45 – Die Trump-Prognose

An diesem Jahresanfang werde ich von Journalisten öfters gefragt, ob ich als Zukunftsforscher die „Zukunft von Trump” voraussagen kann. Wird Donald Trump 2020 erneut gewählt? Wird er einen Krieg anzetteln, gar einen Weltkrieg? Wie geht es weiter mit dem Hass-Populismus, den Trump ja gewissermaßen als zorntwitternde Großmacht verkörpert, als eine Art Flaggschiff der Rechtspopulisten?

Es ist leicht, angesichts dieser Frage in die klassischen Prognosefehler zu verfallen, etwa »wishful thinking« – man wünscht sich etwas und macht es zur Voraussage. Oder man lässt seine düsteren Gefühle durch eine innere Apokalypsemaschine laufen und behauptet das Schlimmste, mit der unbewussten Hoffnung, erleichtert zu sein, wenn es nicht so schlimm kommt. Aber die Frage nach »Zukunft Trump« lässt sich auch als eine Art case study für die Möglichkeiten und Grenzen von Zukunftsforschung einsetzen. Was kann ganzheitliche Prognostik – Zukunftsforschung mit Hilfe von Komplexitätstheorie, Spieltheorie und anderen dynamischen Disziplinen – leisten? Kann sie ÜBERHAUPT etwas sagen zu solch komplexen und gleichzeitig konkreten Fragestellungen?

Um eine Antwort auf die Frage nach Trumps politischer Zukunft zu wagen, müssten wir viel Faktoren beziehungsweise »Systeme« analysieren bzw. prognostizieren.

  1. Den Ausgang der amerikanischen Wahldynamik auf Grund des heute vorhandenen Wissens.
  2. Eine systemische Analyse / Bestandsaufnahme des politischen Phänomens Trump in Bezug auf die amerikanische Gesellschaft.
  3. Ein Modell der möglichen ERFOLGE seiner Politik: Kann er seine Versprechungen halten?
  4. Ein Prognosemodell seiner VERHALTENSWEISEN: Wir er noch aggressiver, oder versucht er es im Wahlkampf mit einem weiteren Kurs?

Zu 1)
Vor zehn Jahren veröffentliche Nate Silver, ein Statistiker und Wahlforscher, eine viel beachtetes Buch mit dem Titel „The Signal and the Noise: The Art and Science of Prediction”.

Darin schildert der zeitweise bekannteste Daten-Prognostiker der USA seine Methoden zur Prognose von Sportergebnissen oder Wahlausgängen. Tatsächlich gelangen ihm einige Volltreffer: Er konnte mit seinen Systemen die Leistung und berufliche Entwicklung von Baseballspielern voraussagen und sagte er den Ausgang von zwei Präsidentenwahlen voraus, bis hin in die einzelnen US-Bundesstaaten. Das machte ihn berühmt und in der politischen Publizistik sehr begehrt.

Doch 2016 war alles anders. Nate Silver versagte völlig und hielt Hillary Clinton für die wahrscheinliche Wahlsiegerin. Heute arbeitet er dennoch für mehrere Medien als Statistik-Spezialist, (z.B. https://fivethirtyeight.com), ist aber sehr vorsichtig geworden, was Voraussagen betrifft. Politische Wahlen, so die Lehre von 2016, scheinen seit einigen Jahren anders zu funktionieren als früher; die Ergebnisse hängen mehr von brachialen Strategien in den Medien oder gar von ausländischen Eingriffen ab. Die Stochastik des Wahlgeschehens franst an den Rändern aus, chaotisiert sich und hat immer mehr mit Personen und immer weniger mit Parteien zu tun. Besonders stark ist dieser Effekt in Ländern mit Mehrheitswahlrecht.

Es lässt sich also kaum etwas mit reiner Wahlarithmetik ausrichten. Was aber ist mit einer prognostischen Einschätzung der KOHÄRENZ der Trump-Bewegung? Wie tief reichen die sozioökonomischen Wurzeln, die zu Trumps Wahlsieg führten und wie weit hat sich das in den letzten zwei Jahren verändert?

