61 – Danke Trump!!!

 

Seit gut vier Jahren kennen wir uns nun schon. Seitdem hat die gegenseitige Faszination nicht nachgelassen. Wir beschäftigen uns mit Dir. Du verfolgst uns in unseren Gedanken. Du verursachst uns unruhige Träume. Von einer Zukunft, in der wir nicht leben wollen. Von menschlichen Verhaltensweisen, von denen wir geglaubt haben, wir hätten sie – als menschliche Zivilisation – längst überwunden.

Jetzt aber verstehen wir, dass wir Dir dankbar sein müssen. Weil Du uns etwas überdeutlich gezeigt hast. Wahrheiten über die Zukunft – und über uns selbst.

  • Du hast uns gezeigt, wie der bösartige Narzissmus, das reine ICHICHICH eines innerlich verstörten Menschen sich mit der Angst der Verunsicherten zu einer Art Massenhysterie verbinden kann.
  • Du hast uns gezeigt, wie leicht man Gefühle negativ manipulieren kann, wenn man das Entzündungspotential der Echtzeit-Medien beherrscht.
  • Du hast uns gezeigt, dass in jeder Gesellschaft, auch in einer komplexen, jederzeit die Möglichkeit der Regression ins Despotische existiert.
  • Du hast uns drastisch vor Augen geführt, wie leicht Menschen sich in Illusionen einer vergangenen Grandiosität verrennen können. In einer bösartigen Nostalgie, die keinen Raum mehr für die Zukunft lässt.

Das alles kennen wir. Dieses Grölen, das von Dir und Deinen Anhängern ausgeht, kennen wir nur allzu gut.
Du hast uns an etwas erinnert. An unsere Vergangenheit. Und welche Rolle Amerika dabei spielte.

Als unsere Väter oder Großväter aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkamen, waren sie zerstörte Menschen in einem zerstörten Land. Sie waren an einer Illusion gescheitert, die sie gleichzeitig nicht loslassen konnten. Der Illusion von heroischer Größe, Überlegenheit, von grenzenloser Macht, die in den schlimmsten Massenmord der Geschichte geführt hatte.

Ihr, die Amerikaner habt uns damals nach dem Krieg gezeigt, was Großzügigkeit ist. Was Verzeihen und Vertrauen bedeuten, auch wenn man viele Opfer gebracht hat. Mit eurer Lässigkeit, eurer Freiheitsbetonung, eurer Musik, den wunderbaren Filmen Hollywoods. Damit verbunden war eine Vision der empathischen MODERNE – Vernunft, Aufklärung, Pragmatismus und Gefühl. Dafür stand Kennedy. Stand der Rock ‘n Roll, der Blues – das Roadmovie mit seinen rebellischen Helden. Ausbruch aus der Enge. Coolness als Wille zu innerer Souveränität. Von Humphrey Bogart in Casablanca bis Peter Fonda in Easy Rider. Nicht zu vergessen der unsterbliche Charlie Chaplin in »Der Große Diktator« – man sehe heute die Schlusssequenz. Und weine.

Amerika stand immer für das Morgen, für die Hoffnung auf eine bessere Welt. Eine Welt, in der sich das Individuum entfalten und große gemeinsame Träume Wirklichkeit werden können. Diese Vision führte hinauf bis in den Weltraum, in „Welten, die noch kein Mensch je gesehen hat”.

Dabei gab es immer schon zwei Amerikas. So, wie es auch zwei Deutschlands gab. Das kosmopolitische, zukünftige Amerika, das die Menschheit „jenseits von Rasse, Religion oder Klasse” vereinen wollte. Das kommunitäre Amerika der Gemeinden und Nachbarschaften, einer Zivilgesellschaft, wie wir sie uns lange gewünscht haben. Und das dunkle, reaktionäre oder gar lynchhafte Amerika. Das Amerika der fanatischen Sekten, der Sklaverei, des CIA, der Kalten und der grausamen Kriege. Und inmitten von alledem wucherte das Amerika der Desillusion, der nicht eingestandenen Enttäuschung, das Land von Übergewicht und von Verzweiflung, auf der Du, Trump, deine Angstherrschaft errichtest.

Wir Deutschen haben uns mit dem Abgrund in unserer Geschichte auseinandersetzen müssen. Ich kann für meine Generation, die im Kalten Krieg aufgewachsen ist, sagen: Wir haben uns redlich bemüht, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Mit Eurer Hilfe, Eurem Schutz, ist uns das vielleicht sogar leidlich gelungen. Ich kann mich noch erinnern, als die Filmserie »Holocaust« ins Fernsehen kam. Erfolgreich bei der Betrachtung des Monströsen in der deutschen Geschichte waren wir da, wo wir verstanden, dass das Dumpfe, das Regressive und Bösartige auch in uns selbst wohnt. Dass es nicht außen, sondern innen liegt.

Deutschland ist heute, so möchten wir bescheiden sagen, ein Land, in dem aus dieser Erkenntnis heraus die demokratische Zivilisation wirklich Fuß gefasst hat. Auch wenn wir unsere eigenen Trumpisten haben; sie grölen heute im Parlament.

