87 – Willkommen im Jahr 2022

Ein anti-apokalyptisches Manifest zum Jahreswechsel

Seit langer Zeit bin ich mit einem alten Freund namens G. verbunden, mit dem ich vor fast einem halben Jahrhundert in einer WG gewohnt habe. Immer wieder haben wir uns aus den Augen verloren, um uns dann doch wiederzufinden. Heute lebt G. als pensionierter Diplomat auf einem renovierten Bauernhof mit Blick auf Felder, Wälder und Wiesen in der Mitte Deutschlands.

„Schau Dir das doch an!“ sagt G. zu mir. „Die Menschheit hat es verbockt. Unsere Spezies ist zum Untergang verurteilt, das wird doch mit jedem Tag deutlicher!“
„Du musst doch nur den Fernseher einschalten! Oder irgendwas lesen, anklicken! Rentenkrise. Demokratiekrise. Schuldenkrise. Migrationskrise. Inflation. Die Populisten, wie sie immer mehr Demokratien zerstören! Der Wahn der Impf-Schwurbler! China. Russland. Von Corona ganz zu schweigen!“

Pause.

„Die Menschheit ist auf dem absteigenden Ast. Klimakrise, das ist doch ein geschöntes Wort! Der ganze Planet fliegt uns um die Ohren!“
Erneutes Schweigen, dann: „Menschen sind einfach dumm! Furchtbar dumm!“

Und dann:
„Und ich selbst bin am Blödesten!“
Jetzt lachen wir beide.

Wenn mein Freund G. keinen Humor hätte, wäre er nur einer jener schlechtgelaunten Weltverflucher, von denen es so furchtbar viele gibt. Aber er kann lachen. Sogar über sich selbst. Vielleicht liegt es daran, dass er wirklich klug ist.

Wie kann ich Dir helfen, lieber Freund G.?
Wir können wir uns ein wenig weniger fürchten?
In dieser »finsteren Zeit«?
IST es überhaupt eine finstere Zeit?
Ist die Welt wirklich »aus den Fugen«?
Oder sind wir nicht eher selbst irgendwie komisch verfugt?

Wir leben in verschiedenen Wirklichkeiten gleichzeitig

Darf ich mit Ihnen ein Gedankenspiel machen?
Stellen sie sich ein »BEING« vor, ein existentielles Wesen, das in einer geschlossenen Box lebt. Die Box ist von Bildschirmen ausgefüllt. Über diese Schirme strömen im rasenden Takt Informationen, Bilder, Impulse, Reize, in die Box hinein. Rund um die Uhr, in ständig wachsender Intensität.
Das andere Wesen, »BEING 2«, lebt in einer Box, die nach außen offen ist. Man kann durch reale Fenster nach draußen sehen. Manchmal weht der Wind hinein, das Wetter meldet sich zu Wort, dann muss man Feuer machen oder manche Fenster schließen, damit nicht alles davonfliegt oder man friert.
Während »BEING 1« von der ganzen Welt unentwegt Impulse empfängt, erfährt »BEING 2« nur so viel, wie es durch die Öffnungen wahrnehmen kann.

Der Blick führt vielleicht in einen Garten, im Hintergrund ein Wald, ein Dorf. Ab und zu werden bedrohliche Dinge sichtbar.
Ein Auto verunfallt auf der Straße.
Ein Baum fällt um im Sturm.
Eine Rauchfahne steht am Horizont.
Im Wald könnten Räuber sein.
Da hinten, zwischen den Bäumen, brennt da nicht ein Dorf?

Welches dieser beiden Wesen lebt in der Wirklichkeit?
Wenn wir Wirklichkeit als jene Realität definieren, in der wir wirken können, dann befindet sich die Wesen in einem vollkommen anderen Universum. BEING 1 »kennt« eindeutig einen vielen größeren Ausschnitt der Realität. Ist unendlich viel mehr informiert, vernetzt, online eben, kann sich aber damit nicht in Beziehung setzen. Sein Weltverhältnis besteht aus Reizen, Simulationen, Gefahren, die weit weg sind und gleichzeitig auf unerträgliche Weise nah.
BEING 2 wird, wenn es auf der nahen Straße einen Unfall beobachtet, hinauslaufen und nachsehen, ob es helfen kann. Es wird die Feuerwehr rufen, wenn etwas brennt. Und womöglich selbst Mitglied der Feuerwehr werden. Freiwillig.

