09 – Jenseits der Bösartigkeit
Wie die Häme als Kommunikationsprinzip über uns kam – und wie wir sie überwinden können.
August 2017
Wann hat eigentlich die Bösartigkeit als Umgangsform ihren Siegeszug begonnen? Vielleicht schon in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als ein Feuilletonist namens Christian Schultz-Gerstein serienweise gehässige Personen-Zerrisse im SPIEGEL schrieb. Er hatte einen unglaublichen Riecher für die Empfindsamkeit von Menschen; dort schlug er besonders zu – aus der sicheren Position eines Magazins mit fast absoluter Deutungsmacht. Mitte der Achtziger wurde Schultz-Gerstein Kulturchef des Blattes, das Ganze endete tragisch im Jahre 1987, mit einem Suizid.
Seitdem hat sich der Tonfall des Abwertens, der rücksichtslosen Negativität, Zug um Zug ausgebreitet. Was früher das “Kritische” war, geht heute unter die persönliche Gürtellinie. Man hört den Sound der Bösartigkeit in jeder Polit-Talkshow, findet ihn im Feuilleton konservativer Zeitungen. Besonders im Internet haben sich die Fluttore weit geöffnet: Wer etwas vorzuschlagen hat im gesellschaftlichen Raum, der trifft auf eine Meute von Höhnern und Hämern mit und ohne Rechtschreibkenntnisse. Wer die Kommentarbereiche der Medien liest, kann bisweilen an der Menschenwelt verzweifeln – eine riesige Armada von zynischen, selbstgerechten Dauerbesserwissern scheint jede echte Debatte über die Zukunft unmöglich zu machen.
Sind “wir” generell bösartiger, narzisstischer, menschenfeindlicher geworden? Ich glaube das nicht. Die meisten Menschen sind heute eher zugewandter, differenzierter, offener in ihren Meinungen und Weltbildern. Es ist erstaunlich viel Güte in der Welt. Aber für das Bösartige ist es viel leichter geworden, Resonanzräume zu erschließen, strategische Machtpositionen zu besetzen.
Bösartigkeit entsteht immer aus einer Verletzung, deren Kompensation man nur in der Abwertung anderer finden kann. Menschen werden bösartig, wenn in ihrem Inneren ein existentieller Konflikt tobt, der sie in tiefe Ohnmachtsgefühle zwingt. Kim Jong Un hat eine panische Angst, das Lebenswerk seines Vaters und Großvaters, eine halbwegs funktionierende Diktatur, zu verspielen. Also muss er mit Atomwaffen fuchteln, auf tausend Kanälen in die Welt schreien und sein dunkles Land immer finsterer machen. Trump hat eine ähnliche Versagensangst, die ihn dazu treibt, herumzuschreien wie ein kleines Kind. Nach ähnlichem Muster, nur im kleineren Maßstab, funktionieren die Millionen von Internet-Trolls und Bildschirm-Hassern.
Hinter der Bösartigkeit steht immer eine furchtbare Sehnsucht nach Grandiosität. Der Internet-Troll, der Diktator, der intellektuelle Häme-Schreiber, ist immer derjenige, der sich seine eigene Größe im Leben nicht zuschreiben kann. Im Erniedrigen anderer erlebt man endlich Selbstwirksamkeit. Die Bösartigkeit ist die Waffe der Würstchen.
Einer der der wichtigsten Wegbereiter der Bösartigkeit ist die Nulldistanzwaffe Internet. Im digitalen Kommunikationsraum fehlt der entscheidende Faktor des Augenkontaktes, jener menschlichen Rückkoppelung, mit der wir – unsere Vorfahren – in Kleingruppen gelernt haben, unsere aggressiven Affekte zu zügeln. Blicke können auf subtile Weise verzeihen, moderieren, einlenken. Blicke VERBINDEN uns mit anderen Menschen, auch wenn sie uns fremd sind. In der wirklichen sozialen Welt hilft Schüchternheit bei der Verständigung. Im Internet fehlt dieser Rückkanal, und so entsteht das, was Psychologen “risikoloses Risikoverhalten” nennen.
Es ist also schlicht die Gelegenheit, die die menschliche Bösartigkeit herauskitzelt. Dazu kommt der gigantisch gestiegene Marktwert der Erregung selbst. Im rasenden Konkurrenzkampf der Medien ist Erregung das Gold, dass alle gierig schürfen wollen. Man schaue sich einfach im nüchternen Zustand die digitalen Nachrichtenportale an. Weil der Klick die zentrale Währung ist, schnurrt die Weltvermittlung der digitalen Medien auf eine einzige Reizerzeugung zusammen; ein unentwegtes Verunsichern, Angstmachen, Polarisieren, Übertreiben, Skandalisieren…
Der bösartige politische Populismus ist das logische Resultat dieser medialen Mutationen. Populisten geht es immer nur darum, jeden Versuch besserer Lösungen zu denunzieren, Kapital aus den Ängsten zu saugen, das Negative zu übersteigern und Hysterien zu schüren. Populismus ist die Troll-Strategie des Politischen, Mister Trump lässt grüßen.
Was also tun? Ignorieren mag meistens das Beste sein, um die geistige Entzündung nicht noch weiter anzuheizen. Aber manchmal lohnt sich auch eine andere Strategie. Dunja Hayali hat das wunderbar mit ihrer witzigen Mail gegen den “endgeilen Ficker” Emre gemacht. Sie hat den Shitstorm-Schreiber quasi in den Arm genommen und ihn in seiner eigenen Sprache getröstet. Großartig. Nur wie kriegen wir das mit Trump und Kim Jong Un und endgeil24# hin?
Nicht durch eigenen Groll ist die Bösartigkeit zu überwinden, sondern nur durch ein leuchtendes Ja zum Nein, das die Bösartigkeit ausdrückt. Genau dieses Ja lässt sich nun spüren. Da sind einerseits die neuen Achtsamkeits-Medien wie Brand Eins oder Perspective Daily, die sich um einen neuen Tonfall der Anerkennung bemühen. Sogar im SPIEGEL, diesem Hort der anmaßenden Arroganz, liest man plötzlich Texte mit einer eigentümlichen Rührung und Berührung; Reportagen, in denen Hoffnung, ja sogar Optimismus mitschwingt. Es kommt etwas in Bewegung. Für das Stille. Das Kluge. Das Sorgfältige. Das Abwägende. Das Freundliche. Für die Güte, die Geduld, den Respekt. Die Abwägung. Die Milde. Die Bescheidenheit. Die Dankbarkeit. Die Großzügigkeit. Und ja, auch die Scham, die notwendig ist, damit wir unsere Affekte nicht einfach rausplärren in die Welt wie kleine dumme Kinder. Das ist die nächste Stufe des Achtsamkeits-Trends: Die Wiederentdeckung der Tugenden des Zwischenmenschlichen in der Kommunikation zwischen Menschen.
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