Megatrend Achtsamkeit

Wie wir einen fast unsichtbaren, aber spannenden Wertewandel erleben

Woher stammen Trends?

Wie entstehen und vergehen Trends? Was IST eigentlich ein Trend? Für diese Fragen gibt es nur babylonische Antworten. Die einen nutzen Trends als reine Marketing-Behauptungen: »Im Trend« liegt schlichtweg, was ich gern verkaufen möchte. Für andere sind Trends Posen der Jugendkultur, die ihren Ausdruck in Klamotten und Musik finden. Im Börsenwesen funktionieren Trendbehauptungen als Kauf-Motivationsparolen – wer möchte nicht bei einem Boom dabei sein? Sie eignen sich sogar zur Orchestrierung für populistische Bewegungen, wie etwa der unaufhaltsame »Trend zur Islamisierung« oder der »neoliberalistische Trend zur Spaltung in Arm und Reich«. Wenn von Trends die Rede ist, bricht eine seltsam opportunistische Hektik aus, in deren Rückenwind man so ziemlich alles behaupten kann.

Doch die wirklich spannenden Wandlungs-Prozesse, die wahren Trends, finden sich nicht im Lärm der phänomenologischen Behauptungen. Sie kündigen sich leise in den Tiefenschichten der gesellschaftlichen Kultur an. Solche emergenten Phänomene sind auf seltsame Weise scheu. Sie äußern sich zunächst in individuellem Verhalten, das keine Zusammenhänge aufzuweisen scheint. In Diskursen, die dem medialen Groß-Radar verborgen bleiben. Oder im Aufkommen von fremd klingenden Wörtern. Das wirklich Neue kommt immer als »Kognitive Dissonanz« in die Welt, als Störung jener angenommenen Linearität, mit der wir uns die Welt als eine gradlinige Abfolge von »Trends« konstruieren.

Eine solch irritierendes Phänomen ist auch die ACHTSAMKEIT.

2. Ein merk-würdiger Begriff

Dieser seltsam schüchterne, fast geheimnisvolle Begriff hat seit einigen Jahren eine beispiellose Karriere hinter sich. Vor allem im angelsächsischen Raum: Wer MINDFULNESS in Google eingibt, erhält rund 30 Millionen Treffer. Das allein muss noch kein Anzeichen von Relevanz sein. Aber der Bogen des Begriffs erstreckt sich von der Literatur über die Kunst bis in den weiten Bereich der Lebenshilfe-, Psychologie- und Gesundheits-Themen.

Es gibt bereits »Künstler der neuen Achtsamkeit« – wie die Performance-Künstlerin Marina Abramovic.

MINDFULNESS prangte auf dem Cover des Weltmagazins TIME. Neue Zeitschriftenprojekte widmen sich dem Thema (Happinezz, Flow, Slow, etc.). Es gibt große Mindful-Apps (z. B. mindspace), „15 Minuten Innehalten am Tag verändern Ihr Bewusstsein”, Mindful-Buchreihen, Mindful-Studios, und den „Praxiskurs Achtsamkeit für Manager” zum Preis von 4.500 Euro.

Ein wichtiges Anzeichen ist das Vordringen in die Business-Kultur: In vielen großen Unternehmen verdrängen derzeit Achtsamkeits-Trainer die McKinsey-Trupps. So beschrieb es eine große deutsche Tageszeitung:

„Wenn selbst Mercedes seinen Mitarbeitern Mail-Zwangspausen und digitalen Urlaubs-Absentismus verordnet, dann ist das Thema Achtsamkeit in der Mitte der Wirtschaft angekommen. Der Pharma­konzern Genentech startete unlängst ein ehrgeiziges Mindfulness-Programm für seine Mitarbeiter. Intel und SAP erhöhten mit einem ähnlichen Versuch die seelische Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter. Bei diesen Programmen geht es nicht nur um Yoga oder Rückengymnastik. Es geht um die kognitive Selbst-Wirksamkeit. Wir dürfen gespannt sein, wann Google vom Googeln abrät. Schon heute propagiert ja Larry Page das Abschalten des Mobiltelefons beim Essen.”