Es wird sich kümmern. Selbst als Einsiedler, zumindest für sich selbst. In dieser Welt gibt es Abhängigkeiten, Verpflichtungen, Verantwortungen höchst konkreter Art.
BEING 1 wird bei Unfallbildern nachschauen, ob noch weitere Unfall-Motive auf den Schirmen auftauchen. Und ja, da gibt es immer mehr und immer weitere Bilder! Da sind ganz viele! Es muss sich also um einen SUPERUNFALL handeln, einen MEGATREND zum Unfall!
Einen Untergangs-Unfall!

Während BEING 2 in einer »lückenhaften«, aber in sich stimmigen Wirklichkeit lebt – einer Welt, in der man lieben, leiden, hoffen, scheitern kann – lebt BEING 1 in einem Metaversum aus Reizen, Ängsten und Befürchtungen, auf die es nur mit weiteren Reizen, Befürchtungen, Meinungen reagieren kann.
BEING 1 ist sehr informiert, verfügt theoretisch über alles Wissen der Welt, nur hat dieses Wissen keine wahre Bedeutung mehr.
BEING 2 lebt in einer Welt, die von Verbindlichkeiten geprägt ist, die nicht ohne weiteres wegklickbar sind.

Früher vermittelten »Medien«, wie der Name ja eigentlich sagt, zwischen uns BEINGS und der umfassenden Realität. „Das Mediale“ bildete eine kognitive Brücke zwischen der äußeren und der inneren, der privaten und der öffentlichen Wirklichkeit. Dadurch entstand ein Diskurs, auf den wir uns zwar nicht immer einigen, aber doch beziehen konnten.
Es hatte noch Sinn, zu streiten, weil daraus neue Wahrheiten entstehen konnten.

In der digitalen Echtzeit-Medien-Welt unserer Tage zersplittert die Welt jedoch in lauter einzelne Fraktale. In der »Hyper-Medialität«, wie ich die mediale Überformung unseres Lebens nennen möchte (es geht hier um das System, nicht einzelne Medien), geht es nur noch um Reiz und Reaktion. Um Skandal und Übertreibung. Streit ist nur noch ein »Event«, kein Prozess mehr. Medien sind zu Parasiten des menschlichen MIND mutiert. Was am meisten Erregung erzeugt, egal ob Katzenbilder oder Katastrophen, Promi-Scheidungen oder Trump-Wutausbrüche, wird nach oben »gerankt«. Und erzeugt dadurch noch mehr Aufmerksamkeit.

Auf diese Weise ist eine Art zentrifugaler Mem-Maschine entstanden.
(Meme sind kulturelle Muster, die sich durch Kopie und Imitation in menschlichen Hirnen und Gesellschaften ausbreiten.)

  • Alles Extreme wird immer extremer.
  • Alles Schlechte wird immer schriller.
  • Das Reale wird immer Irrealer.
  • Alles Gelungene, Bessere, wird zunehmend unsichtbar.

Medien sind Ohnmachts- und Angstmaschinen geworden, weil Angst als der größte Aufmerksamkeits-Trigger wirkt. Und weil in der ständigen kognitiven und moralischen Überforderung ständig Sinn, das heißt Zusammenhang, zerstört wird.

»Hyper-Medialität« lässt das Gelungene, das Stimmige, das Leise und Evolutionäre unsichtbar werden – das fühlt sich an wie der Weltuntergang.

Ein Netflix-Film, der über Weihnachten viel gestreamt wurde, bringt das auf den – zynischen – Punkt. In „Don‘t look up!“, mit so ziemlich allen großen amerikanischen Stars (Meryl Streep, Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Timothée Chalamet, you name it!) rast ein Komet auf die Erde zu, wird aber von einer hysterisch wahrnehmungsgestörten Gesellschaft nur noch als Erregungs-Simulation, Business-Event und Politik-Show wahrgenommen.
Bis er die tatsächliche Apokalypse auslöst.

Wie zerbrechlich ist »die Natur«?

