Die Pflicht zur Zuversicht

In einer Welt des populistischen Pessimismus und der Terrorgefahr ist entschiedene Hoffnung ein notwendiger Widerstand. Plädoyer für eine rebellische Gelassenheit angesichts einer Epidemie der Angst.

Von Matthias Horx
(Ende 2016, nach der Trump-Wahl)

By Allison Meier [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Wenige Tage nach Trumps Wahlsieg fand in einem U-Bahnhof Manhattans eine wunderbare Szene statt. Der Künstler Matthew Chavez inszenierte die »Subway Therapy« – all diejenigen, die der Wahlsieg von Trump geschockt und verwirrt hatte, konnten sich in kleinen Post-Its ihre Gefühle ausdrücken. Die Erfahrung: Es gibt Wärme, Empathie, Zuversicht, wenn wir uns gegenseitig öffnen und offenbaren.

Eine uralte christliche Botschaft lautet: „Fürchtet Euch nicht!” In der panisch-hysterischen Stimmung unserer Tage ist diese Botschaft hochaktuell. Denn der aggressive Populismus basiert auf der grundlegenden Aussage, dass ALLES immer schlechter wird. Konstruiert wird ein Weltzusammenhang der Negativität, des Misstrauens, der Unmöglichkeit der Zukunft. Im Zentrum dieses Konstrukts steht die Angst als treibende Energie. Verselbstständigte Angst aber generiert immer einen Machtanspruch, niemals produktive Kooperation. Was ist die Alternative?

The possibilities that lie in the future are infinite. When i say “It is our duty to remain optimists”, this includes not only the openness of the future but also that which all of us contribute to it by everything we do: We are responsible for what the future holds in store.
Karl Popper, The Myth of the Framework, 1994

May your choices reflect your hopes, not your fears.
Nelson Mandela

Der Fotograph Sebastião Salgado schaut uns mit einem Blick an, der uns in die Tiefe der menschlichen Seele blicken lässt. Sebastião Salgado hat wahrscheinlich von allen lebenden Menschen am tiefsten in die Abgründe der menschlichen Existenz geschaut.

Sebastião Salgado by Fernando Frazão / Agência Brasil / / Wikimedia Commons / CCA 3.0 Brazil License

In „Salz der Erde”, einem dokumentarischen Film von Wim Wenders, wird das ganze Leben des berühmten Welt-Fotographen nachgezeichnet. Sebastião Salgado war Jahrzehnte lang in allen schrecklichen Konfliktherden der Erde unterwegs. Er lebte monatelang mit den Hungernden und Sterbenden in der Sahel-Zone. Er war Zeuge im Völkermord von Ruanda. Er fotografierte die berühmten Goldminen von Serra Pedal, wo Zigtausende ihr Leben für ein Quäntchen Gold hingaben. Er besuchte die Killing Fields von Mozambique und Kambodscha. Sebastião Salgado hat derart unsägliches Leid erlebt und begleitet, dass keine Seele ausreichen würde, dies zu verkraften.

Irgendwann um die Jahrtausendwende herum, war Salgado am Ende. An den Fronten des endlosen Kongolesischen Bürgerkriegs kam er fast ums Leben. Er wurde krank und konnte nicht mehr essen, driftete in eine tiefe Burnout-Krise, und von da aus geradewegs in ein eine manifeste Depression. Er begab sich in die Hände von Psychologen und Therapeuten. Aber sein Zustand besserte sich kaum.

Sebastião Salgado hätte, nach allem, was er erlebt hatte, das volle Recht gehabt, an der Welt zu verzweifeln. Aber er zog sich zurück an den Ort, wo er als Kind aufgewachsen war. Auf die »Fazenda«, eine 300-Hektar-Farm seines Vaters, der dort noch im hohen Alter lebte. Doch auch dort hatte die Apokalypse gesiegt. Abholzung, Erosion und Dürre hatten das einst blühende Waldland in eine staubige Karst-Einöde verwandelt, in der das Vieh starb und das Wasser versiegte.

Salgados Vater war ein unverbesserlicher Optimist, der für die Zukunft seiner Kinder bereit war, die Gegenwart zu opfern. „100.000 habe ich für die Bäume bekommen”, sagt der Vater im Interview. „Schließlich mussten Sebastião und seine sieben Schwestern auf die Universität gehen!”

