20 – Die Dünnwandige Welt

November 2017

Am 4. Dezember erscheint der neue ZUKUNFTS-REPORT 2018, das Jahrbuch des Zukunftsinstituts. Einige Texte und Thesen habe ich in den letzten Wochen in dieser Kolumne vorgestellt. Hier nun als Abschluss der Vorschau das Editorial:

Über Resonanz, den Schlüsselbegriff unserer Epoche

Übertreibung ist die Wahrheit,
die ihre Laune verloren hat.
Khalil Gibran

Gibt es so etwas wie ein Schlüsselwort unserer Epoche, ein Codewort, das uns die Phänomene der Gegenwart erschließen kann? Ja, das gibt es: RESONANZ!

Der Soziologe Hartmut Rosa hat in seinem gleichnamigen Werk die Resonanz als Grundlage unserer Weltbeziehung entschlüsselt. Vom ersten Atemzug an wollen wir wahrgenommen, gesehen, erkannt werden. Ob wir im Leben Glück erleben, hängt fundamental mit unserer Wirksamkeit zusammen. Kunst, Kultur, Musik, Gespräch, selbst das gemeinsame Essen verbinden uns mit der Welt, den Anderen, der Zukunft. Resonanz ist die Grundlage jener Lebendigkeit, die uns befähigt, die Lebens-Angst zu überwinden. Liebe und Spiritualität erschließen schließlich jene Resonanzen, die über unser Selbst hinausweisen.

Heute leben wir in einer doppelten Resonanzkrise. Einerseits zerfallen in der globalen Konnektivität alte Bindungen und Gewissheiten; so entsteht ein Verlorenheits-Gefühl, das leicht in Zorn und Hass umkippt. Gleichzeitig leben wir plötzlich mitten in einem gigantischen medialen Hyper-Resonanzraum, der uns mit seinen unendlichen Reizen in einen Zustand ständiger Über-Erregung versetzt. Die „sozialen“ Medien mit ihren LIKES und WANTS und SMILES greifen dabei tief in unsere Resonanz-Sehnsüchte ein. Sie erzeugen unaufhörlich Resonanz-Simulationen, die sich immer wieder als Illusionen, Selbsttäuschung oder nackter Betrug herausstellen.

Elke Schmitter beschrieb das in ihrer SPIEGEL-Kolumne so: „Die historisch vorbildlose Öffentlichkeit im Netz hat keine Ränder; Fiktive Beziehungen, die aus Projektionen bestehen; Offenbarungen ohne leibliches Gegenüber – das Gegenteil all dessen, worin wir Menschenwesen trainiert sind: zu identifizieren, wer da spricht, in einer geteilten Situation, die auf Resonanz gegründet ist.”

Der alte Wortzauberer Peter Sloterdijk hat das die Dünnwandige Welt genannt. Alles scheint mit Allem zusammenzuhängen. Alles schaukelt sich hoch. Entzündet sich. Irgendwann erscheint das Leben wie eine einzige Fehlermeldung. Das Resultat sind die mentalen Panik-Epidemien unserer Tage, jene „Mindwars”, in denen Gerüchte, Lügen, Übertreibungen, Hysterien blühen. Da ist der Populismus mit seiner viralen Bösartigkeit. Die Trolls im Internet, die ihre unerlöste Sehnsucht nach Wirksamkeit durch Hasstiraden und Abwertung anderer erfüllen. Dem Selbstmord-Terroristen wird im globalen Medien-Echo endlich jene Aufmerksamkeit, ja Anerkennung zuteil, die ihn sonst nie erreichte. Auch der schlecht gelaunte Moralismus der „political correctness” speist sich in Wahrheit aus (innerem) Resonanzmangel.

Gegen den Wahn unserer Zeit hat sich inzwischen Widerstand formiert; die ACHTSAMKEITS-Bewegung. Als Antwort auf die medial-kollektiven Hysterien versuchen immer mehr Menschen, den fatalen Reiz-Reaktionsmustern zu entkommen. „Nicht alles glauben, nicht alles fürchten, nicht alles liken!” – wie neulich ein erleuchteter Freund formulierte. Es geht um mentale Techniken der Gelassenheit. Natürlich kann man das leicht als „spritualistisch” oder weltfremd verdammen. Aber es geht um nichts anders die Rückgewinnung der Selbstwirksamkeit, der inneren Integrität.

So ist das oft: Die wahren Zukunftstrends entwickeln sich als Gegenbewegung gegen die Krisen der Zeit. Für das hypervernetzte Zeitalter brauchen wir neue innere Tugenden. Wie können wir in Unsicherheiten das Schweben üben? Welche Zukunfts-Sportarten erfüllen unser Bedürfnis nach Resonanz? Wie könnte ein neues Europa vernetzt und verbunden sein? Gibt es eine neue „Smart-Gott” – Spiritualität? Kann Heimat modern sein? Aus diesen-Fragen heraus spüren wir ins Jahr 2018 hinein. Und wie immer weit darüber hinaus – in die menschliche Zukunft.

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Bei Nachdruck-Anfragen wenden Sie sich bitte an Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com