Alle Zahlen verraten uns, dass die Loyalität der Fans von Trump ungewöhnlich konstant hoch ist. Seine Beliebtheit schwankt nur wenig um die 36-Prozent-Marke. Das ist eher niedrig, aber erstaunlich konstant – eine Art Wagenburg hat sich hier gebildet. Trump hat das, was man eine »betonharte Gefolgschaft« nennt. Allerdings ist die nicht die Mehrheit. Was in einem postdemokratischen System allerdings wenig bedeutet.

Sind die Motive, die seine Wähler antrieben, geringer geworden? Die Methode Trump wird getragen von der Verzweiflung von Millionen Menschen über die Enttäuschung ihres Lebensmodells, ihrer Ziele, ihrer Träume. Der amerikanische Traum selbst ist in einer tiefen Krise, und das wütende Leugnen dieser Tatsache brachte Trump ins Weiße Haus. Seine Kern-Wählergruppen aus den Rust Belts des mittleren Westens und aus den rechten und reaktionären Milieus stehen heute noch stärker hinter ihm.

Die Auswirkungen seiner Politik sind weder im Positiven noch im Negativen real spürbar – es handelt sich sowieso überwiegend um Symbolpolitik, die nicht auf Veränderung, sondern auf rhetorischer Wirkung und Feindschaft basiert. Der Wagenburg- Effekt, der durch »narrativen Illusionismus« entsteht, ist soziopsychologisch weitgehend erforscht: er hat etwas mit der menschlichen Eigenschaft zu tun, enttäuschte Erwartungen nicht eingestehen zu können. Und mit dem tribalen Erbe der Spezies homo sapiens: In traumatischen Bedrohungsgefühlen versammeln wir uns um den vermeintlich Stärksten und Lautesten – den, der am lautesten trommeln kann.

Allerdings bietet gerade das auch die Möglichkeit für einen Gegeneffekt. Die letzten Präsidentenwahlen wurden weitgehend von der Wahlabstinenz der Unentschiedenen geprägt. Jetzt könnte es anders kommen – die Polarisierung schwappt zurück zugunsten einer Anti-Trump-Allianz. 83 Prozent der Anhänger der Demokraten betrachten die Entfernung von Trump aus dem Amt als enorm wichtig (und 43 Porzent der neutralen Wähler). Das Momentum, das Trump an die Macht hievte, scheint gebrochen.

Eine Charakterwahl also, in der es nicht um Politik, sondern um die NEGIERUNG (oder Verherrlichung) einer Person geht. In der jüngsten These der demokratischen Kandidatin Elizabeth Warren, dass NUR eine Frau Trump schlagen kann, ist etwas Wahres. Das unsäglich chauvinistische und bösartige Verhalten Trumps macht besonders urbane Frauen aus der Mittelschicht traurig und wütend. Das könnte reichen. Dieser Effekt macht eine Abwahl Trumps in einem Verhältnis 60 zu 40 wahrscheinlich.

Wie aber steht es mit den realen Erfolgen Trumps? Kann er halten, was er seinen Wählern versprach? Eine These hierzu könnte lauten: Darauf kommt es gar nicht an. Denn die Logik des Erfolgs von Trump basiert nicht auf Ergebnissen. Sondern auf Narrationen. Auf Posen. Auf Demonstrationen der Stärke, der Unbedingtheit, der Unbesiegbarkeit, der Wut. Fallen wird Trump, wenn dieses Bild Risse bekommt.

Um ein bisschen zu verstehen, welche Logik hier am Werk ist, kann man einen Umweg über die Spieltheorie machen. Spieltheorie handelt von der Voraussage von komplexen Verhandlungsprozessen, wie sie in Gesellschaften unentwegt vorkommen. Die Spieltheorie hat viele erhellende »Storyboards« hervorgebracht. Zum Beispiel das Gefangenen-Spiel, bei dem Verrat und Treue eine Rolle spielen – zwei Gefangene werden getrennt in Zellen gebracht und isoliert befragt. Oder die Konflikt-Modelle von John Maynard Smith, eines spieltheoretischen Ökonomen. Eines seiner interessantesten Spiel-Szenarien spielt auf einem (simulierten) Planeten. Es ist der Habicht-Tauben-Planet.

