28 – Future Bullshit

Die Nachrichten aus der Gegenwart verbreiten einmal mehr den muffigen Geruch gebrauchter Zukunft. (Günther Hack)


Screenshot: WirtschaftsWoche

Vor einiger Zeit geriet ein kleines Spiel in Mode, als ironischer Widerstand gegen den präpotenten Jargon der Business-Welt. Es hieß das »BULLSHIT BINGO Spiel«.
Eine Gruppe von Freunden positionierte sich zum Beispiel in der letzten Reihe des »Visions-Seminars Verkaufsförderung« oder des »Deutschen Strategietages« oder auch der Volkswagen-Vollversammlung. Immer wenn auf der Bühne einer der Referenten „Nachhaltige Geschäftsstrategie” sagte, oder „Benchmark-Ability” … oder „Marktpenetration” oder „Proaktives Empowerment” oder „Werteorientiertes Management”, standen alle auf und schrien laut „BULLSHIT!”

Das war lustig. Aber auch anstrengend. Weil durch einen geheimnisvollen Hypnose-Effekt viele Zuhörer im Saal einfach an diesen Unsinn GLAUBTEN. Und sich irgendwie gestört fühlten bei ihren Glaubensprozessen….

Eine Begriffsdefinition für das schöne Wörtchen Bullshit stammt von Harry G. Frankfurt, einem amerikanischen Professor, der vor 20 Jahren ein kleines, gemeines Büchlein mit dem Titel „ON BULLSHIT” veröffentlichte. Frankfurt fragte sich ganz naiv, warum rund um die Uhr so unglaublich viel BULLSHIT erzählt wird, ohne dass das jemandem aufzufallen scheint.

Im Gegensatz zum Lügen, so Frankfurt, erfordert Bullshit keine echte geistige Leistung. Beim Lügen geht es ja immer auch um Wahrheit, die es zu verbergen gilt. Dafür braucht man erheblichen geistigen Aufwand. Beim Bullshit hingegen gelten die Gesetze der reinen Redundanz. Man erfährt durch Bullshit das, was man sowieso erwartete – und das macht angenehme Gefühle:

&bdauo;Bullshit ist jene Erzählung, in der es nicht im Geringsten mehr darum geht, eine Wahrheit durch bewusste Verfälschung zu kaschieren. Das Verhältnis des Bullshitters zu der ihm umgebenden Realität ist pure Gleichgültigkeit. Er verbreitet einfach nur »etwas«”, bei dem jeder nur nicken und zustimmen kann.”

Zukunfts-Bullshit hört sich zum Beispiel so an:

Viele Trends zeichnen sich deutlich im Heute ab. Die vorgestellten 30 Trends zeigen die neue Einstellung der Konsumenten. Letztlich bietet die große Verunsicherung, der wir ausgesetzt sind, uns allen große Chancen des Aufbruchs. Wir können uns von alten Regeln und Gewissheiten verabschieden, denn sie existieren nicht mehr! Es gibt die Chance zu neuen, revolutionären Entwicklungen in vielen Bereichen unseres Lebens! Es gilt, diese Veränderungen rechtzeitig zu erkennen, vorbereitet zu sein und die Chancen auch zu ergreifen…

Ähnlich klingen auch Verlautbarungen mancher Kollegen aus der Zukunfts-Zunft, wenn sie mit Texten wie diesen für ihre Seminare werben:

„Wir nehmen … Sie mit auf die Reise in eine Zukunftswelt des Jahres 2020: Food-Konzerne entwickeln Margarine mit Neuropushern, Musikmajors bieten Halsbänder mit denen jeder die Stimme seines Stars erhält, Pharmakonzerne bieten Doping für Gehör und Geruchssinn, immer mehr greift auch der Inbody-Chip um sich. Kommende Generationen werden den menschlichen Körper weniger als naturgegeben, sondern mehr als optimierungsbedürftige Hülle sehen … die Lebenswelten und die Bedürfnisse Ihrer Kunden werden sich in den kommenden Jahren komplett verändern!!!

Die Zukunfts-Klischee-Erzählung unserer Tage geht etwa so:

In der Zukunft sind Roboter allgegenwärtig. Sie pflegen unsere Kranken, bevölkern die Stadt, sind uns aber unheimlich. Sie bieten uns Unterhaltung, Sex, Komfort &ndashM; und dann nehmen unsere Jobs weg.

In der Zukunft sitzen wir fröhlich in Anzügen oder feinem Kostüm in unseren Häusern auf dem Sofa und bedienen alles mit einer Fernbedienung, oder besser noch mit Gesten- oder Sprachsteuerung. Wenn wir im automatisch fahrenden Auto sitzen, werfen wir die Waschmaschine an, oder den Herd, der dann automatisch einen Braten brät… Der Kühlschrank ist intelligent und all unser Leben »smart vernetzt«… (bitte automatisch Text ergänzen…).
In Zukunft wird alles immer schneller und sensationeller und automatischer und gefährlicher!

Kaum jemandem fällt auf, dass diese Morgen-Bilder uralter, abgestandener Kaffeesatz sind. Das elektronisch-automatische Utopia, das uns hier beschworen wird, ist mindestens 100 Jahre alt. In den Zukunftsbildern meiner Kindheit in den 60er Jahren wimmelt es nur so von Haushalten, in denen Männer mit Pfeife fröhlich Rasenroboter dirigieren und »Denkmaschinen« die Arbeit übernehmen, während die fröhliche Hausfrau sich vor dem Spiegel schminkte. Am meisten grassiert der Bullshit heute beim großen Hype unserer Tage der »Künstlichen Intelligenz«. Die ganze Debatte darum krankt an dem, was der System-Soziologe Nicolas Luhmann einmal als »Kategorienfehler« bezeichnete. Als Beispiel für diesen typischen Denkfehler nannte er den Versuch eines Bauern, Bratkartoffeln anzubauen.