Nach zwei Jahren Rückzug in diese traurige Einöde begann Salgado, die Hügel und Täler seiner Kindheits-Heimat wieder aufzuforsten. Er legte Baumschulen an, pflanzte 4 Millionen Bäume, bohrte Brunnen, zog Bewässerungsgräben, baute Staumauern, ließ fruchtbare Erde heranschaffen. Heute hat der Wald die Farm zurückerobert. Hunderte von Tierarten sind zurückgekehrt. Quellen sprudeln, Bäche fließen; sogar die ersten Wasserfälle haben sich wieder gebildet – ein gesunder Dschungel ist entstanden, ein lebendiges Ökotop. Jahre nach dem Tod des Vaters ist Salgados Facenda heute ein Naturparadies – ein Wunder!

Ist Sebastião Salgado ein unbelehrbarer Optimist? Oder ein verzweifelter Pessimist, der sich therapieren musste? Vielleicht hat Salgado nur verstanden, dass man sich irgendwann entscheiden muss, auf welcher Seite man steht. Gerade wenn man die Tiefe des Leidens sieht, das mit dem Leben einhergeht. Auf der Seite des Problems. Oder der Lösung. Auf der Seite des Zweifels. Oder des Mutes. Auf der Seite der Angst. Oder der Zuversicht.

Das Angebot der Angst

Der Hasspopulismus fordert uns, ähnlich wie der Terrorismus auf, Angst zu haben – und in der Perspektive die Zukunft zu definieren. Angst vor Status-Verlust. Angst vor Fremden. Angst davor, von »Eliten« betrogen zu werden. Angst vor unbekannten Mächten, die raffinierte Verschwörungen inszenieren. Der semantische Kern dieser Angst besteht in der Grundannahme, dass es nie für alle reicht. Wir müssen zwischen »denen« uns »uns«” unterscheiden, weil die Welt knapp ist.

Wenn wir Angst haben, schüttet unser Körper durch Signale der Amygdala, der »existentiellen Drüse« in unserem Stammhirn, Adrenaline, aber auch die Vorstufen von Dopaminen und Endorphinen – Belohnungssubstanzen – aus. Angst wirkt wie eine neuromolekulare Karotte vor der Nase: Streng Dich an – wenn Du es schaffst, wirst Du belohnt! Als Machtphantasie wird Angst zu reiner Euphorie: Im gemeinsamen Grölen, im rauschhaften Wir-Gefühl, werden jene archaischen Kräfte freigesetzt, mit denen sich unsere Ur-Ur-Vorfahren gegen Feinde zur Wehr setzten.

Populismus greift diese uralten Mechanismen auf. Angst wirkt ansteckend und dabei gleichzeitig sozial integrierend: Ängstliche Menschen verständigen sich leicht und schnell. Im Angstzustand ist unsere Wahrnehmung für kleine Gesten, für Details der Gesichtsausdrücke, massiv erhöht. Denn für unsere Ur-Vorfahren in den Savannen und Dschungeln der Welt war es wichtig, sich in Gefahrensituationen schnell koordinieren zu können. Angst erzeugt eine Art intimer Vertrautheit. Deshalb entsteht im Krieg tiefe Solidarität. Deshalb fühlen sich angsteuphorisierte Menschen so nah beieinander.

„MÜSSEN wir nicht Angst haben?” – diese suggestive Frage, die heute in jeder Talkshow unentwegt von den Moderatoren gestellt wird, um die Erregungs-Spirale in Gang zu halten, weist auf den Legitimationscharaker der Angst hin: Wer Angst hat, weist sich als legitimes Opfer »der Gesellschaft« aus – seine Gefühle werden für »wahr« genommen. Wer Angst hat, ist neuerdings automatisch im Recht, weil sein subjektives Gefühl nicht irren kann.

Alles dies macht Angst zu jener mentalen Supermacht, die derzeit unsere Gesellschaften regelrecht umzukrempeln scheint. Wer Angst zum Zentrum des Politischen macht, definiert den Code der Gesellschaft in seinem Sinne. Er hat die Macht über die Gefühle, er kann legitimierte Machtstrategien verfolgen, die seinem eigenen Vorteil dienen, aber sich als großzügig und grandios ausgeben. Ängstliche wählen of diejenigen zum Führer, denen sie garantiert egal sind. Sie identifizieren sich mit der Kälte der Macht, weil sie so der unerträglichen Wärme ihrer eigenen Angst entkommen können.