Für das, was ihr Amerikaner uns Deutschen und Europäern gegeben habt, sind und bleiben wir zutiefst dankbar. Umso mehr leiden wir mit an dieser neuen amerikanischen Tragödie. Dieser Infantilisierung, dem Rückfall ins dumpfe Tribale.

Lieber Trump, möchten wir Dir nun zurufen, bleib doch noch ein bisschen. Es wäre nützlich, wenn Du noch eine Weile illustrierst, worum es geht. Der Wahn verdeutlicht sich ja mit jedem Tag Deiner Amtszeit. Je mehr Du den Kim Jong-Uns und Lukaschenkos dieser Welt ähnelst. Die Stahlwerke des Mittleren Westens werden nicht wiederkehren. Die Familien werden nicht wieder »heil« wie in den gloriosen 60er Jahren (sie waren NIE heil, und wenn, dann auf schreckliche Weise, so wie deine Familie). Bleib also im Amt! Bleibe Präsident der Vereinigten Staaten! Setze es mit aller Macht und Perfidie durch! Four More Years. Das ist besser so, für uns alle. Denn das, worum es geht, muss deutlich, noch deutlicher sichtbar werden.

Wie alle Despoten führt Du immer das herbei, was Du am meisten fürchtest. Du hast Amerika nicht groß gemacht, sondern fanatisch und kalt. Du hast heute schon mehr getan für den Aufstieg Chinas als alle anderen Politiker bevor. Du hast die Sehnsucht nach Wahrheit und Wissenschaft gefördert, indem Du auf alledem herumgetrampelt hast. Du hast die Weltmacht Amerika beendet, dafür sorgen schon deine Kollegen auf der globalen Despotenbank, die sich die Hände reiben, solange Du am Ruder bist (schöne Grüße von Deinen lieben Freund Kim).

Mit jedem Amtstag wird der Wald von Birnam, die Wahrheit also, wie in Shakespeares Drama vom König Macbeth weiter auf Deine Illusion vorrücken.
Wir werden Dich scheitern sehen, soviel ist gewiss.

Es wird Dir auch nicht gelingen, die postfossile Wende zu verhindern, den dringenden Abschied vom auf Öl und Naturausbeutung gebauten Industrialismus, für den Amerika wie kein anderes Land stand. Amerikanische Bürgermeister verabreden sich heute schon für neue CO2-Reduktions-Ziele. Wall Street wendet sich Stück für Stück von den toxischen Industrien ab – und investiert zusammen mit Silicon Valley in die echten Zukunfts-Technologien. Amerikanische Regionen, Städte, Towns, werden sich unter deinem Regime mehr und mehr von der Zentralregierung – die Du ja eigentlich hasst, aber gleichzeitig repräsentierst – entkoppeln. Dieses neue Amerika wird wieder pionierhaft wie es die Verfassungsväter wollten. Es dividiert sich auseinander. um sich für die Zukunft neu zusammenzufinden.

Wir werden uns, solange das populistische Toben andauert, auf dieses ANDERE Amerika beziehen. Dieses universalistische Amerika ist ein eigener Kontinent, ein eigener Planet. Reichen wir ihm die Hände. Nehmen wir mehr als diplomatische Beziehungen auf.

Wie werden wir uns aus der Zukunft heraus an Trump erinnern? Als eine Lehre. Als letzte große Zuckung toxischer Männlichkeit. Aber auch als Beginn einer Gegenbewegung, in der das Globale und das Empathische, das Lokale und das Universelle neu zusammenfinden. Nehmen wir zum Beispiel die Premierministerin Jacinda Ardern in Neuseeland (Dem Land, in dem Karl Popper mitten im Zweiten Weltkrieg „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde” schrieb). Sie zeigt, wie man eine Nation in einer Krise vereinen kann, und wie der Humanismus der Zuneigung eine Gesellschaft heilt. Sie ernannte eine gesichtstätowierte Maori-Frau zur Außenministerin und koaliert weiter mit den Grünen, obwohl sie die absolute Mehrheit hat.

Welche Partei vertritt eigentlich Jacinda Ardern? Es spielt keine Rolle mehr. Die Zukunft entfaltet sich in den Formen menschlicher Kooperation jenseits der alten politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts, der Ruinen von »Links« und «Rechts«. Es geht um eine neue Integration von Staat, Gesellschaft, Markt und selbstverantwortlichem Individuum. Das ist der eigentliche »American Dream«. Das ist das, was man Fortschritt nennt.

Amerika tritt jetzt in dieselbe Phase ein, die wir Deutschen nach dem Krieg durchlebten. Eine Phase der Trauer, der Zerrissenheit und destruktiven Unruhe. Einer Konfrontation mit den Wunden der Vergangenheit. Uns Europäern wird eine neue Rolle in der Geschichte zugeschrieben, die lange von Amerika ausgefüllt wurde. Die alten Griechen nannten es Katharsis. Und wir, als Europäer mit eine tiefen Katharsis-Geschichte, sollten alle Sympathie damit haben.

Zukunft ist eine Entscheidung. Für das Zugewandte, das Integrierende und Konstruktive – nichts anderes ist das Demokratische. Auch für Demut und Selbst-Verstehen. Dieser Erkenntnis hast Du uns, lieber Trump, wieder ein Stück nähergebracht. Wir danken Dir dafür.