16 – Zwei neue Trendwörter für 2018

Oktober 2017

Cool-Politik

Politik ist die Architektur des Sozialen. Sie muss die Komplexität der Gesellschaft in produktiver Weise organisieren. Dabei gilt es, das Konkurrenzspiel der Gruppen, Institutionen, Interessen und Machtansprüche so zu arrangieren, dass für möglichst viele ein „Win-Win-Spiel” herauskommt. Politik kann dabei nie alles alleine lösen. Sie ist auf gesellschaftliche Autonomie-Prozesse angewiesen, auf Eigeninitiative, Vernunft, Zivilgesellschaft, Lernprozesse, Emanzipation. Sie ist das Coaching gesellschaftlicher Kooperation. Wichtigster Treibstoff dieses Prozesses ist die Ressource des Vertrauens – vor allem des Vertrauens in die Zukunft.

Im Zuge des populistischen Furors entsteht allerdings derzeit eine INFANTILISIERUNG des Politischen. Alte, längst sinnlos gewordene Links-Rechts-Ideologien werden wiederbelebt. Politik soll nun ALLES lösen – jede Ungerechtigkeit, jede Notlage, jedes Unglück. Sie wird eine Funktion gesellschaftlicher Erregungen und Wutausbrüche. Unter dem Stichwort GERECHTIGKEIT werden unentwegt Ansprüche formuliert, deren Legitimität sich nicht mehr aus dem Gesamten, sondern aus Einzelinteressen speist – es geht nur um die Angst vor dem Wegnehmen, nie um die Möglichkeit zum Hinzufügen. Politik wird zunehmend als ANSPRUCHS-SYSTEM codiert, in dem Politiker lediglich die Funktion von Service-Personal erfüllen, das „den Willen des Volkes” exekutieren soll. Der Populismus mit seinem manipulativen Kommunikations-Stil verwandelt Politiker in Getriebene, die bizarre Heilserwartungen zu erfüllen haben – oder zum Opfer von Hassattacken werden. Der Philosoph Peter Sloterdik spricht von der „dünnwandigen Welt” des Gesellschaftlichen.

Jeder Trend gebiert einen Gegentrend. Das Gegenmodell zur populistischen Erregungspolitik heute schon sichtbar. Nennen wir es COOL-POLITIK. Politik als produktives Zukunfts-System kann nur wirken, wenn eine gewisse DISTANZ zu den gesellschaftlichen Emotionsströmen existiert. Das heisst nicht Emotionslosigkeit, aber mentale Diskretion. Helmut Schmidt regierte mit hanseatischer Kühle und ließ sich nie von (auch damals schon existierenden) Affektstürmen beeinflussen. Helmut Kohl wurde für sein „Aussitzen” kritisiert – er saß immerhin sehr erfolgreich die deutsche Einheit aus. Angela Merkels moderativer Stil wird ihr unentwegt vorgeworfen. Und ist doch gleichzeitig das Erfolgsrezept in übererregten Zeiten.

COOL-POLITIK zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht von der Angst, sondern von den Möglichkeiten verbesserter Kooperation aus agiert. Träger sind einstweilen charismatische Männer wie Trudeau, Macron oder Andras Fekete-Györ, Chef der ungarischen Momentum-Bewegung. In den nächsten Jahren werden aber auch jüngere Frauen auf die Bühne dieses neuen Politikstils treten. Systemische „Bewegungspolitik” löst auf Dauer die alte Links-Rechts-Polarisierung zugunsten einer dynamischen Mitte auf.

„Was die politische Sphäre angeht, so wird sie unter den Bedingungen der dünnwandigen Welt umso besser erfüllen, je mehr es ihr gelingt, sich gegen Überforderungen abzugrenzen, die von einer aufgereizten Wunschgesellschaft auf sie projiziert werden.”
Peter Sloterdijk