Die Matrix des Vertrauens

Der Kern aller Gesellschaft ist Vertrauen, und je komplexer eine Gesellschaft wird, desto wichtiger ist diese geheimnisvolle Ressource. Der System-Soziologe Niklas Luhmann, formulierte: „Vertrauen ist ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität”. Wir vertrauen darauf, dass Gerichte versuchen, Recht zu sprechen. Wir vertrauen darauf, dass im Verkehr alle an grundlegende Regeln halten – und möglichst wenige Menschen verletzt oder getötet werden. Dass Politiker sich anstrengen, gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Wir vertrauen, dass Nahrungsmittel in Supermärkten nicht giftig sind. Dass Ärzte ihr Bestes geben. Dass Journalisten sich um die Wahrheit bemühen.

Natürlich WISSEN wir, dass all dies nicht immer und überall vorausgesetzt werden kann. Zum Vertrauen gehört der Vertrauensbruch, ohne Verbrecher wäre die Legalität nicht möglich, und ohne das mögliche Versagen der Politik gäbe es keine Demokratie. Vertrauen funktioniert nur durch die Möglichkeit seines Versagens. Ja, es gibt Korruption – aber es gibt auch den Versuch, sie aufzudecken. Es gibt faule, egoistische Politiker – aber die werden nicht wiedergewählt. Es gibt bisweilen Gift in Lebensmitteln, aber Tests und Skandale sind in der Lage, das zu beheben. Eine komplexe Gesellschaft mit ihrer Vielzahl von »Checks und Balances«, von Streit und Kompromiss, kann die Situation verbessern. Auch, wenn es dabei Rückschläge geben mag und es manchmal nur zäh vorangeht. Es besteht die praktische Hoffnung, dass die Dinge besser werden.

Das ist die Zukunfts-Zuversicht, die die mentale Basis einer komplexen Gesellschaft ausmacht; die Grundlage des Fortschritts. Vertrauen entsteht allein in der Praxis – als Erfahrung des Gebens und Nehmens, der lebendigen Kooperation. gerade in der Unterschiedlichkeit. Paare müssen ihre Liebe durch Gesten und Taten ständig wieder auffrischen, wenn die Beziehung nicht scheitern soll. Die Wirtschaft braucht Innovationen, die den Kunden tatsächlich etwas bringen.

Auch die Politik braucht Innovationen (allerdings werden diese in einer komplexen Kultur niemals alle Gruppen gleichzeitig befriedigen). Vertrauen ist das Ergebnis eines kreativen Beziehungs-Prozesses, der auf der Akzeptanz der DIFFERENZ beruht: gerade, WEIL alle verschieden, ungleich sind, können und müssen sie sich verständigen. Zivilisation ist die Moderation von UNGLEICHHEIT: Der Arbeitnehmer traut dem Unternehmer. Der Arme und Arbeitslose dem Staat, dass er nicht ohne Hilfen dasteht. Die kulturelle Mehrheit vertraut der Minderheit, dass sie neue interessante Dinge über sich erfährt – etwa in kulturellen Differenzierungen.

Hass-Populismus – oder Terrorismus – greift nun die Substanz des Vertrauens direkt an – mit Bösartigkeit. Er behauptet, dass ALLE gesellschaftlichen Verhältnisse faul und verrottet sind, auf Lügen basieren, hinfällig und durch EINE monokausale Struktur zu ersetzen sind (»Das Volk«, »Die Macht«). Auf diese Weise soll »eindeutig« werden, was differenziert war. Populistische Angst-Politik erklärt Vertrauens-Beweise in einem Federstrich auf für nichtig. Sie definiert Politiker als »korrupte Bande« und schneidet aus der gesellschaftlichen Vielfalt einzelne Gruppen aus, denen sie einen Opfer-Mythos oder ein Schuld-Stigma verleiht. So wirkt sie wie die Dementoren aus den Harry-Potter-Sagas: Sie saugt die Energie des Vertrauens aus der Gesellschaft und erzeugt daraus dunkle Materie der Abneigung und des Ressentiments.

Das Prinzip Bösartigkeit

Wenn vom rechten Populismus die Rede ist, geht es immer um Hass. Aber Hass ist ein vorübergehendes Gefühl, ein Affekt. Hass und Wut kann man nur als Anfall haben, nach einer gewissen Zeit – meistens schon Sekunden – verfliegt die Affektion. Die vielen Trolls im Netz lassen meistens einfach »Dampf ab« – um sich dann wahrscheinlich ganz entspannt zum Abendessen niederzulassen.

