reaktionären Denkweisen: Wir sind zu viele Menschen auf dem Planeten, wir treiben »Raubbau« – schon durch unsere nackte Existenz. Von hier aus führt ein direkter Pfad in die Menschenfeindlichkeit, wie sie heute die »Antinatalisten« predigen: Menschen sind so schnell wie möglich zu begrenzen und zu eliminieren.

Das Dreieck aus Schuldlogik, Knappheitsdenken und Romantisierung macht »das Grüne« zu einer Selbst-Negation. „Wenn wir uns eine Welt vorstellen, in der überhaupt keine Ressourcen mehr verschwendet würden”, so schrieb neulich eine grosse deutsche Wochenzeitung, „dann sähen wir vor uns, wie Menschen in naturbelassenen Kleidern in selbstgepflückte Biofrüchte beißen, auf selbstrecycelten Fahrrädern ihre Ferienreise nur ins nächstgelegene Mittelgebirge machen; und zum Einkaufen gehen sie, wenn sie überhaupt etwas einkaufen, mit einer zehn Jahre alten, selbstgeflickten Tasche aus heimischem Hanf … Etwas Neues kommt nicht mehr, weil nämlich für alles Neue auch neue Ressourcen erschlossen werden müssten”.

Natürlich ist das zugespitzt, polemisch. Aber so sieht die Welt tatsächlich aus, wenn Vermeidung zum Grundgedanken des Lebens wird. Knappheits-Ideologien schaffen immer Verteilungskämpfe: Wer MUSS verzichten? Wer DARF noch etwas? Wenn mit der Ökologie keine Öffnung, keine neue Freiheit verbunden ist, fehlt ein entscheidender Faktor, ein dynamisches Moment, das Bewegungen des Wandels dringend benötigen: Energie und Vitalität, Hoffnung auf das Neue und BESSERE. Nur wenn sich das ökologische Super-Mem in DIESE Richtung verändert, kann es erfolgreich sein.

Die Blaue Ökologie begreift Ökologie nicht als Zwang zum Verzicht, sondern als lustvolle Befreiung vom Zuviel.

Was wäre, wenn die klassischen grünen Prämissen nicht stimmen? Wenn die Natur weder »harmonisch« wäre noch die Rohstoffe wirklich begrenzt – und wir nicht schon durch unsere pure Existenz »Sünder am Planeten« wären? Dann begänne ein anderes Zukunfts-Spiel. Dieses Spiel ist die BLAUE Ökologie.

Blau ist die Farbe des Horizontes, der Atmosphäre, des offenen Meeres, auch des Technologischen. Dabei geht es aber nicht um den Glauben an eine Wunder-Technik, die das CO2 wieder aus der Atmosphäre saugt. Blaue Ökologie handelt von intelligenteren Systemen, in denen wir mit Natur und Technik in eine neue Beziehung treten. Auf dem Weg dorthin hilft es, Natur auf tiefere Weise zu verstehen – etwa in der Differenz zwischen Effektivität und Effizienz. Zwei Worte die gleich klingen, aber etwas völlig anderes meinen.

4. Effizienz vs. Effektivität

Effizienz ist immer der Versuch, ein (Teil-)System zu OPTIMIEREN. Immer mehr herauszuholen. Es sozusagen auszuquetschen. Das treibt das System, und seine angrenzenden Systeme, unweigerlich in Richtung Entropie. Man versucht, mit immer weniger Input MEHR Autos, MEHR Kalorien, MEHR mediale Wirkung zu erzeugen. Man pumpt das Schaf so lange auf, bis es platzt. Man überhitzt es. Das ist der Kern fossil-industrieller Logik, und es führt zu all dem, was wir als Folgeschäden des Konsum-Industrialismus erleben: krankhaftes Übergewicht, endlose Staus, Hühner, die nicht mehr stehen können, verwirrte Online-Seelen. Und globale Hitzewellen.

Die Natur ist dagegen effektiv: Die verschiedenen Teil-Systeme sind sinnvoll ineinander VERWOBEN. Und dabei gleichen sich Überschüsse aus, die ständig neu entstehen. Ein Baum ist kein Meister der Produktivität, Photosynthese ist eher ein langsamer Prozess, ebenso das Wachstum, aber er ist durch vielfältige Kreisläufe, Synthesen, Symbiosen und KOOPERATIONEN mit seiner Umwelt verbunden. Das macht ihn pro-duktiv in Komplexität. Dadurch entsteht Schönheit – als Signifikanz von Anti-Entropie.

