19 – Neurofuturismus

Über eine neue ganzheitliche Weise, die Zukunft zu denken

November 2017

© Zukunftsinstitut Horx GmbH

Neuro-Futurismus ist eine Weiterentwicklung der Zukunftsforschung, die sich mit der Art und Weise beschäftigt, wie wir mental Zukunft konstruieren – und wie diese Konstruktionen auf uns rückwirken und wiederum die reale Zukunft beeinflussen können.

Menschen sind Zukunfts-Wesen, weil sie von der Evolution zu Voraus-Sehern geprägt wurden. Unser großes Hirn macht es möglich und unabwendbar, dass wir uns ständig das Kommende vorstellen. Dies dient letztendlich dazu, unsere Möglichkeiten zum Verbessern der Lebenssituation auszuloten und unsere Chancen zum Überleben zu erhöhen.

Unsere Vorstellungen der Zukunft sind jedoch stark von inneren Klischees und „Biases” – kognitiven Verzerrungen – geprägt. Beim Vorwärtsschauen schauen wir in Wirklichkeit immer in die VERGANGENHEIT. Die australische Kognitions­psychologin Donna Rose Addis erforscht in ihrem „Memory Lab” seit vielen Jahren, wie sehr Erinnerung und Zukunfts-Vision zusammenhängen. Im Hirn­scanner sind erstaunlicherweise beide Vorgänge kaum zu unterscheiden. Um den guten, alten Däniken zu zitieren: WIR ERINNERN UNS AN DIE ZUKUNFT! Wir projizieren ALTE Vorstellungen in das Morgen hinein. Dabei spielen vor allem Ängste, Befürchtungen und „gewitterte Gefahren“ eine Rolle.

Im Laufe der sozialen Evolution haben sich fundamentale Zukunfts-Mythen herausgebildet – Utopien und Dystopien spiegeln gesellschaftliche Ängste oder Sehnsüchte wieder. Solche Narrationen wirken auf dem Wege der self-fulfilling prophecy oder der self-denying prophecy auf die Wirklichkeit zurück. Sie dienen als „Pro-Gnosis” – als Vor-Schöpfung kommender Realitäten. Wir erzeugen auf vielfältige Weise jene Zukunft selbst, die als wahrscheinlich, zwingend oder befürchtet erscheint.

Der Neurofuturismus sieht die Zukunft nicht als einen objektiven Zustand, der durch „Voraussage” entschlüsselt werden muss. Sondern als Ergebnis von Bewältigungs-Prozessen, in denen Menschen neue Möglichkeitsräume erschließen. In dieser Betrachtung ist Zukunft keine Kategorie, sondern eine evolutionäre FÄHIGKEIT. Eine KOMPETENZ: Das ZUKÜNFTIGE entsteht in uns selbst als „prä-diktischer“ Prozess. Die Zukunft dient dabei als SPIEGEL, in dem wir uns selbst besser erkennen können.

„Die Größten Zukunftsirrtümer entstehen aus der Verwechslung von Metaphern und Prophezeiungen.”
Marina Warner

Über den feinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen „Zukunft” und dem „Zukünftigen”.

Die Zukunft:
Ein imaginierter, fixierter Zustand in einem bestimmten Zeit-Ausschnitt und Wirklichkeitsbereich. Da man sich „die Zukunft” in ihrer ganzen Komplexität nicht wirklich vorstellen kann, nimmt man irgendein Symbol, etwa den „Roboter” oder das „Flugauto” oder auch den „Digitalen Diktator”, um die kognitive Differenz zum Heute zu definieren. Zukunftsbilder sind illustrative Narrative, das heißt sie wirken nur durch ihre Erzählungskraft und finden ausschließlich im Hirn statt. Sie basieren meist auf Einengungen von Teilbereichen des Lebens, auf Ideologismen und Be-Fürchtungen, etwa durch Überbetonung von Technik oder des Katastrophischen.

Das Zukünftige:
Ein Wort, der sich durch die Begriffe „Potential” und „Latenz” am besten erschließt. Das Zukünftige ist das „mögliche Bessere”, das bereits latent in der Gegenwart angelegt ist und zur Entfaltung drängt. Das Zukünftige selektiert die Zukunft als Verbesserung, als das Komplexere und Schönere, als QUALITATIVES neues Ergebnis von (sozialer, kultureller, ökonomischer) Evolution.

Im Unterschied zur „Zukunft“ ist das Zukünftige immer REAL in dem Sinne, dass es mit dem Bestehenden verknüpft ist; es ist „die Zukunft in Verbindung”. Die Zukunft „kommt auf einen zu” oder „über uns”, sie ist kaum beeinflussbar. Das Zukünftige hingegen entsteht durch unsere Erkenntnisse und Entscheidungen – aus unserer inneren Verbindung zum Werdenden und zum Wandel.

„Die Zukunft verursacht die Gegenwart. Die Zukunft kann nämlich ganz grundsätzlich nur deshalb aus der Gegenwart wachsen, weil ebendiese Gegenwart bereits vom Licht der möglichen Zukunft genährt wird.”
Nathalie Knapp

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