Populismus ist nicht gefährlich, weil er Wut artikuliert, sondern weil er als destruktive kommunikative Strategie die Grundlage aller Gesellschaft zerstören will: das Gespräch. Seine Bösartigkeit liegt nicht in seinen Gefühlen, sondern in seiner Strategie.

Das Gespräch ist die Basis jeder sozialen Kooperation. Seit Äonen von Jahren sitzen Menschen an Lagerfeuern (oder Tischen, runden und eckigen) und sprechen. Ein Gespräch hat immer einen fragenden Charakter. Wenn wir mit anderen Menschen kommunizieren, wollen wir etwas wissen, was wir noch nicht kennen. Menschen sind in der Lage, sich in die Gefühle des anderen hineinzuversetzen. Dieser »Theory-of-Mind«-Effekt, ist das kostbarste Erbe der menschlichen Evolution. Kooperative Systeme, die uns schützen, ernähren, uns Liebe und Freude geben können, basieren auf dieser Grundfähigkeit zur kommunizierenden Empathie.

Sprechen ist immer Lernen: Wir erweitern unseren Horizont um den des Anderen. Dadurch entstehen kognitive Gewinne, die vergesellschaftet werden können – als gemeinsame Erkenntnisse und Vertrauenskapital, das zur Kooperation wird. Das gilt auch, wenn das Gespräch kontrovers ist, und zu keinem direkten Ergebnis führt – allein die Tatsache, dass wir es VERSUCHEN, dass wir uns BEMÜHEN, erzeugt ein spürbares soziales Surplus. So entsteht, was die Spieltheoretiker ein »Non-Zero-Sum«-Game nennen: Ein Nichtnullsummenspiel, in dem es keine Verlierer gibt, auch wenn nicht alle den GLEICHEN Gewinn bekommen.

Aggressiv-Populistische, also bösartige Kommunikation zielt nun genau auf den Kern des menschlichen Miteinander-Spiels. Man spürt diese Bösartigkeit sofort, wenn ein Populist in einer Diskussionsrunde sitzt. Man fühlt, dass er davon ausgeht, dass der Dialog keine BEDEUTUNG hat. Das Ziel ist vielmehr das Zerstören des anderen Arguments. Das Herabsetzen. Die Dominanz. Genau genommen handelt es sich um Kommunikations­verweigerung: Es geht darum, die Legitimität des Sprechens des Anderen zu bestreiten. Dafür werden die bekannten, aber schwer zu stoppenden Mittel eingesetzt: das Suggerieren eines süffigen »Wir« gegen »Ihr«. Das Kausalisieren von Phänomenen, die nicht wirklich zusammengehören (Verschwörungs-Logik). Das groteske Überzeichnen von Problemen. Das Reklamieren der Mehrheitsmeinung („Wir, das Volk, denkt…”). Populistische Bösartigkeit ist eine als Kommunikation getarnte Macht-Strategie.

Als resonante soziale Wesen können wir es nicht fassen, dass jemand mit uns kommuniziert, der eigentlich nicht kommuniziert. Wir wollen das nicht glauben. Wir würden so gerne überzeugen. Deshalb bleiben wir gebannt sitzen. Aber je mehr wir das versuchen, desto mehr geraten wir in die Falle der Negativität, die der Populist aufgestellt hat.

Umso skandalöser ist die Tatsache, dass die klassischen Medien, allen voran das Fernsehen, den populistischen Bösartigkeits-Code längst als tägliches Mittel nutzen – und ihn dadurch erst mächtig machen. Auf den Talkshows von ARD und ZDF werden immer mehr diejenigen eingeladen, welche durch Abwertungs-Strategien für Erregung, sprich Aufmerksamkeit, sprich Quote sorgen. Der eigentliche Auftrag solcher Diskussionen, das Finden und Er-Finden neuer gesellschaftlicher Zukunft, wird damit sabotiert. Die Talkshow-Redaktionen machen sich in ihrer Quotenangst zum Büttel der Bösartigkeit, die das feine Netz des gesellschaftlichen Diskurses von innen zerstören möchte.

Das Konfliktangebot ablehnen

Wie sollen, wie können wir auf die dunkle Macht reagieren? Diese Frage stellte sich schon Harry Potter, und in der Tat ist die Antwort auf den Populismus eine echte Dumbledore-Frage: Wie kann man das Monster besiegen, wenn man sich ihm nicht frontal entgegenstellen kann, weil man es dadurch nur unaufhörlich stärkt?

Eine Möglichkeit wäre es: Das Spiel nicht mitzuspielen.