Blaue Ökologie sieht ihre Aufgabe darin, das Prinzip dynamischer Effektivität im Möglichkeitsraum Mensch/ Natur/ Technologie neu zu konstruieren.
Zum Beispiel Nahrungsmittelproduktion. Während die grüne Ökologie das rein »Biologische« im Sinne des idealisiert Natürlichen präferiert, setzt blaue Technologie effektive Gewächshaus-Technologien ein, auch und gerade in großen Städten. Oder in Wüstengebieten mit Wasserknappheit. In einem normativen grünen Denken müsste man Holland, das über weite Flächen unter dem Wasserspiegel liegt, eigentlich zugunsten »der Natur« aufgeben – es ist ja nicht »natürlich« entstanden. Im Blau-Ökologischen würde man dagegen Gewächshaustechniken weiterentwickeln, bis ihr ganzheitlicher Nutzen den ökologischen Schaden übersteigt (was sie zumindest in Holland heute schon tun, an der spanischen Mittelmeerküste eher nicht). Plus-Ökologie statt Minus-Ökologie. Auch eine Tomate, die mit Geothermie-Wärme in Island oder in Gewächshäusern in Somaliland auf Steinwolle gewachsen ist, ist ein »richtiges« und »gesundes« Lebensmittel.

In ökologischen Kontexten könnte die Digitalisierung, die uns in ihrem Heilsversprechen bislang ziemlich enttäuscht hat, tatsächlich jene Wunder wirken, die sie uns bislang verweigert hat. Zum Beispiel bei dezentralen Energie-Produktionsnetzen, in denen Millionen von Häusern, Kleinkraftwerken und energetischen »Aktivatoren« zusammenwirken – wie in einem zellularen Organismus. Innerhalb von kaum zehn Jahren sind in Deutschland 2 Millionen Energieproduzenten von Sonnen- und Windenergie entstanden. Der Anteil der Welt-Strom-Erzeugung durch erneuerbare Energien durch Sonne und Wind hat sich in nur 20 Jahren verhundertfacht. Und das ist erst der Anfang einer technischen Revolution, die das fossile Energiesystem ablösen und Energie üppig machen wird. Der Grund für diese Fülle lässt sich jeden Tag mit bloßem Auge besichtigen. In einiger Entfernung von der Erde hängt ein gigantischer Fusionsreaktor im Himmel. Diese Energiequelle ist (zumindest für die nächsten fünf Milliarden Jahre) unerschöpflich. Sie bringt jeden Tag hunderttausendmal mehr Energie auf die Erdoberfläche als die Menschheit nutzen kann.

Und was ist mit den »knappen« Rohstoffen? Selbst die SELTENEN ERDEN sind nicht so knapp wie befürchtet. Als China vor einem guten Jahrzehnt 80 Prozent der damals begehrten seltenen Substanzen aufkaufte, als strategische Reserve, sanken die Preise innerhalb weniger Jahre auf ein Zehntel. Entweder weil Recycling eingesetzt wurde. Oder weil ANDERE Substanzen gefunden oder sogar GENERIERT wurden, die die alten ersetzten konnten.

Eine Schlüsselrolle für die blaue Ökologie der Zukunft spielt innovative Material-Technologie. Je weiter sich der Wirkungsradius der molekularen Chemie entwickelt, je mehr neue Fertigungs- und Konversions­techniken entstehen, desto besser lassen sich aus vorhandenen Molekülen andere Moleküle machen. Aus dem »Problemstoff« CO2 lassen sich heute bereits Karbon-Fasern herstellen, hochfeste Folien, Treibstoffe, oder sogar Nahrungsmittel, verdauliches Eiweiß (siehe solarfoods.fi) – dazu braucht man nur aus der Atmosphäre extrahiertes CO2 plus (erneuerbare) Energie. Das C in CO2 ist ja nichts anderes als Karbon, der Grundstoff des Lebens. Dass das alles noch »zu teuer« ist, ist in Wahrheit kein Argument. ALLE Verfahren dieser Neuen Alchemie sind zunächst teuer, aber die Preise fallen schnell, wenn wir die Produktion skalieren.