Stellen wir uns einen Planeten vor, der ausschließlich von netten, hübschen Tauben bewohnt, die immerzu freundlich miteinander kooperieren. Beim »Spiel« des Futterfindens teilen sie immer brav jeden Brocken. Sie gurren vorbildlich den ganzen Tag. Die solidarischen Grünen, die »Gutmenschen« bzw. »-vögel«, haben auf diesem Planeten gesiegt.

Man könnte jetzt meinen, dieser Planet wäre besonders stabil und ausgeglichen, wie wir uns das ja von im moralischen Sinne »guten« Systemen wünschen. Aber was auf der Taubenwelt entsteht, ist nicht Stabilität, sondern Statik. Wenn immer dasselbe Spiel gespielt wird, entwickelt sich keine Komplexität, keine Varianz, mit anderen Worten: keine Innovation. Und das macht das System anfällig.

William Spaniel – Game Theory 101: The Hawk-Dove Game

Wenn es keine Bösewichte gibt, wird man nachlässig.

Kommt zum Beispiel ein Habicht vorbei, ist ziemlich schnell Schluss mit der Idylle. Ein solcher Raubvogel (oder besser zwei; noch haben die Habichte kein Cloning gelernt) wäre in der Lage, den Taubenplaneten innerhalb kurzer Zeit vollständig zu übernehmen. Denn er spielt das permanente Futterspiel einfach andersherum. Immer, wenn er auf Futter trifft, frisst er alles auf und verjagt die Tauben. Lassen wir dabei Übergewichtsprobleme und andere Spitzfindigkeiten außer Acht: Innerhalb kürzester Zeit hätte die Habichtpopulation den ganzen Planeten übernommen und die Tauben verhungern oder verstecken sich in den Büschen und ernähren sich von Abfall.

Kommt uns das irgendwie bekannt vor? HOPE stand auf den Plakaten von Obama. Ein Hoffnungsplanet. ZORN ist das ewige Motto des Habichts Trump…

Nun pendelt dieses Spiel auf Dauer aber auch wieder in die andere Richtung. Die Habichte fangen kurz nach ihrem Sieg an, sich gegenseitig zu bekämpfen. Die ständigen Rangkämpfe kosten Energie, die der Planet aber als Nahrung nicht hergibt. Sie würden auch irgendwann eine Widerstandsbewegung hervorrufen. Einige der Tauben entwickeln womöglich ein gutes Tarngefieder und können sich unsichtbar dem Futter nähern. Andere verbünden sich, bewaffnen sich und schlagen den Habicht in die Flucht. Oder aber sie gehen ins Sportstudio und entwickeln sich zu Taubichten, die manchmal Futter teilen, manchmal die Krallen zeigen. Die Erfindung einer Taubenpolizei, der Erlass von Gesetzen, der das Habichtverhalten reguliert, könnte auch helfen. Auch hier gilt: Ähnlichkeiten mit der herrschenden humanen Realität sind nicht beabsichtigt, aber auch nicht rein zufällig.

Die Allegorie lässt sich so auf die amerikanische Gesellschaft übertragen: Vor Trump war die US-Gesellschaft hochgradig kooperativ »codiert«, der gesellschaftliche Diskurs orientierte sich an der HOPE-Ästhetik von Barack Obama. Das deckte die gewaltigen Spannungen der amerikanischen Gesellschaft zu, und gegen diese »Lüge« rebellierten die Trump Anhänger mit der Wahl eines Rüpels, der „aber immer sagt was er denkt”.

Entscheidend wird also der Konflikt zwischen »Hopern« und »Changern« sein. Das Time-Magazin titelte neulich: “The real Battle Lines 2020: Hope Versus Change”.

»Hoper« sind jene in der demokratischen Partei – aber auch in der Gesellschaft – die auf einen weichen Weg setzten, auf langfristige Versöhnung, auf Werte, Kooperation und Diversität. »Changer« sind diejenigen, die anpacken und real VERÄNDERN wollen – und zwar am liebsten gleich das ganze System. Denn unter einem Systemwechsel werden die Probleme, die der amerikanische Traum in seiner welken Blüte hervorbringt, nicht moderiert werden können.