Philipp Karch, der Konfliktforscher und Führungs-Coach, lehrt in seinen Kursen in der »School of Life«, der Lebensschule des Philosophen Alain de Botton, dass jeder Konflikt letztlich auf der Annahme eines ANGEBOTS beruht: Paare streiten sich, wenn sie sich entschließen, dass es sich lohnt, die Dinge komplett anders zu sehen – anstatt mit Güte oder Großzügigkeit darüber hinwegzugehen. Piloten streiken, wenn sie das Gefühl haben, existentiell nicht gewürdigt zu werden. Wir streiten uns erst, wenn wir beschließen den Konflikt ANZUNEHMEN.

Streit ist eine hohe Form der Zuwendung, Wir sollten sie denen geben, von denen wir glauben, sie hätten etwas beizutragen.

Ich selbst bin wiederholt in Talkshows eingeladen worden, in denen es um »Zukunftsprobleme« gehen sollte (aber eigentlich nur um das »Problem«, ob wir nicht »Angst haben müssen!«). Ich gehe dort nicht mehr hin, seit ich weiß, wie populistische Kommunikationsverweigerung dieses Sprechen über die Zukunft unmöglich macht. Ob dabei Sarah Wagenknecht oder Frauke Petry die Welt auf rudimentäre Einfachheit zu reduzieren versuchen, ist völlig nebensächlich. Talkshow-Moderatoren sind heute eher die Trainer, die Coaches, die Steigbügelhalter des populistischen Spiels.

Nichts hassen Populisten mehr, als dass sie einem egal sind. Wäre es nicht eine gute Idee, die Populisten UNTER SICH streiten zu lassen? Sofort kommt die Angst auf: Werden sie sich dann nicht unendlich vermehren? Eben nicht! Es ist kein Zufall, dass rechte Parteien zur Selbstzerstörung neigen. Nichtkommunikation führt, wenn man sie im eigenen Saft schmoren lässt, zu einem Prozess der Dekonstruktion. Bösartigkeit braucht etwas, das noch heil ist, und das es zerstören kann.

Die zweite Möglichkeit: In einer auf Angst codierten Umwelt wählen wir die Verweigerung der Angst als rebellischen Akt. Die Politologin Esra Küçük sprach in einer Rede auf der Ruhrtriennale vom MUT, KEINE ANGST ZU HABEN.

Das schöne deutsche Wort Zuversicht hat eine steile Karriere vor sich. Zuversicht ist ein aktivere, vitalere Haltung als die Hoffnung, die ja (vor allem) die Intention hat, uns zu trösten. Hoffnung, sagte Francis Bacon, ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendessen. Ohne Zuversicht, sagte der System-Soziologe Niklas Luhmann, kommen wir noch nicht mal morgens aus dem Bett. Sie ist damit weder optimistisch noch pessimistisch, sondern POSSIBILISTISCH. Wer Zuversicht hat, ist nicht auf ein fixiertes Ergebnis aus, er traut sich nur zu, mit den Möglichkeiten umzugehen.

Zuversicht beinhaltet vor allem jene kostbare Eigenschaft, die in der populistischen Ideologie komplett negiert wird: Selbst-Wirksamkeit. Das Menschen ihr Leben, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen können – diese Vorstellung ist für den Hass-Populisten wie der Knoblauch für den Vampir. Denn er BRAUCHT die Unselbstständigkeit der Menschen für seine Machtoperationen.

Zuversicht sieht die Welt – und ihre Gestaltbarkeit – von der Zukunft aus. Sie fixiert sich nicht auf das Problem, das durch Anstarren immer größer wird, sondern interessiert sich für Lösungen. Sie fragt nicht nach dem, was »abzuschaffen« wäre, sondern nach den genuinen Kräften, die wir stärken können.

Immanuel Kant sah sich am Beginn der Aufklärung als Apologet dieser praktischen Hoffnung. Er setzte in seinen vier paradigmatischen Fragen unter anderem auf die Vorstellung, was wir berechtigt HOFFEN dürfen. Verfolgen wir einmal diese Fragestellung aus heutiger, aktueller Sicht:

Sechs gute Gründe, warum wir zuversichtlich sein können:

  1. Die Komplexität moderner Gesellschaften ist robuster als wir glauben.
    Im öffentlichen Sprechen wird gesellschaftliche Komplexität meistens mit »Kompliziertheit« verwechselt. Die Welt erscheint uns in ihrer Komplexität als fragil, alles muss »irgendwie einfacher« werden, und der Populismus scheint dieses Anliegen legitim zu vertreten. Aber es ist die Komplexität selbst, die den Schlüssel zu Zukunft bietet, weil nur komplexe Systeme kreativ, adaptiv, wandelbar sind. Komplexität schafft Schönheit und Intelligenz. Komplexität erzeugt Resilienz und Emergenz – die Fähigkeit, in der Reaktion auf Krisen neue Ordnungen zu bilden. Moderne Gesellschaften sind in einer unglaublichen Weise komplex. Ihre Vielfalt und innere Vernetzung ist so atemberaubend, dass sie sich weder in EINEM Algorithmus beschreiben lassen, noch in EINEM Kommandoregime verändern lassen.

