24 – Shut up, Alexa!

Was der Humanistische Futurismus über die Zukunft der Sprachassistenten zu sagen hat.

Januar 2018

Ein technologisches Gespenst geht um – wieder einmal. Eine Technologie spaltet die Gemüter. Die einen können sich vor lauter Zukunfts-Euphorie gar nicht mehr einkriegen: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ kommt jetzt in unsere Haushalte, wird unser Privatleben einfach und genial komfortabel machen! Die anderen sehen die finale Versklavung des Menschen durch die kapitalistische Digitalindustrie kommen. Die Rede ist von den neuen Sprachassistenten: Google Now, Alexa von Amazon, Siri in Lautsprecherform, demnächst wird auch Facebook einen sprachlich versierten Assistenten auf den Markt bringen.

Sascha Lobo schreibt zum Thema in seiner SPIEGEL-Kolumne:

In jeder deutschen Fußgängerzone wäre man vor 30 Jahren blau geschlagen worden allein für die Frage, ob man eine “Wohnzimmerwanze” kaufen würde, die jedes Wort nach Amerika funken kann… Die Weltmacht Bequemlichkeit schlägt alles, sogar deutsche Bedenken. Wer 2008 ein Smartphone mit Touchscreen in die Hand nahm, spürte, die physische Handy-Tastatur ist alt. …Jetzt zieht das Reden mit dem Netz herauf, Smart Speaker mit digitalen Assistenten, angetrieben von sogenannter künstlicher Intelligenz…. Das mag auf manche wirken wie ein Rückschritt, aber es ist das Gegenteil: “progress of no return”, Fortschritt ohne Wiederkehr. Die Plattformkonzerne, die heute für so viele das Netz sind, erobern die älteste Kommunikationsform der Menschheit: das Gespräch. Und alle machen mit. Alexa regiert Deutschland.
www.spiegel.de/netzwelt

Weltmacht Bequemlichkeit. Fortschritt ohne Wiederkehr. Das ist wunderbar formuliert. Aber setzt sich tatsächlich alles, was technisch und spektakulär erscheint, im Lebensstil und Massenmarkt durch? Dann würden wir heute alle mit Flugautos durch die Luft fliegen, Rucksack-Atomkraftwerke nutzen und uns nur noch von Pillen ernähren, wie es in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts prophezeit wurde. Mit der Denkungsart des technologischen Determinismus hat sich die Zukunftsforschung (und der Feuilleton-Journalismus) schon oft blamiert. Ohne dass es weiter auffiel. Schließlich wurde bald die nächste Super-Technologie durchs Dorf getrieben, die “garantiert” alles radikal umwälzen wird….

Ich möchte diesem Schwarzweiß-Denken einen anderen Prognose-Ansatz gegenüberstellen: Den Humanistischen Futurismus.

Humanistischer Futurismus stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Zukunft. Er fragt vom „Humanum” aus, was am Ende der Nutzen, der wahre Fortschritt einer Technik sein wird.

Humanistischer Futurismus sieht die Zukunft nicht als zwangsläufiges Ergebnis von linearen technischen Trends. Sondern als Evolutionsprozess. Mensch und Technik befinden sich in einer ständigen dynamischen Co-Evolution. Menschen adaptieren sich zwar an Technik, aber nie vollständig und immer „ungenau”. Technik passt sich auf dem Wege der Flops und Hypes an menschliche Bedürfnisse an. Der so genannte Exaptations-Effekt (Ablenkung des technischen Pfades) führt dazu, dass Techniken oftmals nicht so genutzt werden, wie sie geplant waren.

Humanistischer Futurismus setzt sich auch mit den „Future Biases”, den Verzerrungen auseinander, denen das menschliche Hirn beim Prognostizieren unterliegt. Wir GLAUBEN gern an das, was wir fürchten. Wir sehen gerne Gespenster an der Wand, wenn das Feuer flackert. Das haben wir in der Ur-Höhle gelernt, in einer Zeit, in der es zum Überleben sinnvoller war, Ängste möglichst dramatisch zu übertreiben.

Humanistischer Futurismus versucht, komplexe Kontexte zu verstehen. Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Aus Trends und Gegentrends entwickeln sich neue Synthesen. Die Zukunft entsteht in lebendigen Wechselwirkungen, in Synthesen und Symbiosen. Um diese zu verstehen, braucht man eine ganzheitliche Sicht der werdenden Dinge.

Meine Prognose zu den Sprachassistenten:

Manche Techniken oder Technologien scheitern am Markt nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln. Aus manchem Hype ist über Nacht schon ein Flop geworden. Man denke an Google Glass, diese semivirtuelle Superbrille, die im Massenmarkt scheiterte und heute nur in kleinen Nischen in Gebrauch ist – bei der Lagerarbeit, bei Kampfpiloten. Sprachassistenten werden eine größere Nische erobern, das ist klar. Aber werden sie auch Massen-Geräte, die in jedem Haushalt zu finden sind, wie Kühlschränke oder Dunstabzugshauben oder Fernsehgeräte?

Es gibt Leute, die sprechen gerne mit Maschinen. Aber es gibt auch eine Menge Menschen, denen das auf keinen Fall tun werden. Nicht, weil sie Angst vor BIG BROTHER haben. Sondern weil sie es als extrem unangenehm empfinden.