In der dämonisierten Künstlichen Intelligenz-Debatte verwechseln wir dauernd die Kategorie der Intelligenz – des formalen Lösens von Problemen – mit Bewusstsein und den dazugehörigen Emotionen. Wir projizieren munter menschliche Motive auf digitale Prozesse. Wir verwechseln das Mechanische mit dem Organischen. Wir halten letztendlich Metaphern für Prophezeiungen. Der anthropomorphe Animismus, mit dem wir Computern und Robotern ständig menschliche Motive unterschieben, zerstört dabei unmerklich unseren Wirklichkeits-Sinn. Er führt zu einer ständige Steigerung von Hysterie-Debatten, in denen wir uns grenzenlos vor der Zukunft fürchten – und sie uns gleichzeitig vollkommen egal wird. Denn tief innen ahnen wir, dass wir es eigentlich nur mit Narrationen zu tun haben, mit reinen Fiktionen, die mit der wahren Zukunft nicht das Geringste zu tun haben.

Leider befällt diese Krankheit auch die Klügsten. In der jüngsten Ausgabe der WirtschaftsWoche (16.3.2018) nimmt Miriam Meckel die Position der futuristischen Vermutungs-Apokalyptikerin ein. In der Titelgeschichte „Geschäftsmodell Gehirn” geht es irgendwie um Hirn-Implantate, Mensch-Maschine-Denk-Schnittstellen und Gedankendiebstahl. Das Titelbild der WIWO Ausgabe zeigt dazu einen Kopf mit einem USB-STECKER! (siehe oben).

„Aktuell arbeiten etwa dreißig Unternehmen weltweit an der neurotechnischen Eroberung des Gehirns. Sie wollen mit Hilfe neuer Technologien an der Erweiterung des Denkens durch Neurostimulation, Neuromodulation, Hirn-Apps und der Entwicklung von Hirn-Computer-Schnittstellen mitwirken… Es entsteht ein harter Wettbewerb darum, wer zuerst das Nervensystem kontrolliert und eine für den Massenmarkt taugliche Technologie anbieten wird für Gedankenlesen oder den Brainchat, das Plaudern von Hirn zu Hirn… Früher haben wir Mofas frisiert – heute sind unsere grauen Zellen dran… Die Autocomplete-Funktion die uns zum Beispiel Google anbietet, um uns zu helfen, die richtige Suche zu starten, würde ins Gehirn wandern…

Und so weiter. Formulierungen wie „könnte, würde…” und „Wissenschaftler behaupten …” und „Wettbewerb beginnt…” und „Schon haben die ersten Firmen APPS entwickelt…” verweisen in eine Sphäre der Unwiderlegbarkeit, die sich allein aus dem angstvollen Gerücht speist. Wie oft haben wir schon erlebt, dass sich solche Vermutungen als Hype erwiesen, dass spektakuläre Geschäftsmodelle sich als Fake, oder einfach nur als Missverständnis herausstellten? Aber egal, was „sein könnte”, „könnte ja irgendwie sein…” – oder?

Es könnte allerdings auch sein, dass dieser „Journalismus des Raunens” nicht unerheblich zu unserem heutigen postfaktischen Problem beigetragen hat – zu einer öffentlichen Sphäre der Hysterisierung und „Vermeinungen” (Sascha Lobo).

Ich schätze Miriam Meckel sehr, und gerade deshalb tut es weh. Es ist traurig, dass diejenigen, die sich geistig um unsere Zukunft kümmern können, so oft den alten Reflexen erliegen. Ein tragisches Beispiel ist der früh verstorbene Frank Schirrmacher, Ex-Herausgeber der FAZ, der mit seinem feuilletonistischen Zukunfts-Raunen zu unserer heutigen Zukunfts-Hysterie mehr als beigetragen hat. Es gelang ihm, die Erweiterung der Lebensspannen in der modernen Welt als monströse Weltverschwörung umzudeuten („Methusalem-Komplott”). Das Internet war für ihn eine Art demiurgische Black Box, eine Büchse der Pandora, aus der ausschließlich die Knechtung des Menschen entspringen konnte.

Auf diese Weise gehen TECHNO-HYPE – die Vorstellung, dass Technologie ALLES kann – und TECHNO-PHOBIE – die Dämonisierung der Technik – eine nahtlose Allianz ein. Genau das ist »Future Bullshit«: Die Ersetzung der Zukunft durch Erregungs-Leere. Das ist ein durchaus ähnlicher Prozess wie in der Politik, wo ganz Links und ganz Rechts mehr und mehr fusionieren. Dabei sind wir längst viel weiter in der Zukunftsdebatte. Wir sind mitten in einer »Digitalen Revision«, in der die medialen Fragen neu gestellt werden. Wir können allmählich verstehen, wie Technologie und Kultur zusammenhängen und sich in ihrer Evolution gegenseitig bedingen. Wir können plausible Modelle bauen für das, was sich technologisch durchsetzt, und das was scheitern wird. Für einen solchen aufgeklärten, humanistischen Futurismus müssten wir lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Zu DIFFERENZIEREN zwischen Magie und Wirklichkeit, Wahrscheinlichkeit und kindlich-ängstlicher Übertreibung. Es gilt, in Richtung Zukunft erwachsen zu werden. Ich weiß, das ist schwer. Ich versuche es jeden Tag.

 

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