Unsere Vorstellung von “Natur” ist von tiefen Bildern und Symbolen geprägt. Da ist der blaue Planet in der Schwärze des Alls. „Kostbar” sind die passenden Worte, „zerbrechlich”, „fragil”, „verletzlich”. „Wir haben keinen Planeten B“, sagte der deutsche Astronaut Alexander Gerst aus der Umlaufbahn, und alle, die ihm zuhörten, hatten dieses heilige BEING-Erschauern.

Da sind die wunderbaren Tierfilme zur besten Hauptsendezeit, die vom Leben und Überleben handeln, von Aufzucht und Fürsorge, von langen Sommern oder harten Wintern. Von Tod und Werden. All das ist Kitsch, aber wunderbarer Kitsch. Es berührt uns, weil wir selbst Tiere sind. Beim Betrachten eines Attenborough-Films kann man das empfinden, was früher den Religionen zugeordnet war:
Ehrfurcht.

Und da sind die dräuenden Bilder der alltäglichen Öko-Katastrophe. Gigantische Müllberge, tote Fische in giftigem Wasser, Plastikstrudel, Feuersbrünste, abbrechende Gletscher, unendliche Rauchfahnen kaputter Industrie…

Riesiger Eisberg bricht in der Antarktis ab!
Artensterben nimmt immer mehr zu!

Was aber ist „wahr”? Was ist die wirkliche Wirklichkeit? Wie kann es sein, dass Millionen Pinguine, Schmetterlinge, Vögel jährlich die große Wanderung beginnen, hunderttausende Antilopen durch die Savanne ziehen, tausende von Walen durch einen tiefblauen Ozean ziehen, obwohl unser Planet doch längst „verseucht” ist?

Sind die Wale nicht längst schon ausgestorben?
Haben Millionen Tonnen Plastik nicht schon längst die Meere erstickt?
Wie passt das alles zusammen?
Dieser Horror und die Schönheit?
Das Wunderbare und das Schreckliche?

Warum die Welt TROTZDEM besser wird

Hans Rosling, der Meta-Statistiker, der im Jahr 2017 starb, hat ein Lebenswerk damit zugebracht, die fundamentalen Trends der menschlichen Zivilisation darzustellen. Rosling war weit mehr als ein Statistiker und Datensammler. Er war auch ein geistiger Aktivist, ein Magier des Welterkennens. Er stellte sich auf die Bühne und schluckte ein Schwert mit dem Ausruf:
„Wenn wir Schwerter schlucken können, dann können wir auch die extreme Armut auf diesem Planeten besiegen!“

Hans Rosling, beziehungsweise seine Kinder Ola und Anna, wie auch der zweite große »Humanstatistiker« Max Roser, der das zweite große Welt-Daten-Portal betreibt (https://ourworldindata.org), haben eine Mission: Sie wollen uns zu einem Wissen führen, in dem wir die ZUSAMMENHÄNGE der globalen Trends, der Welt-Entwicklung verstehen.

Bei ihrer Arbeit stießen Roser und Rosling auf einen „Positiven Rückkoppelungs-Loop“. Eine Art Grund-Algorithmus, in dem sich Trends in Richtung Wohlstand gegenseitig verstärken:
> Mehr Bildung
> Mehr Mädchenbildung
> Sinkende Kindersterblichkeit
> Weniger Kinder pro Frau
> Hygienischere Verhältnisse
> Bessere Ernährung
> Zugang zu Gesundheitsversorgung
> Längere Lebensspanne
> Mehr Produktivität aller Wirtschaftsfaktoren
> Höhere Einkommen
> Mehr Bildung
usw…

Dieser »Wealth-Loop-Effekt«, dieses Netzwerk von sich-selbst-verstärkenden Wirkungen, lässt sich in praktisch allen Ländern der Welt auf unterschiedlichen Niveaus beobachten. Selbst in armen Regionen Afrikas. In chronischen Krisen- und Konfliktregionen (Afghanistan etc.) kann sich der Trend zeitweise umkehren. Es scheint sich jedoch um eine Art systemischer Selbstorganisation zu handeln, eine Emergenz, die die menschlichen Lebens-Grundlagen zum Besseren transformiert.