Mindfulness / Screenshot Google Trends

Zunächst wirkt es bizarr, geradezu paradox: Leben wir nicht in einem Zeitalter der ständigen medialen Überreizung – in einer Welt, die derart bis zum Rand mit Information, Meinung, Erregung, Angst, Lärm, Gleichzeitigkeit, KRISE UND KATASTROPHE überfüllt ist, dass die Vokabel »Achtsamkeit« wie ein zynischer Treppenwitz klingt? Eben! Alle wahren Trends sind im Grunde GEGEN-Trends – auf diese Weise versucht die kulturelle Evolution, sich auszubalancieren. Aber geht es am Ende nicht nur um eine neue Privat-Askese, einen Eskapismus, wie er im Rahmen bürgerlicher Innenwelt-Bewegungen schon häufiger vorkam- im Biedermeier, der Natur-Romanik des 19. Jahrhunderts, oder im esoterischen Spiritualismus des NEW AGE?

Achtsamkeit ist (achtsam betrachtet) deutlich mehr. Der Begriff grenzt sich von der faden WELLNESS ebenso ab wie von der blutleeren NACHHALTIGKEIT (im Grunde ein ängstlicher Statik-Begriff). Er stellt Fragen zweiter Ordnung. Nicht: Nach welchen Trends soll ich mich richten? Sondern: Wir konstruiere ich Welt? Achtsamkeit setzt einen inneren Prozess voraus – die Arbeit der mentalen Selbstveränderung.

„Wie kommt man oben aus der Postmoderne wieder heraus?” – fragt der Dramaturg und Stückeschreiber Wolfram Lotz. Genau darum geht es.

3. Das neurotische Netz

Ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis des Achtsamkeitsbegriffs ist die Evolution des Internet. Dieses multidimensionale Super-Medium, das seit zwanzig Jahren das Epizentrum aller Zukunftsdiskurse bildet, erzeugt tatsächlich eine radikale Disruption unserer Weltwahrnehmung. Wo Alles mit Allem verbunden ist, wird es schwer, die notwendigen Unterscheidungen zwischen Ich und Welt, Idee und Tat, Wissen und Vermuten zu bewahren.

Rüdiger Safranski hat das einem Interview des EUROPEAN neulich so auf den Punkt gebracht:

„Heute erleben wir das, was sich kein früheres Jahrhundert erträumen konnte: das Erlebnis von Gleichzeitigkeit. Unsere Handlungs- und Wahrnehmungswelten gehen dramatisch auseinander. Das erzeugt unterschwellig eine unglaubliche Hysteriebereitschaft.“

Die Mischung der englischen Worte FAR und NEAR bedeutet FEAR. „Wir sind überfordert. Wir sind gereizt. Wir erfahren zu viel und wissen zu wenig. Hilflos strampeln, schneller sein, in zu vollen Verkehrsmitteln, das Dauerrauschen von Gier und Angst, all das macht: sauer. Neidisch. Aggressiv.“ So formulierte es die Kulturkritikerin Sybille Berg neulich in ihrem Blog. Hat sie unrecht, nur weil sie gerne etwas übertreibt?

Menschen sind Bindungswesen. Wir sind von der Evolution dazu geprägt, in überschaubaren »bands« zu leben; Gruppen von maximal 80 Mitgliedern, in denen Kommunikation face-to-face stattfindet und Bindung ständig durch Vertrauensproduktion (oder realen Streit) überprüft werden kann. Das Internet sprengt diese soziale Matrix gleich in mehreren Dimensionen. Das Ergebnis sind die Dystopien aus dem Orkus von Social Media: das Cybermobbing, der chronische Shitstorm, der alle Debatten zu zerstören droht, oder der Posing-Narzissmus auf Facebook, der reihenweise seelische Wracks hinterlässt.

„Jeder Aufmerksamkeitswechsel hat metabolische Kosten – gezahlt wird in Glukose, Zucker im Hirn.“ formuliert der Neurowissenschaftler und Musiker Daniel J. Levitin. Im Gleich-Zeitig-Alter sitzen wir irgendwann vor einem Gewirr flackernder Zeichen, unfähig, irgendeine Handlung auszuführen. Levitin hat den kognitiven Meltdown, der uns in einer Welt ohne Nah und Fern ereilt, in seinem Buch »The Organized Mind« genauer beschrieben (erhältlich bei Amazon: [amazon_link asins=’0241965780′ template=’WW-ProductLink’ store=’horxcom-21′ marketplace=’DE’ link_id=’bb42cf56-1bd2-11e8-a826-f147f756a622′]).