Die mediale Skepsis gegen ökologischere Technologien hakt sich oft an falschen Verdachtsmomenten fest. So entstehen anti-ökologische fake news: „Kobalt für Batterien wird im Kongo von Kinderhand geschürft und deshalb sind E-Autos unmoralisch!” Batteriefirmen setzen jedoch mehr und mehr auf zertifiziertes »Clean Kobalt«. Und die nächsten Generationen der Autobatterien für die E-Mobilität BRAUCHEN gar kein Kobalt mehr. Andere Stoffe, andere Spiele. Innovation goes on. Ziemlich sicher werden sich auch im Kongo in den nächsten Jahren Arbeits-Standards durchsetzen, die in anderen Teilen der Erde gelten.

Und so geht es weiter: Ist Wasser knapp? Nein, es ist nur ungleich auf der Erde verteilt. Man kann schlecht damit umgehen, es künstlich verknappen – aber die Wassersparanleitungen auf deutschen Klos sind einfach nur bizarr. Wasser kann nicht »verbraucht« werden, nur verschmutzt oder schlecht verteilt. Desalinationstechniken ermöglichen heute Wohlstands-Städte in Wüsten (natürlich muss man sie solar betreiben und an Küsten mit gutem Wasseraustausch platzieren). Man kann Trinkwasser sogar aus menschlichen Fäkalien machen – so hat es uns Bill Gates mit seinem Omniprozessor gezeigt (siehe die Netflix-Dokumentation “Inside Bills Brain”).

Gibt es »zu viele Menschen«? Dieses reaktionäre Gerücht steckt tief in den Köpfen, vielleicht hat es etwas mit unseren anthropologischen Knappheitsängsten zu tun – der Furcht, dass „der Stamm zu groß wird”. Aber die in den 60ern prognostizierte Bevölkerungsexplosion ist längst abgesagt. Der humane Bevölkerungs-Zenit wird irgendwann in diesem Jahrhundert bei rund 10 Milliarden Menschen stattfinden, plus minus 5 Prozent. 10 Milliarden Menschen kann die Erde schon heute ernähren – es würde reichen, die Hälfte der Lebensmittelverschwendung in den Industrieländern zu beseitigen. Aber wie gesagt: Innovation goes on.

Wird Plastik den Planeten verderben? Nur wenn wir so blöde damit umgehen wie bisher. In einer Cradle-to-Cradle-Welt mit eleganten Rohstoffkreisen wird man aus Kunststoffen immer neue Kunst-Stoffe machen können, ohne dabei hässliche Parkpoller zu produzieren. Das nennt sich Upcycling. Was wir heute »Recycling« nennen, ist nur eine primitive Vorstufe der kommenden Wiege-zu-Wiege-Welt, in der alles, was wir nutzen, entweder kompostiert und damit in den biologischen Kreislauf zurückkehrt, oder molekular sortiert wird. Das erfordert allerdings intelligentere Materialflüsse. Wenn wir aus »egoistischen« Gründen ökologisch handeln können, synchronisiert sich das Streben des Menschen nach Eigen-Vorteilen mit Vorteilen für die Natur. Wir werden dann vom Verderber und Schmarotzer der Natur zu ihrem nützlichen Symbionten.

5. Die Logik der Intelligenten Verschwendung

Im Zentrum eines Wandels von der grünen zur blauen Energie steht also ein Paradigmenwechsel von Knappheit zu Fülle. Um zu verstehen, wie das funktionieren kann , brauchen wir ein bisschen Kognitionspsychologie.

Krankhaftes Übergewicht ist nicht selten das Ergebnis des Gefühls »nicht genug zu bekommen«. Allerdings auf einer anderen, nämlich emotionalen Ebene. Essen ist, wie wir alle wissen, ein verdammt guter Tröster, ein tolles »Kompensat«. Also essen wir mehr, als uns guttut. Wir verschieben einen Mangel auf der einen Ebene auf ein Erlebnis von Überfülle auf der anderen. Dabei blieben wir aber sozusagen am Mangel kleben. Auf eine paradoxe Weise werden wir niemals satt, obwohl wir uns im Über-Fluss befinden. Dieser trancehafte Zustand ähnelt der gesamten industriellen Zivilisation in Bezug auf das Öl und seine Derivate: Wir können einfach nicht genug davon bekommen, WEIL wir ständig Angst haben, dass es knapp wird.