Es gibt also Fortschritt auf dem Planeten. Allerdings ist er weitgehend unsichtbar. Es handelt sich um langsame, graduelle, oft unspektakuläre Verbesserungen, die meist mit dem Wirken »langweiliger”« oder verachteter Institutionen zu tun haben (Funktionierende Behörden, NGOS, internationale Organisationen, Zivilgesellschaft). Keine Zeitung, kaum ein Portal, berichtet von der Eröffnung einer Schule in Tansania, dem Anschluss von 1 Million Haushalten an das Elektrizitätsnetz oder den Rückgang von Bilharziose in einer Subsahara-Region. Wir können nicht würdigen, dass sich graduell, langsam, mühsam etwas verbessert, weil unser ganzes Wahrnehmungs-System auf Sensationen und Macht-Konstruktionen ausgerichtet ist.

Auch hier stellt sich wieder die Frage: Wie passt das zusammen? Wenn sich die Lebensbedingungen für uns BEINGS langsam verbessern – was ist dann mit den Bildern des Elends, der Unterdrückung, der Kriege, des Versagens der Menschlichkeit, die uns auf allen medialen Kanälen rund um die Uhr überschwemmen?

Wie kann etwas besser und schlechter zugleich werden?
Wie kann man diesen schreienden Paradoxien begegnen, ohne den Verstand zu verlieren?

Vielleicht hat es etwas mit unseren »frames« zu tun. Den kognitiven Fenstern, in denen wir »die Welt« wahrnehmen.

In der Vision des Untergangs spielen uralte archaische Vorstellungen, psychologische und politische Konstrukte eine Rolle. Nehmen wir die These von der „Überbevölkerung”. Von der Überschüssigkeit des Menschen auf einem limitierten Planeten. Weil wir, die BEINGS einfach ZU VIELE sind, wird »demnächst« der GROSSE ZUSAMMENBRUCH folgen.

Dieses dystopische Zukunfts-Modell ist seit den 70er Jahren ein starkes MEM, das sich unaufhörlich selbst reproduziert. 1972 schrieb der Untergangsprophet Paul R. Ehrlich den Weltbestseller „Die Bevölkerungsbombe“, in dem er die malthusianische Idee der „Geburtenexplosion“ als Ursache für den unvermeidlichen Zivilisationszusammenbruch darstellte. Gleichzeitig veröffentlichte der „Club of Rome“ seine Dystopie-Modelle, in denen die Menschheit unweigerlich auf einen Kipp-Punkt aus Rohstoffmangel, Überbevölkerung und Wirtschaftskrisen zuraste.
Lesen Sie hierzu die kluge Analyse der Clob-of-Rome-Modelle von Brian Hayes: Computersimulationen und das Schicksal der Menschheit.

Bis heute sind solche Modelle immer noch tief in unseren Zukunftsbildern eingewoben. Sie werden gerne von rechten Populisten genutzt, um rassistische Ängste zu schüren. Aber auch der »gute« grüne Ökologismus bedient sich in seinen Fußabdruck-Metaphern der Menschen-Überschuss-Logik. Dabei hat sich die ganze Theorie längst als linearer Irrtum erwiesen. Sowohl was die »carrying capacity« des Planeten betrifft, die sich ständig durch systemische und technische Veränderungen erweitert (etwa durch die diversen agrarischen Revolutionen). Als auch von den Zahlen der Geburtenentwicklung selbst her.

Ein Beispiel: Indien hat im Jahr 2021 eine Geburtenrate erreicht, die UNTER der Erhaltquote liegt (2.0 Kinder pro gebärfähige Frau, so viel wie in Island). Die indische Bevölkerung wird in wenigen Jahrzehnten anfangen, massiv zu schrumpfen. Die Geburtenraten in fast ALLEN Ländern der Erde sinken beständig – wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus. Der globale „Human Peak“, der Gipfel der Weltbevölkerung, könnte nach den neuesten Berechnungen schon zwischen 2060 – 2070 erreicht sein, früher als erwartet und nahe bei der 10-Milliarden-Marke. Von da an wird die Weltbevölkerung langsam zu schrumpfen beginnen.