„Wir hören von Revolutionen und ökonomischen Problemen und schrecklichen Einzelfällen überall in der Welt. Unsere Hirne saugen all das hungrig auf, weil sie dazu evolutionär konstruiert sind. Aber gleichzeitig konkurriert all dies um unsere neuronalen Aufmerksamkeitsressourcen.“

Auf jeder Medien-Website herrscht dasselbe Gedränge von Chiffren und Zeichen: Diktator Putin droht mit Atomwaffen, Rihannas Hintern wächst, 20 Tips für einen nachhaltigen Karriereweg, Wie man in drei Schritten zum Orgasmus kommt, So betrügen uns Aslybetrüger, ein 4jähriger Schüler öffnet eine goldene Schachtel – und etwas Wunderbares passiert!

Die Welt als Wundertüte, in der das Wunder verlorengeht. Die technische Zivilisation gaukelt uns ständig vor, wir könnten Bindung durch Technologie ersetzen. Der amerikanische Internet-Kritiker Evgeny Morozov schrieb neulich in einem Kommentar („Why Growing Old in Silicon Valley Is a Prescription for Loneliness” – Der schöne neue Wohlfahrtsstaat): „Eines Tages mögen Roboter vielleicht lustigere Witze reißen als Menschen; aber es ist klar, dass ihnen die zu versorgenden Patienten ziemlich egal sind. Und wenn dem so ist, warum wird dann von „Versorgung“ gesprochen? Bezeichnen wir es lieber als kostengünstiges, störungsfreies Management von Senioren, denn in Wahrheit ist es genau das.” (FAZ 14.Dez.2015)

Paul Dolan, der Autor von „Happiness by Design”, behauptet: „Glück ist nichts anderes als die Allokation von Aufmerksamkeit”..

Rolf Dobelli formulierte: „Nachrichten sind gesundheitsschädlich. Ich will die Kontrolle über mein Hirn zurück!”

Jeder Achtsamkeits-Prozess beginnt mit einer notwenigen Distanzierung, einem Innehalten. Einen Moment lang glauben wir gar nichts mehr, was »dort draussen« behauptet wird, und schon das hat heilsame Wirkung. Wir beginnen, uns beim Beobachten zu beobachten. Der Philosoph Alain de Botton schreibt in seinem Buch „The News – A Users Manual” ([amazon_link asins=’0241967392′ template=’WW-ProductLink’ store=’horxcom-21′ marketplace=’DE’ link_id=’79aa1847-1bd3-11e8-88ab-054a9bbdc334′]):

„Wir brauchen lange Zugreisen, bei denen wir kein Wifi-Signal haben und nichts zu lesen, während unser Abteil meistens leer ist, mit Sicht auf Hügel und Horizonte, und wo das einzige Geräusch das rhythmische Klicken und Rasseln der Räder ist. Wir brauchen Flugreisen mit einem Fensterplatz und nichts anderem, auf das wir unseren Blick lenken können als die Spitzen von Wolken. Das kann uns dabei helfen, unsere Gedanken in die richtige Richtung vagabundieren zu lassen.“ (S. 254)

4. Die andauernde Apokalypse

Dass die Welt untergeht, ist längst »common sense«. Kaum eine Talkshow, auf der nicht mit einem Unterton irgendwo zwischen Drohung und Faszination das demnächst bevorstehende Ende der Zivilisation beschworen wird – TEOTWAWKI – „The end of the world as we know it“ – sagen die Amerikaner.

Jedes zweite Videospiel spielt in Endzeiten, die Hollywood-Filme, in denen wilde Gestalten durch düstere Ruinen ziehen, häufen sich, und im Buchhandel finden sich wunderschöne Bildbände von finalen Katastrophen, in denen Menschen auf grandiose – und ästhetisch positive – Weise ausgestorben sind. Endlich ist es vorbei mit uns!

Eva Horn, Literaturwissenschaftlerin und Philosophin, hat in ihrem Buch “Zukunft als Katastrophe” ([amazon_link asins=’3100168038′ template=’WW-ProductLink’ store=’horxcom-21′ marketplace=’DE’ link_id=’0bf89ff3-1bd4-11e8-b4b9-755409c3a5df’]) die Apokalypse als kulturelle Chiffre entschlüsselt. Sie fragt, wie die zahlreichen dystopischen Narrative auf unsere Gesellschaft (rück)wirken – und woraus sie sich speisen.