Diäten, also gewaltsamer Verzicht, helfen nicht – im Gegenteil. Wirklich abnehmen – leicht werden – funktioniert nur, wenn wir uns innerlich von der Angst verabschieden, nicht genug zu bekommen. Nur so gelingt auch die ökologische Transformation: Nicht durch grüne Askese, sondern durch Anerkennung von Fülle. Dann entsteht eine neue Freiheit des Verzichts, in dem wir nichts vermissen müssen.

Verbote können dabei durchaus hilfreich sein. Nehmen wir das Rauchverbot in Restaurants und Flugzeugen: Eindeutig eine Freiheitsbeschränkung, gegen die lange erbittert polemisiert wurde, ähnlich wie heute gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen. Als das Rauchverbot realisiert wurde, waren alle verblüfft: Alle fühlten sich plötzlich befreit! Warum? Weil eine neue soziale Fülle entstand, die sogar die Raucher umfasste. Die konnten nun vor der Türe neue Freunde finden, und wurden von ihrem schlechten Gewissen befreit, andere vollzuqualmen.

Ähnlich funktioniert die Umwandlung von autoverstopften Innenstädten in offene Räume für Bürger und Radfahrer, die so genannte Kopenhagenisierung. Solange man nur auf die Seite des Mangels starrt – also auf die geringere Möglichkeit, mit dem Auto in die Stadt hineinzufahren – wird nur schlechtgelaunte Ablehnung und dummer Lobbyismus produziert. Betritt man aber das reale Kopenhagen, Oslo oder Amsterdam, entwickelt sich plötzlich ein anderer Mindset. Diese Städte leben auf eine neue und verblüffende Weise. Man vermisst die Autos nicht, wenn sie »fehlen«, sondern genießt, was plötzlich möglich wurde.

Die Idee der Grenzen des Wachstums könnte ein Irrglaube sein. Dass sie dennoch so populär ist, hängt damit zusammen, dass unsere Vorstellung von unseren Ressourcen immer noch die eines steinzeitlichen Jägers und Sammlers ist. Damals hieß es: Wenn alles Wild gejagt ist, werden wir sterben. Wenn alle unsere Vorräte aufgebraucht sind, müssen wir verhungern. In Wahrheit sind unsere Ressourcen aber nahezu unerschöpflich. Und mit unserem Erfindungsreichtum und unserer Fantasie werden wir immer besser in der Lage sein, sie zu nutzen.

Vince Ebert

Bernd Urich schrieb in der ZEIT (1. Oktober 2019: Grün ist schön, macht aber viel Arbeit): „Erst die Enttabuisierung des Verzichts macht auch den Blick frei für die kulturellen Vorzüge und befreienden Aspekte, die Verzicht haben kann.” Erst wenn unser MIND sich von der Knappheit löst, entsteht der so genannte VERZICHTSVORTEIL. Wir merken dann plötzlich, dass wir vieles von dem, was wir UNBEDINGT zu brauchen glaubten, in Wahrheit gar nicht »nötig« haben.

  • Wer weniger Fleisch isst, kann Fleisch viel mehr genießen.
  • Wer Vegetarier/Veganer wird, gewinnt großen Genuss am Gemüse (und vice versa).
  • Wer nicht dauernd im SUV durch die Gegend rast, merkt, dass Mobilität etwas ganz anderes ist als der Besitz eines schweren Autos.

Blaue Ökologie bedeutet also vor allem eine andere Denkweise, in der wir vom Mangel-Angst-Denken zur BEFREIUNG VOM ZUVIEL gelangen. Dabei geht es um eine neue Üppigkeit, die wir im alten Denkmuster nicht WAHR-NEHMEN können. Michael Braungart, der Apologet der CRADLE-TO-CRADLE-Bewegung, hat das auch INTELLIGENTE VERSCHWENDUNG getauft. Durch immer weitere Kreise intelligenter Produktions- und Materials-Rückkoppelungen erzeugen wir einen menschlichen Auftritt, der der Natur nicht schadet, sondern nutzt.

Es geht im Ökologischen dann nicht mehr um die zwanghafte Verringerung unseres »Fußabdrucks«, sozusagen um das Gehen auf ökologischen Zehenspitzen. Wir nehmen »der Erde« nicht etwas weg, sondern fügen ihr etwas hinzu – und damit entsteht eine andere, produktive Wirklichkeit. Damit gestalten wir uns selbst als TEIL der Natur. Und überwinden die innere Spaltung, die uns in Richtung des ökologischen Wandels ständig zu Heulsusen und Zynikern macht.