Das glauben Sie nicht?
Sie werden Ihre Gründe haben…

www.economist.com

Warum die Welt nicht »knapp« ist

Für viele Menschen ist der Klimawandel eine Art Strafe des Planeten. Ein Weltuntergang als Konsequenz unseres sündigen Verhaltens.
Fühlen wir uns nicht irgendwie alle schuldig, wenn wir morgens aufstehen – mit dem großen CO2-FUSSABDRUCK zur Arbeit fahren, unsere Geschäfte erledigen und immerzu das Falsche konsumieren? Jeder Genuss ist verdorben, jeder Spaß mit dem Attribut „Sünde“ beklebt. Wir können ja noch nicht einmal entscheiden, ob es besserer ist, eine Plastiktüte oder Papiertüte zu kaufen. Was ist „umweltfreundlicher“? Was „nachhaltiger“?

Der Mensch als Ur-Sünder, der die heilige Ordnung der Natur stört – dieses Bild kennen wir aus der Ur-Erzählung der Bibel. Schuld und Scham dienen der normativen Ethik der Gesellschaft, sie soll uns auf soziale Defizite hinweisen. Schuld- und Schamgefühle wurden von der Evolution selektiert, damit wir BEINGS unsere sozialen Systeme besser gestalten können. Schuldgefühle lassen sich aber auch wunderbar missbrauchen. Zum repressiven Ausschluss aus der Gemeinschaft. Zur Durchsetzung eigener Machtinteressen.

Oder zur Selbstabwertung.

Vielleicht rebellieren deshalb so Viele gegen den „Öko-Zwang“. Und können den positiven Wandel nicht wahr-nehmen, der aus einer post-fossilen Wende, dem Abschied von der Öl- und Verbrennungswirtschaft, entstehen könnte.

Wie schade das ist!

Jeden Tag bringt das Sonnenlicht hunderttausendfach mehr Energie auf die Erde, als unsere Zivilisation nutzen kann.

Transformiert zu Biomasse – und in tausend andere Energieträger – wird daraus eine verschwenderische Fülle dessen, was wir LEBEN nennen.

Leben ist Umsetzung von Energie in organische Materie und ENERGIE ist der Schlüssel zu allem. Wir sind umgeben von Energie. Wenn wir sie intelligenter, adaptiver nutzen, dann würden wir in einem Universum von verschwenderisch viel Energie leben. Dazu müssen wir keine Fusions-Kraftwerke bauen, die die Sonne auf die Erde holen, oder nachts im Dunklen sitzen. Eine Fläche von rund 500 mal 500 Kilometern (250.000 Quadratkilometer) HEUTIGER Solar-Panels würde reichen, um den gesamten heutigen Strombedarf der Menschheit zu decken.

Das ist natürlich nur eine mathematische Rechnung; es wäre kaum sinnvoll, alle Energieversorgung an einem Ort zu konzentrieren. Aber auch die Hälfte der Hausflächen würden ausreichen. Zum Vergleich: Die Land-Erdoberfläche beträgt 149 Millionen qkm, allein die Sahara 9 Millionen qkm. In dreißig Jahren, wenn alle energetischen Prozesse auf Elektrizität/ Wasserstoff beruhen, brauchen wir wahrscheinlich eine Fläche von 1000 qkm zur Energieversorgung der Welt.
energiespeicher.blogspot.com
landartgenerator.org

MATERIE ist ebenso wenig knapp. Die 118 verschiedenen Elemente der Erde sind zwar unterschiedlich häufig verteilt, aber auch die selteneren sind immer noch in erheblichem Ausmaß vorhanden. Und zu den vorhandenen Molekülen kommen immer neue hinzu, die wir durch verfeinerte Materialtechnik erzeugen können.

Es ist in der Geschichte der Menschheit noch nicht wirklich »gelungen«, eine einzelne Ressource komplett zu erschöpfen. Vorher wurde sie zu teuer, oder unpraktisch im Gebrauch. Oder es lohnte sich, sie in effizientes Recycling zu bringen. Oder durch Materialtechnik zu substituieren (Man denke an Wal-Öl zur Lichterzeugung im 19. Jahrhundert. Oder die Kältemittel und Lösungsmittel, die das Ozonloch verursachten).

