Nachruf Hans Rosling

Der Faktivist
In memoriam Hans Rosling, Meister der Welt-Zuversicht

Ach Hans, das wäre nicht nötig gewesen.

Das war ja kein Alter, in dem Du Dich verabschiedet hast. Und Deine – unsere – Mission ist ja noch lange nicht beendet. Sie hat gerade erst angefangen. Und das Verrückte ist, dass das Monster Trump – oder der Clown Trump – zu dieser Mission bereitwillig beiträgt.

Zum ersten Mal seit Langem habe ich das Gefühl, dass differenzierte Nachrichten über die Zukunft der Menschheit wieder eine Nachfrage haben. Das hat mit dem heulenden Siegeszug des »Postfaktischen« zu tun, der jetzt mit Macht seinen eigenen Gegen-Trend produziert. Je bizarrer die Wirklichkeitsbehauptungen der bösartigen Populisten werden, desto mehr interessieren sich die Menschen wieder für die Wirklichkeit. Für die Du wie kein anderer standest, nein stehst. Denn Dein Werk bleibt ja bestehen. Deine Familie und Dein Team werden all die wunderbaren Projekte weiterführen wird, mit denen Du als »faktivistischer« Aufklärer gewirkt hast.

Aber der Reihe nach.

Am 7. Februar 2017 starb Hans Rosling, Arzt, Gesundheitsstatistiker, Big-Data-Liebhaber, Professor in Uppsala, Vater, Großvater, der wunderbare Guru des »Faktivismus«.

Hans war ein Statistiker der besonderen Art. In einem gewaltigen Datenwerk, für jeden einsehbar auf der Website www.gapminder.org, analysierte und präsentierte er die Trends der globalen Welt. Er glaubte an die aufklärerische Kraft der Zahlen, war aber auch ein Gefühls-Mensch, eine Emphatiker vor dem Herrn. Seine Vorträge, millionenfach im Internet abgerufen, waren nie nur »Vorträge«, sondern immer direkte KOMMUNIKATIONEN, emotionale Interaktionen mit dem Publikum.

Davon habe ich viel gelernt: Wie Du mit einer Waschmaschine auf die Bühne kommst, und aus der Waschmaschine Bücher fallen und Du daran das Prinzip des technischen Fortschritts erklärst.

Wie viele Frauen können sich heute weltweit eine Waschmaschine leisten, anstatt mit Feuerholz Wasser zu erhitzen und mit der Hand zu waschen – und was bedeutet das für die globale Bildung? Noch nie habe ich jemanden auf der Bühne eine Faust schütteln sehen und die chemische Industrie loben hören, die das Waschpulver erfunden hat, damit unsere Mütter uns Bücher vorlesen konnten!

Im Grunde ist Deine Botschaft ganz einfach, aber sie ist so schockierend, dass wenn ich Deine Zahlen auf meinen Vorträgen zeige, sich die meisten Zuschauer regelrecht wegdrücken. Alle großen Parameter der humanen Zivilisation verlaufen prinzipiell in eine positiven Richtung. Die globale Bildungsrate steigt, die Säuglingssterblichkeit sinkt, die Geburtenraten sind auch in Afrika im Fallen.

Die Armut hat sich dramatisch reduziert, eine gigantische Mittelklasse ist global entstanden. Die Welt ist heute friedlicher und wohlständiger als zu jedem anderen Zeitpunkt der Geschichte. In deinen Daten über die Entwicklungen der globalen Welt zeigt sich eine Welt, die trotz, vielleicht sogar aufgrund aller Krisen und Probleme auf dem richtigen Weg ist – und in der wir etwas TUN können, damit es weitergeht. Damit es besser wird.

Aber nichts ist schwieriger zu verstehen als eine Botschaft der Zuversicht, die einen in die Verantwortung zurückholt.

Nichts ist schwieriger, als zu begreifen, dass wir eine vollkommen verzerrte, pessimistische Weltsicht pflegen, in der wir uns sogar noch ganz wohlfühlen. »Apokalyptisches Cocooning« habe ich das einmal genannt.

Das »Problem« war, dass Du den Leuten die Angst nahmst, indem Du die üblichen alarmistischen Narrationen in Frage stelltest, von der Bevölkerungsexplosion über die Angst vor der Invasion durch Arme bis zum Gerücht der ständig wachsenden Kriegsgewalt.

Keine Deiner provokativen Fragen wirkt besser als die Frage: „In welchen Ländern ist die Geburtenrate höher – in islamischen oder christlichen?” (Antwort: Sie sind im Durchschnitt gleich)!

Du warst Ganzheitsdenker, der in Zusammenhängen statt moralischen Aufwallungen agierte. Du konntest Dich wahnsinnig aufregen, wenn Menschen glaubten, dass – zum Beispiel – das Senken der Säuglingssterblichkeit die Bevölkerungsexplosion hervorbringt. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Je mehr Kinder überleben, desto schneller sinken die Geburtenraten Richtung Kleinfamilie.

Du hattest diese unglaubliche Waffe des Humors, die Du auch gnadenlos ad personam einsetztest. Du warst Dir nicht zu schade, Hosenträger auf der Bühne zu tragen und ein Schwert zu verschlucken – mit der Botschaft, dass man, wenn man Schwerter schlucken kann, auch die weltweite Armut besiegbar ist.

Einmal traf ich dich im Garten des Oxford College, kurz vor einem Vortrag. Du warst mit einem Taschenmesser unterwegs und suchtest einen Ast, den Du als »Pointer« benutzen konntest. Als Zeigestab, anstelle eines Laserpointers. Das Publikum folgte Deinem Ast umso aufmerksamer.

Seien wir ehrlich. Im großen medialen Mainstream hat Dein Wirken wenig Echo hinterlassen (das Schicksal teilen wir). Kaum eine Talkshow, keine politische Debatte, in der Deine Weltsicht im Zentrum des Diskurses angekommen wäre. Dein legendärer Gapminder Test, mit dem man sein eigenes Welt-Wissen messen kann, wurde sogar vom SPIEGEL veröffentlicht, aber bald wieder diskret vergessen.

Du galtest, obwohl Dein Wirken hohen Respekt auf den wichtigsten Konferenzen der Welt fand, immer noch als Freak, als Außenseiter. Das zeigt wieder, wie wenig unsere Welt-Wahrnehmung von WAHRHEITEN geprägt sind. Sondern den gefühlten Weltlagen, die den Erregungskurven des medialen Angstmachens folgen.

Die Welt wird immer schlimmer! Diese Überzeugung ist deprimierend weit verbreitet – meine linken Freunde teilen sie mit meinen konservativen Freunden, und alle scheinen sich immerzu gegenseitig davon überzeugen zu wollen, dass die Welt zum Teufel geht. Aber diese Überzeugung ist brandgefährlich, denn auf ihr basiert die Wirkmacht der bösartigen Populisten, die ja mit dem Argument, Europa wäre im Eimer und Amerika ein verkommenes Dreckloch, für ihren neuen Totalitarismus werben.

Jetzt also brauchen wir Menschen wie Dich mehr denn je. Menschen, die den ganzen Immer­schlimmerismus nicht mitmachen. Die verstehen, wie die BIASES – die Wahrnehmungs­verzerrungen in unserem Hirn – funktionieren, und wie man sie überwinden kann. Menschen, die die Fackel der Zuversicht tragen. Wir vom Zukunftsinstitut werden die Fackel aufnehmen. Wir werden Dich nie vergessen.

www.gapminder.org/videos

Ich freue mich über Nachdrucke oder Links zu meinen Texten - bitte kontaktieren Sie Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com.