BLUE:TECH

Die neuen High-Öko-Technologien

Warum nennen wir die neue Ökologie »Blau«? Weil blau die Farbe der Atmosphäre ist, um die es bei GLOBAL WARMING geht. Blau ist die Farbe der Erde als Ganzes aus dem Weltraum gesehen. Und BLAU ist der Horizont, zu dem wir unseren Blick erheben, wenn wir in die Zukunft schauen…

Hier die wichtigsten TECHNOLOGIEN der Blauen Ökologie in der Übersicht:

  • Cradle to Cradle
    Die Cradle-to-Cradle- Bewegung ist bereits 20 Jahre alt – sie wurde von Michael Braungart und dem amerikanischen Architekten William McDonough ins Leben gerufen. Es geht um die Schließung von Recycling-Kreisläufen im Sinne des UPCYCLING, also einer Wiederverwertbarkeit, die alle Materialien auf Dauer WERTVOLLER macht.
  • 2nd Generation Renewables
    Erneuerbare Energien werden normalerweise auf Windgeneratoren, Solarpaneele und allenfalls noch Biomasse reduziert. Aber längst ist eine neue Generation natureller Energieerzeugung in Konstruktion. Dazu gehören z.B. VORTEX-Windgeneratoren, die durch waagerechte Oszillationen Energie erzeugen können und dadurch geräuschlos sind, oder WELLEN-GENERATOREN unterschiedlichster Bauart.
  • Mega-Solar-Power
    Es gibt auf der Erde unendliche landschaftliche Weiten mit starker Sonneneinstrahlung. Nur etwa 1 Prozent der Erdoberfläche würde reichen, um die gesamte Stromversorgung der Menschheit (einschließlich Elektroautos) zur Verfügung zu stellen. Deshalb und wegen der rasch fallenden Zellen-Preise werden weltweit riesige Solarkraftwerke gebaut.
    Diese können in 2025 Energie entsprechend 1000 Atomkraftwerken (in 2019 sind weltweit knapp 500 Reaktoren aktiv) liefern.
  • Hyperbatterien
    Lithium-Ionen-Batterien haben sich zunächst in der neuen Strom-Welt durchgesetzt. Lithium ist zwar mit 58 Millionen Tonnen Weltreserven nicht selten, aber als Material schwer zu gewinnen. Deshalb ist das Rennen um die nächste Generation Batterien in vollem Gange. Dabei geht es zum Beispiel um Speicher-Technologien, die mit Lignin, einem Abfallstoff von Holz in großen Behältern skalierbar Strom speichern können, die sogenannten REDUX FLOW-Batterien. Möglich sind auch Kavernenspeicher in unterirdischen Höhlen.
  • Moleculeering – Neo-Materialien
    Im Mittelalter versuchten die Fürsten, den Alchemisten ein Geheimrezept für Gold zu entreißen – daraus entstand zumindest das Porzellan. Heute ist Materialkonversion eine der großen “Alchemien”. Für die Energie- und Materialwende brauchen wir immer mehr Ersatzstoffe für seltene Erden, immer mehr raffinierte Methoden, aus organischer Materie, letztlich also mit Hilfe des Carbon-Moleküls. VARIANZEN entstehen zu lassen. Dieses Feld ist in den letzten Jahren explosionsartig gewachsen, hier nur einige Beispiele:

  • Carbon Harvesting
    Stellen wir uns vor, man könnte aus dem »Problemstoff« in der Atmosphäre, CO2, Energie erzeugen. Wie bitte, geht nicht? Geht doch! Mindestens 100 Firmen arbeiten weltweit daran, genau das zu tun. Mit überraschenden Erfolgen. Da das C in Carbon der Grundbaustein aller organisch-reaktiven Substanzen ist, wird es demnächst möglich sein, auch preiswerte Treibstoffe zu erzeugen. Dafür wird mit Sequestern CO2 aus der Luft gefiltert – oder mit umgebauten Klimaanlagen! Aus Wasser wird mit erneuerbarer Energie H2 gewonnen – aus beiden entstehen Stoffe, die als Treibstoff CO2-Neutral sind. Das ist aber erst der Anfang. Das finnische Unternehmen SOLEIN-SOLAR FOODS erzeugt heute schon ein Grund-Protein aus CO2, das man wie eine Pizza verbacken kann. Mit Aromen angereichert ist das ein Grundstoff für Müsli oder – Low-Carb-Lasagne.
  • Intelligent-energetische Strassen
    Die schwedische Firma ELONROAD geht einen anderen Weg. Sie bietet Induktionsschienen an, die in der Mitte des Fahrwegs auf der Straße verlegt werden.
  • Bio-Powerfuels: Kerosin 2.0
    Ob Flugzeuge jemals sicher mit Batterien und Strom fliegen können, ist ungewiss – noch braucht es dazu wohl einige Sprünge in Batterie- und Materialtechnik. Aber vielleicht muss das auch gar nicht sein, synthetische Treibstoffe können CO2-neutral sein, und im Flugzeugbereich deutet sich hier eine ganze Palette von Möglichkeiten an. Algen, Eukalyptus, Tabakpflanzen, aber auch einfache Pflanzenreste ermöglichen die Destillation von synthetischem Kerosin.
  • Foodcities & Solar Farming
    Der Trend zum »Urban Gardening« geht in die zweite Runde: »Urban Farming« kommt jetzt mit großen Projekten, die in der Lage sind, Teile städtischer Nahrungsproduktion ortsnah zu realisieren.