Ist es möglich, dass wir »das Ökologische« missverstehen, weil wir es mit fossilen Augen sehen – mit den Wahrnehmungsformen einer Industriegesellschaft, die Rohstoffe nur verbrennen und verbrauchen konnte? Timothy Morton, der amerikanische System-Philosoph, schreibt in seinem Buch „Ökologisch sein” (S. 237):
„Schrecklich vieles, was über die Ökologie zum Besten gegeben wird, erfolgt eigentlich im Diskurs der Ölwirtschaft. Fast nichts im ökologischen Diskurs findet tatsächlich in der Sprache der Ökologie statt. In einer vom Öl bestimmten Wirtschaft ist schon die Sprache bis ins Mark verzerrt. Das ganze Reden über Effizienz und Nachhaltigkeit handelt eigentlich von der Konkurrenz um die knappen, hochgiftigen Ressourcen.“

Könnte es sein, dass die Zukunft gar nicht der Ort der Knappheit, des Nicht-Mehr-Genug ist?
Sondern der kommenden Fülle?

Die Steinzeit ist auch nicht am Mangel an Steinen zu Ende gegangen!

Der Kulturanthropologe David Graeber, der im Jahr 2020 in Venedig mit 59 Jahren starb, hat uns ein erhellendes Buch hinterlassen, das die Geschichte der Menschheit ganz anders erzählt als wir es gewohnt sind. „Big History revisited”, ein Geschichts-Entwurf, der einen ganz anderen Zivilisationsbegriff entwirft als den, den wir durch die klassische »heroische« Geschichtsschreibung kennen (z.B. Yuval Noah Harari).

In „The Dawn of Everything“ (auf Deutsch: ANFÄNGE – Eine neue Geschichte der Menschheit, erscheint im Januar) geht es um die Adaptivität der menschlichen Kultur. Graebers Buch handelt von den Ursprüngen der Menschheit, den Creative Beings. Graeber und sein Co-Autor David Wengrow beschreiben die soziokulturelle Entwicklung nicht als lineare Entwicklung zu immer komplexeren und fragileren Zivilisationen, die alle irgendwann dem Untergang geweiht sind. Sondern als Ausbildung von sozialer Variabilität, einer Vielfalt von Gesellschafts-Systemen, die sich gegenseitig durchdrangen, abwechselten und rekombinierten.

Es waren besonders Perioden des klimatischen Wandels, in denen unsere Vorfahren neue Antworten zum Leben und Überleben fanden. Vor rund 10.000 Jahren wichen durch eine Wärmephase die großen Säugetiere aus den Savannen zurück, die von unseren Jäger- und Sammler-Vorfahren bejagt wurden. Der Übergang zur agrarischen Kultur begann – ein mühsamer Weg, der aber viel mehr kulturelle und soziale Diversität hervorbrachte als es in den konventionellen Geschichtsbüchern steht.

Das „Dunkle Mittelalter“, das mit der Kleinen Eiszeit einherging, brachte eine Fülle von Innovationen in Hausbau, Siedlungsformen, Vorratswirtschaft und Landwirtschaft mit sich. Und endete schließlich in der Renaissance und der Aufklärung.
Und so weiter…
Siehe auch z.B. die Bücher von Josef H. Reichholf: „Das Rätsel der Menschwerdung” und „Eine kurze Kulturgeschichte des letzten Jahrtausends”

Stellen wir uns einmal vor, der große METAtrend unserer Tage wäre nicht der Weg in den Untergang. Sondern die evolutionäre Adaption der humanen Kultur an die Biosphäre. Und an die menschlichen Bedingungen selbst.

Wir, die BEINGS, sind gerade dabei, uns erneut zu verwandeln.
Gewiss: Unter Rückschlägen, Irrtümern, Leiden und Zweifeln.
Aber dennoch. Oder gerade deshalb.
Das ist völlig unvorstellbar, oder?
Was wäre, wenn die uns umgebende Natur nicht fragil, furchtbar zerbrechlich ist? Wenn das Leben geradezu die GRUNDEIGENSCHAFT hat, robust, resilient, »antifragil« zu sein.
Wenn die Vorstellung, den Planeten »umbringen« zu können, eine Art umgedrehter Größenwahn wäre?
Wenn wir selbst als BEINGS kein »Fremdkörper« in der Natur wären. Ein »Schmarotzer« am Planeten. Sondern MIT unseren Technologien ein TEIL der evolutionären Natur?
Was wäre, wenn wir nicht in einer Endzeit lebten, sondern in einer bestimmten Zeit der Transition – wie es schon so viele gab?
In Turbulenzen. Aber auch einem OZEAN von Zukunft.