Das eine ist: Schuldgefühl. Wir sind uns unserer Selbst unsicher geworden – unser Leben in einer hochtechnischen Zivilisation scheint obsolet. In der Vorstellung des Weltuntergangs liegt jedoch auch eine versteckte Hybris: Wir glauben, so »mächtig« zu sein, den Planeten »umbringen« zu können. Und die fixe Idee, dass die eigene Lebenszeit identisch mit der »Weltzeit« ist. Nach unserem eigenen Ende – dem Tod – ist auch für alle anderen nichts mehr da. Tabula Rasa. Eine negativ-narzisstische Überblähung des Ego.

Neu ist das alles nicht. Die geheime Faszination am Untergang, die apokalyptische Arroganz, drückte schon der humanistische Feuilletonist Friedrich Siegburg in seinem Text „Gedränge unter dem Fallbeil” von 1950 aus: „Meine Sitznachbarn… prahlten förmlich mit der Hinfälligkeit unserer Welt, und je düsterer ihre Prognosen wurden, umso fröhlicher wurde ihre Stimmung, bis sie schließlich in Frankfurt das Flugzeug im Zustand höchster Aufgekratztheit verließen.”

„Unser Hirn sucht unermüdlich nach dem Negativen. Sobald es das Negative findet, fixiert es sich darauf.” – so formulierte es Rick Hanson, ein Kognitionsforscher, in seinem Buch „Hardwiring Happiness”.

Die Philosophin Sandra Richter formulierte dagegen in ihrem Werk „Lob des Optimismus“ den Kern einer Welthaltung, die nüchternen Optimismus als Verantwortungs-Ethik begreift, ohne das mögliche Schlechte zu leugnen. „Ein solcher Optimismus speist sich aus der Einsicht, dass es uns – historisch betrachtet – gutgeht, dass wir nicht lamentieren, sondern uns engagieren sollen.“

Ohne Hoffnung gibt es keine Liebe. Keine Elternschaft. Kein Unternehmertum, keine Politik. Keine Kreativität. Keine Zukunft. Hoffnung ist im Lärm des Kulturpessimismus längst eine bedrohte Ressource. Und an diesem Punkt setzt die Achtsamkeit ein: Sie verpflichtet uns, dort Lösungen zu suchen, wir wirkmächtig sind, anstatt uns am allgemeinen Negativen zu delektieren. Damit leistet sie auch Widerstand gegen den populistischen Wahn, der im Namen aller möglichen Untergänge (des »Abendlandes«, des »Westens«, der »Nation«, des »Christentums«) zivilisatorische Normen dekonstruiert.

Depressive Hysterien haben ihre Ursache immer im Mangel des EIGENEN.

5. Die Wiedereroberung des Selbst

Was hat die Achtsamkeit mit Meditation und den bekannten Formen östlicher Spiritualität zu tun? Der Yoga-Boom hat sicher den Boden bereitet – aber Achtsamkeit ist mehr als Stillsitzen und zur Ruhe kommen. In der Achtsamkeits-Bewegung existiert ein aktives und ein reflexives Moment: Ein Bedürfnis, sich selbst im Verhältnis zur Welt zu betrachten und zu bewegen.

Achtsamkeits-Techniken greifen sowohl auf fernöstliche Elemente wie auf Erkenntnisse der Kognitions-Psychologie zurück. Inspiriert sind sie vom Konstruktivismus, zuhause dort, wo es um das Betrachten der Welt im Sinne einer neuen Aufklärung geht. Anders als im Buddhismus ist das Ziel nicht die Auflösung des Ich. Sondern die Wieder-Entdeckung des Selbst. Der zentrale Begriff lautet: SELBST-WIRKSAMKEIT. Was meint: Das Selbst und die Welt in ein neues schöpferisches Verhältnis bringen.

Achtsamkeit heißt, dass man das Trommelfeuer der Erwartungen, die Flut der Bilder und Ideologien, abschalten lernt – um wahrzunehmen, WAS IST. „Rewiring your Emotions”: In der Achtsamkeits-Haltung erproben wir unsere neuronale Plastizität.

Achtsamkeit heißt, anders kommunizieren zu lernen, denn alles Leben ist Beziehung. Erst wenn man Menschen empathisch wahrnehmen kann, ohne sie unentwegt zu ranken – zu bewerten, zu beurteilen, wie das in der hypervernetzten Welt Usus ist – erfährt man Weltverbundenheit. Vielleicht meinten das die alten Hippies aus den 70ern: Love the one you’re with.