    • In Paris eröffnet im Jahr 2020 AGRIPOLIS – 40.000 Quadratmeter Intensiv-Gemüsebau über den Dächern: www.archdaily.com
    • Die SUNDROP Farm in Australien erzeugt 15 Prozent des australischen Tomatenbedarfs mit Solarenergie und Meerwasser-Desalinisation: www.sundropfarms.com
    • Seawater Greenhouse eröffnet demnächst eine große Solarfarm in Somaliland – überall dort, wo viel Sonne und Meerwasser zur Verfügung stehen, lässt sich so die Nahrungsversorgung stabilisieren: https://seawatergreenhouse.com”
  • Hydricity – Das Zeitalter des Wasserstoffs
    „Hydrizität” (zusammengesetztes Wort aus dem englischen Begriff Hydrogen und Elektrizität) bezieht sich auf den dualen und sich ergänzenden Gebrauch von Wasserstoff und Elektrizität als Energiewährung, welche die Energiequellen mit den Energiedienstleistungen koppelt. Natürlich wird das H-Age, das Zeitalter des Wasserstoffs, irgendwann kommen. Aber bis dahin brauchen wir noch eine Menge Zwischenschritte, vor allem was die Lagerung und nichtfossile Herstellung des flüchtigen Stoffs betrifft.
  • Biomorph Tech/ SOLAR-PUNK
    Technologien erzeugen immer auch eine bestimmte Art von visionärer Popkultur, einen Pop-Mythos. Man denke an den »Cyberpunk«, die literarische und filmische Verherrlichung des virtuellen Lebens. Oder den »Steampunk«, die utopische Weiterzeichnung der Technik des viktorianischen Englands; eine Art mechanisches Zauber-Wunderland. Neuerdings gibt es auch eine Übersteigerung des Ökologischen, einen »ÖKO-Futurismus«, der aus bekifften Hippieträumen zu entspringen scheint: »Solarpunk«. In Wikipedia ist zu lesen: „Solarpunk ist eine Bewegung, die angesichts aktueller Umweltprobleme wie Klimawandel und Umweltverschmutzung sowie sozialer Ungleichheit zu optimistischen Zukunftsvorstellungen anregt. Solarpunk umfasst eine Vielzahl von Medien wie Literatur, Kunst, Architektur, Mode, Musik und Spiele…”.

  • Blue:Topia: Klimaresiliente Architektur
    Wo leben Menschen, die Mitte des Jahrhunderts wegen steigender Meeresspiegel große Städte verlassen müssen? Vielleicht wider Erwarten nicht nur in Elendsvierteln. Der Klima-Adaptionismus ist eine neue Design- und Architektur-Richtung, die die globale Erwärmung als gegeben und unumkehrbar betrachtet. Zum Beispiel »Oceanix City« des dänischen Architekten Bjarke Ingels. In voneinander unabhängigen autarken Wohn-Inseln können bis zu 10’000 Personen in einer Stadt auf dem Meer mit hohem Lebenskomfort leben. Man kann die unterschiedlichen Inseln immer zu neuen Konfigurationen zusammensetzen, sie sind nicht völlig hochseefest, eigenen sich also eher für Fjorde oder Buchten. In Holland werden heute schon ganze Cluster von schwimmenden Häusern und erweiterten Hausbooten ausprobiert.

    Screenshot www.oceanix.org

Matthias Horx, November 2019