Bei den demokratischen Kandidaten kämpfen gerade die »Changer« gegen die »Hoper«. Bernie Sanders verspricht, ebenso Elizabeth Warren, einen »fundamental change«. während Buttigieg und Biden eher »Hoper« sind, die auf humanistische Rhetorik, Selbstorganisation und eben HOFFNUNG setzen.

Dass die Zeiten des empathischen Hoffens auf »Change« wiederkehren, ist unwahrscheinlich. Zu groß ist der Frust mit der Obama-Zeit. Die Demokraten hätten deshalb eher eine Chance, wenn sie einen »Macher« zum Kandidaten küren würden. Das aber würde die demokratische Mehrheitschance schwächen.

Es könnte sich bei »Trump und die Zukunft« sich also um ein so genanntes »Nash‘sches Äquilibrium« handeln – nach dem Mathematiker und Spiel-Theoretiker John Nash (seine Biographie wurde durch den Film „A Beautiful Mind”) bekannt). Ein solches Äquilibrium bildet einen Zustand, in dem in dem kein Spieler auf dem Spielfeld etwas gewinnen oder verlieren kann, wenn er etwas verändert. Eine »Systemische Starre«, aus der es keinen »vernünftigen« – also prognostizierbaren – Ausweg gibt.

Eine fanatische Minderheit steht zu Trump wie der Teufel zu sich selbst. Die Republikaner brauchen Trump – sonst würde die Partei zerbrechen. Die Demokraten brauchen Trump, um ihre innere Zerrissenheit zu kaschieren. Die amerikanische Gesellschaft braucht Trump als Nemesis UND Hassobjekt – eigentlich für ihren Selbsthass. Ein immerwährendes Karussell.

Trump wird wiedergewählt.

Khan Academy: More on nash equilibrium

Bleibt Trump selbst. Wie berechenbar sind seine Handlungen? Knallt er irgendwann endgültig durch? Wie weit kann er die Aura des Erfolges, der Unbesiegbarkeit aufrechterhalten? Seine Taktik, das hat sich inzwischen endgültig herausgestellt, ist paradoxal, aber höchst wirksam. Er verhandelt alles tatsächlich so, wie er es auf seinen Baustellen als Immobilien-Tycoon verhandelte: Den Gegner unter Druck setzen, eskalieren, und dann zurückrudern. Maximale Drohungen folgen maximalen Umarmungen. Solcherart hyperchaotische, paradoxale Strategien sind im Prinzip unbesiegbar, weil sie keine Rationalität, keinem stringenten Erwartungsmuster folgen. Die Gewinne erfolgen bisweilen durch Zufälle, wie der Abschuss des ukrainischen Flugzeuges über Teheran. Wenn für Trump etwas schiefgeht, sind die anderen schuld. Wenn etwas – meist ebenfalls durch Zufall – gelingt, ist er der Held.

Am Ende ist Trump der einzige, der Trump zu Fall bringen kann. Das ist gar nicht unwahrscheinlich, denn je länger er seinen Furor im Weißen Haus veranstaltet, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit von Fehlern, Irrtümern, kleinen Zufällen, die sich aufschaukeln. Oder irgendetwas aus seiner Vergangenheit taucht doch noch plötzlich auf. Das energetische System Trump läuft laufend am Limit und dadurch wird es zwangsläufig instabil. Das Impeachment treibt ihn nicht aus dem Amt, macht ihn aber nervös.

Auf Dauer werden die gestapelten Risiken seiner Chaosaktionen und seines Blutdrucks auf Trump zumarschieren wie Birnams Wald in Shakespeares Macbeth. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in einem irren Drama, oder in Krankheit abtritt, ist hoch. Hysterische und narzisstische Menschen wie er müssen ständig ihre Handlungen steigern und das führt irgendwann automatisch ins Desaster. Fast möchte man ihm eine zweite Amtszeit WÜNSCHEN, damit dies deutlich werden kann: Der tobende Kaiser hat gar nichts an. Und genau das ist das wahrscheinlichste Szenario: Trump wird wiedergewählt, aber dann geht ziemlich schnell irgendetwas schief, denn auch, nein gerade für den Meisterspieler auf der Klaviatur der Umdeutungen gilt: shit happens!