    Warum sind die radikalen Rechten so wütend? Weil sie am Ende immer verlieren müssen! Anders als in den tatsächlich polarisierten Industriegesellschaften des frühen 20. Jahrhunderts sind es heute die Verschieden­artigkeiten, die den gesellschaftlichen Grund-Code bilden. Selbst der hartgesottenste Rechte wird sich sein Recht auf Thai-Küche nicht nehmen lassen. Produktiv ist, was divers ist. Wir leben nicht mehr in einer beliebig formbaren Klassengesellschaft mit Millionen von Arbeitslosen und Traumatisierten, wie nach dem ersten Weltkrieg. Faschistische Formungsprozesse sind praktisch unmöglich geworden – es sei denn, man strebt ein politisches Hunger-System a la Nordkorea an. Schon deshalb, weil die Menschen zu bequem sind zum dauerhaften Marschieren.

  2. Wir dürfen hoffen, dass Krisen paradox-positive Wirkungen zeitigen.
    Im persönlichen Leben kennen wir das alle: Nur Krisen eröffnen plötzlich Fortschritte, die sonst nicht stattgefunden hätten. Selten wächst die Liebe über Stagnationen heraus, wenn sie nicht durch Versuchungen herausgefordert wird. Selten bringen Unternehmen echte Innovationen auf den Weg, wenn es der Bilanz (zu) gutgeht. Demokratie ist das komplexe Ergebnis von »failed states« im Laufe der Geschichte. Störungen sind immer das, was die Systeme verbessert. Katastrophen in der Evolution brachten die Artenvielfalt von heute hervor. Gute Technik ist das Produkt von Unfällen. Und Krisenzeiten gehen oft mit großer Kreativität einher. Darin spiegeln sich evolutionäre Gesetze: Wenn Umwelt-Stress entsteht, explodiert die Mutationsfähigkeit der Arten. Es gibt in allen Systemen, auch den gesellschaftlichen, eine unabweisbare Tendenz zur Selbstheilung durch Turbulenz. Und vielleicht ist die populistische Krise nur eine WEITERE dieser Turbulenzen…
  3. Wir dürfen Zuversicht haben, dass selbst große Probleme überraschend gelöst werden.
    Wer im Kalten Krieg aufgewachsen ist, kann sich noch gut an das Gefühl apokalyptischer Ausweglosigkeit angesichts bedrohlicher Atomwaffen-Arsenale erinnern. Dann kam AIDS, die „Megaseuche, die die Welt in den Abgrund stoßen muss”, wie es in den Zeitungskommentaren der 80er Jahre hieß. Aids ist heute zwar nicht »gelöst«, aber die Auseinandersetzung mit der Seuche hat eine paradoxe Wirkung gehabt. Statt wie befürchtet Homosexuelle an den Rand der Gesellschaft zu drängen, war Aids Auslöser einer Empathie-Welle, die zur kulturellen Integration der Homosexuellen führte.

    Das Beispiel »Global Warming« könnte nach demselben Muster verlaufen. Gerade WEIL durch ideologische Kontroversen so viel Aufmerksamkeit auf das Problem der Erderwärmung gelenkt wird, gerade WEIL zynische Machthaber und mächtige Lobbys das Problem für »Nichtig«erklären, kommt es hier zu einer massiven Gegen-Bewegung. Das Gute formt und schärft sich oft im Widerstand gegen das Ignorante. Aus chaotischen Bewegungen entstehen oft spontane neue Ordnungen. So lässt sich heute unschwer ein turbulenter Übergang von der Mono-Struktur der amerikanischen Globalisierung zur multipolaren Weltordnung erkennen. Dass diese Zukunft automatisch eine schlechtere, fragilere sein muss, ist allen Unkenrufen zum Trotz nicht ausgemacht. Trumps chaotischer Politikstil könnte viele erstarrte politische Formen auch produktiv durcheinander­wirbeln – wovon vor allem seine Nachfolger profitieren werden.