Achtsamkeit bedeutet, Wissen wieder an Kompetenz, Information an Vermögen, Kommunikation an Verstehen zu koppeln. Dazu gehört: Geduld lernen. Wenn man in alltäglichen Situationen – an der Bushaltestelle, beim Arzt, beim Autofahren – den Geist aufmerksam wachhält, ohne ständig an seinem Smartphone zu fummeln, hat man schon einen gewaltigen Schritt zur Freiheit geschafft. Achtsamkeit ist Ablenkungs- und Aufmerksamkeitsdiät, bei der es nicht um Verzicht, sondern um inneren REICHTUM geht.

Achtsamkeit ist auch eine gute Medizin gegen das allgegenwärtige Jammern. Der Duktus des Klagens, des Beschwerens, des „Problemismus”, der unentwegten Beschwörung all dessen, was uns angeblich am Leben hindert, codiert die Welt als einen Ort ständiger Defizite, in der Angst das letzte Argument darstellt. Und erzeugt damit genau jenen Raum, in den die hasserfüllten Vereinfachungen blühen können.

Probleme sind nichts anderes als Lösungsvorschläge, die wir noch nicht »lesen« können. Krisen sind Störungen mit Veränderungspotential. Die Flüchtlingskrise wird am Ende unsere Kultur reifer machen – Migranten »lösen« die Verkrampfung unserer Kultur. ADSH-Kinder sind womöglich nicht der Beweis für schreckliche »Probleme« im Hirn von Kindern. Sondern Hinweise auf einen System-Fehler unserer Pädagogik: Die Entkörperlichung, das ewige Sitzen, das Lernen im Passiv. Die »Zappelphilippe« sind schlichtweg Nichtangepasste einer Schulwelt, die den Körper stilllegen möchte.

„Ein Problem zu lösen bedeutet einfach, es so darzustellen, dass die Lösung erkennbar wird.”, formulierte der Systemsoziologe Herbert A. Simon.

Achtsamkeit scheint nur auf den ersten Moment eine Abkoppelung von der Wirklichkeit. In einer überfüllten, überreizten, überkomplexen Welt müssen wir zwar lernen, uns auf neue Weise auf uns selbst zu besinnen. Doch birgt der Begriff die tiefere Erkenntnis, dass die Welt gar nicht WIRKLICH überfüllt, über-reizt, über-komplex, über-fällig ist! Wir konstruieren sie nur so durch unsere Vorstellungen! ISIS wäre ohne unsere Angst nichts. Die Angst vor dem Sterben macht den Tod zur Zumutung.

„Man muss sich nicht alles von sich selbst gefallen lassen!”, sagte Victor Frankl.

An diesem Punkt mündet Achtsamkeit in einen Freiheitsbegriff. Achtsamkeit ist die Kulturtechnik der reifen Individualität in einer konnektiven Welt. Aber gab es Achtsamkeit nicht schon immer? Natürlich. Aber nie wurde sie so gebraucht wie heute. Wie weit ist die »Bewegung«? Wie weit wird sie sich ausbreiten? Die erstaunliche anarchische Empathie angesichts der Flüchtlingswelle ist vielleicht Vorbote einer Vergesell­schaftung von Achtsamkeit (gerade deshalb sind die Wut-Gegenreaktionen so heftig!) .

Die Zeichen der Zeit: Ob in unserem Verhältnis zur Nahrung, zu Kleidung, zu Tieren, zu Energie, überall suchen Menschen nach neuen Beziehungen, die das funktionalistische Paradigma überwinden. In der Arbeitswelt entwickeln sich neue Kooperationsformen, und das bedeutet auch, dass sich Führung »achtsamer« neu konfiguriert. Ohne eine erstaunliche neue Form der globalen Achtsamkeit wäre das Klimaschutz­abkommen von Paris nicht zustande gekommen.

Also: Woran erkennt man diesen ominösen Trend? An einem schwer beschreibbaren LEUCHTEN am Horizont. Das kann man nur sehen, wenn man den Kopf in die richtige Richtung dreht. Nach innen und außen gleichzeitig.

Ich freue mich über Nachdrucke oder Links zu meinen Texten - bitte kontaktieren Sie Mag. Michaela Németh: michaela.nemeth@horx.com.