01 – Die wahre Trump-Lehre

Warum in jedem Trend zum Schlechten auch ein Trend zum Guten liegt

Mai 2017

In der fernöstlichen Philosophie gibt es die KOANS, die unlösbaren Rätsel der Paradoxie. KOANS handeln von der Frage, wie es sich anhört, wenn man mit einer Hand klatscht. Oder wie man liebt, ohne besitzen zu wollen. An einem solchen unlösbaren Rätsel kauen wir nun seit einigen Monaten im Politischen herum: Wie konnte ein narzisstischer, reaktionärer, emotional bösartiger Stinkstiefel im freien, immer doch so „progressiven” Amerika an die Macht kommen? Und sich schon mehr als 100 Tage halten, ohne dass seine Popularitätswerte richtig fallen?

Womit haben wir das verdient?
Sind wir womöglich selbst schuld?
Ist das das Ende der Zukunft?

Wenn es um die Zukunft geht, entscheidet sich unser Kopf immer für zwei eingeschränkte Möglichkeiten. Es kann immer nur aufwärts oder abwärts, ins Desaster oder grandios Vorwärts gehen. Diese mentale Polarisierung stammt aus unserer Jäger- und Sammler-Seele, aus der Ur-Vergangenheit des Menschen, wo es darauf ankam, klare Entscheidungen zu treffen. Fliehen oder Standhalten! Freund oder Feind! Dieser Denk- und Fühl-Mechanismus ist zutiefst menschlich. In einer vernetzt-komplexen Welt führt er allerdings zu einer spezifischen Form des Versagens an der Wirklichkeit, von der „Populismus” nur eine Variante ist

Nach 100 Tagen Trump hat sich in der Tat einiges verändert. Nicht nur in Amerika:

  • Millionen von US-Bürgern sind inzwischen dauerhaft auf Wikipedia unterwegs, weil Donald Trump unentwegt falsche Fakten in die Welt setzt, deren Falsifikation in Wikipedia leicht möglich ist.
  • „Planned Parenthood”, die Organisation der progressiven Familienplanung, die in den letzten Jahren an Bedeutung verliert, gewann 400.000 neue Dauerspender.
  • Die Online-Auflage der NEW YORK TIMES stieg von 1 auf 1,5 Millionen.
  • #Die neuesten Umfragen in den USA zeigen, dass nach dem Scheitern der Trump-Gesundheitsreform die meisten Amerikaner davon ausgehen, dass es auch in Zukunft eine GARANTIERTE Krankenversicherung für alle geben muss. Das war in der Zeit, als Obamacare unentwegt die Kritik an sich zog, nicht der Fall.
  • Kreative Branchen wie Kunst, Performance, Theater, boomen im Zeichen einer erwachten Interesses an politischen und gesellschaftlichen Themen.
  • Die internationale Wissenschafts-Community diskutiert erstmals intensiv um die Frage zukünftiger Vermittlung wissenschaftlicher Methoden. Der Pro-Science Earth Day brachte hunderttausende von Menschen, die Wissenschaft lieben, auf die Straße.
  • Satiresendungen im amerikanischen Fernsehen, sind inzwischen wieder richtig gut und lustig. Stephen Colbert, einer der skurrilsten Comedians, erlebte ein Comeback (derweil zeigen im deutschen Fernsehen fade Trump-Witze, dass deutsche comedy nicht so lustig, sondern eher zynisch ist).
  • In den deutschen Printmedien gibt es seit einigen Monaten erstklassige Essays, in denen Fragen gestellt wurden, für die sich früher niemand interessierte: Wie kommt es zu Zusammenbrüchen des Selbstwertgefühls? Was hilft gegen Selbsterniedrigung, die in Hass umschlägt? Wie funktioniert die Zukunftsmacht der Gefühle? W as sind regressive Utopien?
  • Auf den Zukunftskongressen, auf denen ich unterwegs bin, liegt plötzlich eine gewisse Nachdenklichkeit in der Luft. Endlich zweifelt man ein bisschen, ob das hypervirtuelle, künstlich-intelligente Paradies, das uns dort seit Jahren lautstark prophezeit wird, wirklich so bekömmlich ist. Ob Digitalität alle Probleme lösen kann und Industrie 4.0 tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist. Zukunfts-Diskurse drehen sich, man höre und staune, plötzlich wieder um DEN MENSCHEN.
  • Die Debatte um die Zukunft Europas bekommt plötzlich einen anderen Klang. Wir spüren, dass wir es uns mit dem wohlfeilen Europa-Bashing, das noch vor einem Jahr auch bei kritisch-progressiven Menschen sehr in Mode war, sehr einfach gemacht haben. Eine Reaktion darauf sind die zahlreichen PULSE-OF-EUROPE-Demonstrationen, die sich nach dem Muster viraler Bewegungen ausbreiten. Wenn man die Welt verbessern will, kann man nicht immer nur DAGEGEN sein.
  • In Frankreich entstand gleichsam über Nacht eine Politikbewegung neuen Typs. Macrons „En marche” greift die Dritte-Weg-Debatte der Neunziger auf und versucht, sie neu zu energetisieren. Dass das Liberale, Weltoffene, mit dem Sozialen und Empathischen zusammengehen kann, ist eine wunderbare Botschaft, auch wenn sie in viele Köpfe, die von den alten Links-Rechts-Ideologien geprägt sind, noch nicht hineingeht. Macrons Sieg zeigt, dass auch die Sphäre des Politischen spontane Innovationen hervorbringen kann.

Jeder Trend hat einen Gegentrend. Jede Tendenz nach unten bringt spontane Gegenreaktionen hervor, die Schönheit und Lebendigkeit zeigen. Darauf kann man sich in Richtung Zukunft verlassen. Trump ist unser aller Prüfung. Wir wissen am Ende nicht, was er bewirkt. Vielleicht wird seine bizarre Art sogar zu positiven Überraschungen führen. Genau diese Verunsicherung ist sein eigentlicher Verdienst.

„Irgendwie gibt Trump der Sache einen anderen Dreh” sagte Tom Wolfe, der ewige Dandy der amerikanischen Literatur, in einem SPIEGEL-Interview. Die Welt ist im stetigen Wandel. Dafür nutzt sie Überraschungen, Störungen, Tricks die uns zu neuem Denken und Empfinden zwingen. Was wie eine Katastrophe erscheint, ist eine Herausforderung für unser inneres Wachstum. Trump ist eine Provokation, die uns in die geistige Komplexität zwingt. Die Welt wird besser, auch wenn sie bisweilen wirre Schleifen zieht. Dieser störrische Rekursions-Effekt ist das ewige Geheimnis, das Einhandklatschen der Zukunft.

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