Das ist das sogenannte Uncanny-Valley-Syndrom – das Tal des Unwohlseins. Wenn man Roboter sehr menschenähnlich konstruiert, dann erzeugt der Umgang mit ihnen ein tiefes Verunsicherungsgefühl. Für Autisten oder Psychopathen, auch für viele Japaner, spielt das keine große Rolle. Aber für andere Menschen erzeugt der Umgang mit einem sehr menschenähnlichen Roboter ein existentielles Schwindel-Gefühl. Das liegt daran, dass wir von der Evolution auf die verlässliche seelische Wahrnehmung eines Gegenübers geprägt sind. Wir wollen wissen, ob wir es mit einem echten Menschen zu tun haben. Einem Geist oder einer Person. Unser soziales Hirn ist darauf angewiesen, diese Unterscheidung zu treffen. Für unsere Psyche geht es hier ums Überleben.

Sprachassistenten erzeugen ziemlich schnell eine personale Illusion. Kinder fragen Siri sofort nach ihrer Lieblingsfarbe und ihren besten Freunden. Menschliche Stimmen führen sofort zu einem hohen „Anthropomorphing”-Effekt – wir projizieren menschliche Eigenschaften in die Maschine hinein. Und hier liegt das erste Paradox dieser Technologie: Je „klüger” die Assistenten werden, desto irritierter reagiert unsere Psyche.

Obendrein erzeugen Sprachassistenten ein hohes Maß an sozialer Interferenz. Sie stören, wenn mehrere Menschen im Raum sind die feinen Abstimmungen der sozialen Kommunikation. Im Auto und in Single-Haushalten funktionieren sie ganz gut. Aber wenn man nicht allein ist, führen sie zu Aufmerksamkeits-Problemen: Mit wem redest Du? Flirtest Du mit mir oder mit Siri? Computerpsychologen haben dafür den Namen Camilla-Syndrom erfunden.

Das zweite Hindernis für einen breiten Massenmarkt ist die Komplexität. Wenn man das Licht oder die Musik steuern will, muss das Gerät mit Spotify und dem Lichtbus-System verbunden sein. Dadurch eignet es sich auf Dauer nur zum Gebrauch in hochvernetzten Haushalten. Der Markt für „Smart Homes” kommt aber nur langsam in Gang. Aufwand und Wartung, die ständige Neuprogrammierung von „intelligenten Häusern” erfordert immer noch enormen Zeit- und Aufmerksamkeits-Aufwand.

Mechanische Lichtschalter liegen inzwischen übrigens wieder im Trend.

Das dritte Hindernis für einen Massenmarkt der Assistenten möchte ich die „Kommunikative Disruptions-Illusion” nennen. Wir glauben fälschlicherweise, dass alle neuen Kulturtechniken die alten komplett abschaffen. Doch das Fernsehen hat nicht das Kino abgeschafft, die Zeitung nicht das Flugblatt, Videotelefonie nicht das akustische Telefonieren, und das E-Book nicht das analoge Buch auf Papier. Der Buchumsatz hat in den letzten Jahren nur um wenige Prozent abgenommen, und wenn nicht alles täuscht, erlebt das Lesen demnächst eine Renaissance. Und so wird das Reden mit Computern nicht die anderen Eingabemedien ersetzen.

„Eine neue Kommunikationsform verdrängt eine alte nicht, sondern führt diese auf ihre eigentliche Stärke zurück”.

Wolfgang Riepl, ein Historiker, formulierte das bereits 1909. So hat das Internet zwar das Fernsehen disruptiert, aber auch zu epischen Erzählweisen (zurück)geführt. Das Netz hat die alten Zeitungen zerlegt. Aber nun erlebt Qualitätsjournalismus eine Renaissance. Ebenso wie der Füllfederhalter.

Sprachsteuerung erscheint im ersten Moment enorm convenient: man braucht kein Interface und keine Finger mehr, wie schön! Aber das Interface „Mund und Hirn” ist komplizierter als man denkt. Im Dialog mit diesen Maschinen muss man formulieren, was man will, oder zu wollen glaubt, man muss ständig argumentieren, neuformulieren, modulieren…

Wissen wir überhaupt, was wir fragen wollen? Wissen wir, was wir wollen?

Vielleicht wird am Ende alles ganz banal. Ich vermute, dass den meisten Käufern die intelligenten Assistenten schnell langweilig werden. Auch wenn Millionen verkauft werden und maschinelles „deep learning” angeblich bald jede Frage beantwortet, halten sie nicht, was sie versprechen. Oder sie gehen einem mit ihrer Halbmenschenart auf die Nerven. Irgendwann stehen sie nur noch auf der Kommode und verstauben. Oder werden nur noch für Insel-Lösungen benutzt, wie das Aufrufen der Musik-Bibliothek. Dann wandern sie, wie so viele unserer intelligenten Gadgets, in den Keller. In die Schublade mit dem Elektronik- und Digitalmüll. Haben sie mal in ihre eigene digitale Entsorgungskiste geschaut, was da alles schon drin liegt? iPods und iWatches, unzählige Bluetooth-Lautsprecher und WLAN-gesteuerte Zahnbürsten, Black Boxes und Top Boxes, jede Menge intelligenter Fitnessbänder (auch das ein Markt, der einmal einen Mega-Markt versprach). Und Kabel, Kabel, Kabel, obwohl wir doch längst in der drahtlosen Zeit leben (sollten).

Humanistischer Futurismus ist auch die Kunst, mit technischen Desillusionen zu leben. Und dabei trotzdem die Zukunft zu sehen.

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