  4. Wir dürfen hoffen, dass die positive Vernetzung der Welt irreversibel ist.
    Parag Khanna, ein Politikwissenschaftler und »Konnektograph«, zeigte unlängst in einem TED-Vortrag eine atemberaubende Kartographie der REALEN Vernetzung der Welt. Das feine Geflecht der Straßen und Wasserwege, die die Welt verbinden, wird überlagert von den Infrastrukturen der Energie, darüber hat das Geflecht der Kommunikationen die Welt erobert. Diese neo-globale Strukturen verlaufen längst über alle nationalstaatlichen Grenzen hinweg und bilden ein eigenes »transglobales« Muster aus.

    Millionen von Kontakten, Konnektomen zwischen Menschen verschiedener Kulturen haben Wirkungen hinterlassen. Migrationsströme sind Teil der Menschheitsgeschichte. Wir mögen heute die supranationalen Organisationen wie UNO oder UNHCF als schwach empfinden. Trotzdem: Transnationale Ideen-Netzwerke wie TED können in den Köpfen mehr bewegen als alle Versammlungen von nationalistischen Betonköpfen zusammen. Wenn wir das GEISTIGE einbeziehen, ist der planetare Echo-Raum längst kosmopolitisch geworden. Und hier zeigt das Internet seine andere Seite: Es ist eben nicht nur ein Gefäß für Hass, sondern auch ein Medium der Verbindung. Der Nationalismus, der diese Grenzen wieder in Mauern einengen will, kann zwar in einzelnen Regionen der Erde Erfolge erringen, aber er wird sich nicht, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als dynamisches Weltprinzip etablieren können.

  5. Lokale Intelligenz zeigt, wie Zukunft geht.
    Im poetischen Szenenstück „The Age of Anxiety” von W. H. Auden sitzen vier Personen in einer Bar der Spätkriegszeit (1944) in New York. Vier Verlorene, mit dem Schrecken der Weltgeschichte im Gepäck. Alles beginnt düster, hoffnungslos das Grauen der Kriege scheint die Zukunft zu bestimmen und die Menschen zu trennen. Wie sollen diese Kräfte des Bösen jemals überwunden werden? Doch dann, nach ein paar Tagen der quälenden Selbstbefragung, beginnen die Protagonisten zu begreifen, dass die Angst besiegbar ist. Indem man die inneren Bindungskräfte stärkt, die konkrete Sympathie und Liebe untereinander, im Hier und Jetzt.

    Auden entwickelt das Prinzip der Lokalen Intelligenz – oder des lokalen Verstehens. Marshall McMc Luhans „Lokal handeln, global denken” hört sich ähnlich an. Wenn wir die Welt im konkreten Hier und Jetzt aus betrachten, erscheint sie plötzlich aus der Perspektive der Bewältigung. Alles gibt Sinn, wenn wir es vom Konkreten zum Größeren betrachten. Es ist der Alltag, das Kleine, das der Welt den Halt der Zukunft verleiht.

  6. Es gibt unglaublich viel Güte und Gelingen.
    Und schließlich ist da einfach der staunende Blick auf die Wirklichkeit: Wie vielfältig, lebendig, hoffnungsvoll können große Städte sein – gerade wenn sie rau erscheinen und Ungleichheit erzeugen! Wie fantastisch gut funktionieren viele Firmen! Wie viel Kooperation es gibt! Wer mit wachen Augen in die Welt schaut, entdeckt eine andere Wahrheit jenseits des »Postfaktischen«: Wie viel Schreckliches passiert NICHT! Wie viel mehr Terroranschläge könnte es geben wie viele Scheidungen finden NICHT statt, wie viele Unfälle sind verhindert worden! Dass 40.000 Passagierflugzeuge pro Tag starten und landen, ist keine Meldung wert, aber dennoch ein Wunder.

    Die Welt wird nicht immer schlechter, sondern langsam besser. Die Armut auf der Welt hat sich in den letzten Jahren halbiert. Die Opfer von Naturkatastrophen sind viel seltener geworden, ebenso Hunger­katastrophen und – man glaubt es kaum – sogar die Anzahl der Kriegsopfer geht weltweit zurück. 92 Prozent aller Kinder auf der Welt gehen heute in die Schule. Es gibt, trotz aller Krisen und Schrecklichkeiten, einen »Nettofortschrittsgewinn«. Wer das nicht glaubt , der setze sich mit der Arbeit der Globalstatistiker Hans Rosling oder Max Rosen auseinander – siehe www.gapminder.org und https://ourworldindata.org.