  • COOL-POLITIK ist VISIONS-MANAGEMENT
    Es geht um die Zukunft, aber diese Zukunft wird nicht als hehre „Utopie” oder gesellschaftliche Transzendenz dargestellt, sondern als Transformations-Prozess, an dem ALLE Verantwortung tragen.
  • COOL POLITIK ist GANZHEITLICH
    Sie überwindet das Polarisierungsschema von „Rechts und Links” zugunsten eines systemischen Verständnisses der gesellschaftlichen Prozesse. Kapital und Arbeit, Bürger und Staat, Freiheit und Sicherheit stehen in einem ständigen dynamischen Verhältnis zueinander; eines der beiden generell zu priorisieren wäre grundfalsch!
  • COOL-POLITIK ist PRAGMATISTISCH statt ideologisch
    Sie arbeitet durch Trial-and-Error-Methoden, durch Testen sozialer Modelle. Sie scheut sich nicht, Maßnahmen zurückzunehmen, die nicht funktionieren.
  • COOL POLITIK ist RESILIENZPOLITIK
    Sie nutzt Krisen, um Alternativen klarzustellen und Fortschritt voranzutreiben.
  • COOL POLITIK übt die PRAXIS DER GELASSENHEIT
    Sie hat unendliche Geduld und richtet sich am Machbaren aus, ohne fundamentale Grenzlinien zu setzen. Sie scheut keine Kompromisse, wenn die Ziele dabei sichtbar bleiben.
  • COOL POLITIK ist eine Politik der EBENEN-KLÄRUNG
    Sie weist Verantwortungen dort zu, wo sie in einem komplexen System hingehören – Lokal, Regional, National, Kontinental, Global. Individuum/ Institution/ Zivilgesellschaft/ Gesetze/ Staatseingriff. Die zentrale mentale Botschaft lautet: Es ist komplex, muss aber nicht kompliziert sein!

Possibilismus

Vom engl. „possible” = möglich.
Eine innere Zukunfts-Haltung jenseits von Optimismus und Pessimismus. Der Begriff wurde von Hans Rosling, dem globalen Daten-Guru erfunden. Auf die Frage eines Journalisten: „Woher nehmen Sie eigentlich ihren unerschütterlichen Optimismus???” antwortete er sinngemäss: „Ich bin weder Optimist noch Pessimist, beides sind verkürzte Haltungen, Ideologien. Ich bin POSSIBILIST – ich glaube an das Mögliche! “ Vorher hatte Hans auf der Bühne etwas “scheinbar Unmögliches” gemacht – ein Schwert geschluckt. Und behauptet: Die weltweite Armut ist besiegbar!

Possibilismus ist eine Lebenshaltung, die auf dem Möglichen basiert, das sich zwischen dem UNVERMEIDLICHEN (= zufälligen) und dem PLANBAREN (= gestaltbaren) entwickelt. Vom OPTIMISMUS unterscheidet er sich dadurch, dass er das Negative weder ausklammert noch ignoriert. Vom Pessimismus unterscheidet er sich durch einen Verzicht von Jammerei und Schlechtmacherei, wie er in jeder Meinungsdebatte heute üblich ist. In der Welthaltung des Possibilismus verzichten wir auf das SCHLECHT-MACHEN („Awfulizing”) der Welt, und die damit verbundene Verstärkung von Furcht und Angst, inklusive der Häme und Schadenfreude, die dem mürrischen Pessimismus eigen ist.

Possibilismus ist eine Haltung der SELBSTVERANTWORTUNG, aber auch einer pro-aktiven Bescheidenheit. Sie nimmt jene Spiel- und Handlungsräume wahr, über die wir als Menschen verfügen, ohne ALLES gleichzeitig lösen zu können. Positiver Wandel ist möglich – die Geschichte beweist das. In unserem eigenen Leben haben wir Segnungen erfahren, die wir würdigen und als Hoffnungsargument wirksam machen können.

Possibilismus ist eine BEZIEHUNGS-HALTUNG: Wer bewusst in Bindungen in Beziehungen lebt, weiss, dass man mit seinen eigenen Depressionen und Verbitterungen die Mitmenschen anstecken kann. Possibilismus ist eine reflektierte Haltung, die der Achtsamkeit nahesteht: Wandel wird von Menschen erzeugt, setzt aber auch unseren INNEREN Wandel voraus.

Possibilisten distanzieren sich vom Resonanzsystem der Medien, die uns jeden Tag in den Furor oder die Angst versetzen wollen, um unsere Aufmerksamkeits-Ressourcen auszubeuten. Possibilismus ist REFLEXIVER FUTURISMUS: Man sieht die Gegenwart von einer (gelungenen Zukunft) aus. Und fragt sich, wie man dorthinkommt…

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Bei Nachdruck-Anfragen wenden Sie sich bitte an Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com