Lieber G., bist Du noch da? Oder hast Du Dich endgültig in den Keller der Untergangs-Gefühle verabschiedet? Dorthin, wo man sich ja durchaus gemütlich einrichten kann.

Es mag sein, dass Du meine Ausführungen für Spitzfindigkeiten hältst, »Optimismus-Geschwurbel«, wie Du das in Deiner wunderbar nett-zynischen Art gerne ausdrückst.
Ich habe keine Illusion darüber, dich von irgendetwas »überzeugen« zu können kann. Wenn ich eines in meiner Zukunftsforscher-Zeit gelernt habe, dann ist es, dass wir BEINGS unsere Zukunftsbilder so konstruieren, dass sie für uns selbst stimmig sind. Wir glauben an den Untergang, oder die Erlösung, an Monster oder Engel, weil unsere Wünsche und Ängste uns das diktieren.

Das Einzige, was ich in den Raum stellen kann eine Vermutung:
Alles könnte auch ganz anders sein!

Aber was folgt daraus?
Ich glaube, es geht darum, sich zum Leben hin zu öffnen. Leben heißt, verbunden zu sein. Mit denen, die wir lieben, und von denen wir geliebt werden – auch wenn wir das manchmal nicht annehmen können. Mit den Vertrauten im Geiste – Verbindungen über die ganze Welt zu pflegen, das haben wir in unserer Jugend gelernt.
Und mit denen, die nach uns kommen – den BEINGS der Zukunft – in Verbindung zu treten.

Zukunft ist eine Entscheidung. Eine Entscheidung dafür, ins Konstruktive zu gehen. Die Fenster aufzumachen und Luft herein zu lassen. Die Bildschirme abzustellen, die Erregungs-Abonnements zu kündigen, wo sie uns schaden. Die Welt wird anders werden, wenn wir es sind. Wäre das nicht ein guter Plan fürs nächste Jahr? Das Jahr, in dem das »Alte Normal« wieder einmal nicht zurückkommen wird. Aber womöglich gerade deshalb neue Wege in die Zukunft sichtbar werden.

Das Wort des Jahres 2022: RE-SPAIR

Vom englischen “despair” – Verzweiflung. Das Wort wurde vom schottischen Chronisten und Dichter Andrew of Wyntoun zum ersten Mal gebraucht, der von 1350 bis 1423 lebte. Es setzt sich aus den lateinischen Wurzeln von “wieder” und “Hoffnung” zusammen. Wie die Re-Gnose die Zukunft aus der Zukunft heraus neu definiert, drückt “Re-Spair” die Wiederkehr der Hoffnung nach einer Phase der Hoffnungslosigkeit aus.

Die schönsten Zitate zu diesem Text:

Klimapolitik ist, richtig verstanden, eben genau das, was ohnehin in der Transformation von der Industrie- in die Wissensgesellschaft gemacht werden muss: neue Arbeit, neue Organisationen, Ablösung der Routinen, eine andere Führung und Selbstführung. Mehr selbst gut machen statt bloß gut finden. Aufklärung statt Apokalypse. Ändern statt Angst haben.
Wolf Lotter

Zivilisation ist wie ein Strom mit seinen Ufern. Manchmal ist der Strom getränkt vom Blut ermordeter Menschen, von Diebstahl, Schießereien und Dingen, über die die Historiker üblicherweise berichten, während an den Ufern die Menschen weiter unbemerkt Häuser bauen, lieben, ihre Kinder großziehen, Lieder singen, Gedichte schreiben und sogar Statuen schnitzen. Die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte dessen, was an den Ufern geschieht. Historiker sind Pessimisten, weil sie die Ufer ignorieren.
Will und Ariel Durant, Geschichte der Zivilisation

There’s a sort of narcissism about thinking we’re in some especially bad time. This is the usual bad time. This is normal.”
William Nicholson, Filmmaker

Nature is a self-regulating ecosystem of awareness.
Charles Darwin

You cannot imagine big shifts until they happen.
Nelson Mandela