    Wer im Sinne der Zukunft denkt, leugnet nicht das Negative, sondern verabschiedet sich von der katastrophischen Erwartung des Heils, die in jedem Schatten den Beweis für den Sieg der Dunkelheit sieht. Die »Next Society« ist längst im Gange. Wir müssen nur auf neue Weise schauen lernen.

  7. Der andere Blick

    By NASA / Bill Anders, via Wikimedia Commons

    Als der Astronaut William Anders an Bord der Apollo 8 am Heiligen Abend des Jahres 1968 seine Kamera auf die Krater des Mondes richtete, war er ein bisschen gelangweilt. Apollo 8 war das erste Raumschiff, das die Anziehungskraft der Erde verlassen hatte und ein eine Mondumlaufbahn eingetreten war. Die Astronauten sollten Krater und Staubwüsten des Mondes fotografieren, um eine Landestelle für die Mondlandefähre zu finden. Nach zwei Tagen hatte sich eine gewisse Routine entwickelt. Endlos zogen unter der Kapsel die toten Landschaften des Mondes vorbei.

    Aus dem Augenwinkel sah Anders plötzlich einen weißen Schein am Mondhorizont. Er drehte die Kamera. Und machte die berühmte Earthrise-Aufnahme mit der Seriennummer AS8-14-2383HR eher zufällig. Und plötzlich war es da – das erste Bild der Erde VON AUSSEN – das Bild, dass alle Perspektiven verändern sollte.

    Im rauschenden Funk-Sound, in dem die Helm-Mikrophone an die Bodenstation Houston übertragen wurden, war die Stimme des Kommandanten Frank Borman zu hören:
    „Oh, mein Gott! Seht euch dieses Bild da an! Hier geht die Erde auf!”

    Seitdem wissen wir, dass wir EINE Spezies sind – Erdbewohner. Wir wissen, dass alle Unterschiede – soziale, kulturelle, mentale – im Grunde KONSTRUKTIONEN sind. Dass alles mit Allem zusammenhängt. Dass wir unter einer bestimmten Perspektive untrennbar verbunden sind.

    Natürlich überfordert uns diese Erkenntnis ständig. Denn sie widerspricht – zunächst – unserem archaischen, tribalen Erbe. Sie macht unklar, wer uns gehört, oder genauer: wer NICHT zu uns gehört. Als Antwort produzieren wir neue Spaltungen: Linke gegen Rechte, Alt gegen Jung, Arbeit gegen Kapital, Unten gegen Oben. Das klärt die Welt, und deshalb sind die polaren Vereinfachungen so betörend, so universell verfügbar, so EINFACH. Aber wir alle haben eine Entscheidung zu treffen. In unserem persönlichen Leben, in der Liebe, in der Arbeit, im Alltag. Handeln wir als Angstwesen oder als Zukunftswesen?

    Pflicht zur Zuversicht bedeutet, dass wir diese Verantwortung erkennen. Und die Welt mit neuen Augen sehen lernen. Steve Grand, ein Künstliche-Intelligenz-Forscher, formulierte:

    „Wir haben vieles ziemlich falsch gemacht, aber wir fangen an, in radikal neuen Weisen auf die Welt zu schauen – dynamisch, nichtlinear, selbstorganisierend. Eine Menge hervorragender Ideen handeln davon, das Äußere nach innen zu kehren und umgekehrt – genauso wie unsere alten Religionen es in der Zeit der Aufklärung taten.”

    Seien wir also dem Hass-Populismus dankbar. Er gibt uns eine Chance, uns als perspektivische Menschen neu zu verstehen. Nelson Mandela sagte: „Mögen Deine Entscheidungen Deine Hoffnungen reflektieren, nicht Deine Ängste.” Keine Kraft der Welt, und sei sie noch so bösartig, hämisch, denunzierend, kann uns diese Verantwortung abnehmen. Der äußere Feind des Populismus ist in Wahrheit unser innerer Feind, unsere innere Dunkelheit. Gehen wir mit Sebastião Salgado in unseren neu gepflanzten Wald, und spüren seine Freude, wenn er die Bäche rauschen hört, die er selbst geschaffen hat. Umarmen wir die Fülle der Welt.

    Ich freue mich über Nachdrucke oder Links zu meinen Texten - bitte kontaktieren Sie Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com.