Mein “Facebook-Failure”

Über den Sinn prognostischer Irrtümer

Habe ich mich jemals in meinen Zukunfts-Prognosen geirrt? Aber sicher! Ohne Irren können wir nicht lernen. Aber was ist »Irrtum« in Bezug auf die Zukunft tatsächlich? Kann man produktiv irren?

Im Jahr 2005 habe ich auf einer öffentlichen Veranstaltung gesagt: „Von Facebook wird in 5 Jahren niemand mehr reden!“

Zu meiner Verteidigung kann ich nur die damalige Lage anführen: Der »Neue Markt« war 2001 mit dem ersten Digital-Crash zusammengebrochen. Die digitale Revolution fraß – einstweilen – ihre Kinder. Es herrschte eine Art Wildwest-Atmosphäre, in der sich schnell neue Startups gründeten, die rasch wieder verglühten. Internet-Giganten wie AOL, MySpace, Yahoo waren an einem Tag riesig, am nächsten Tag wurden sie schon aufgekauft oder gar eingestellt.

Ich ahnte damals, dass mit Facebook ein riesiges Problem auf uns zukommen würde. Ich spürte, dass etwas am Algorithmus der Sozialen Netzwerke grundlegend faul war und fatale Auswirkungen auf die kommunikativen Strukturen haben würde. Der Algorithmus von Facebook basierte auf einem Feedback-Fehler. In der Herrschaft der Likes entsteht lediglich die ILLUSION von Beziehung und in der Frustration darüber konnten sich rasend schnell Emotions-Epidemien ausbreiten. Shitstorm und Cybermobbing, Hass-Speech und Verschwörungs-Blasen – Netz-Narzissmus und digitale Dumpfheit – all das war schon am Horizont absehbar.

Ich war damals zornig, dass meine geliebte digitale Revolution erhebliche Nebenwirkungen zu zeigen und aus dem Gleis zu springen begann begann. Ich unterschätzte völlig den Plattform-Effekt – jene Magnetwirkung, mit der unweigerlich alle Nutzer auf eine Plattform gesogen werden. Ich ging davon aus, dass sich in der Dynamik der kreativen Startup-Kultur die »richtigen« Sozialen Netzwerke durchsetzen würden – Firmen, die von echtem, humanistischen Enthusiasmus getragen wurden.

Es war Wishful Thinking. Idealisierung. Ein typischer blauäugiger Prognose-Fehler: Man wünscht sich etwas. Man hofft auf den Sieg des Guten. Man erklärt zur Zukunft, was man präferiert. Und damit erleidet man Schiffbruch.

Mehr als ein Jahrzehnt nach meiner blauäugigen Fehlprognose mehren sich die Anzeichen dafür, dass ich gar nicht so falsch lag – nur zeitlich völlig daneben. Die Verherrlichung, die affirmative Bejahung der Sozialen Medien ist schon seit einigen Jahren vorbei. Bis vor Kurzem schienen die inzwischen zu oligarchischen Monolpolisten aufgestiegenen Internet-Riesen unantastbar. Aber jetzt wendet sich das Blatt. 2017 meldeten sich ehemalige Facebook-Manager zu Wort, wie Chamath Palihapitiya, der öffentlich bekundete, dass Facebook „die Gesellschaft auseinanderreißt“.

Sean Parker, einer der Gründer, sagte in einem vielbeachteten Interview:

„den Facebook-Gründern sei von Anfang an bewusst gewesen, dass das soziale Internet die Psyche von Menschen manipuliere. Aber wir haben es trotzdem gemacht!“.
„Soziale Medien nutzen eine Schwäche in der menschlichen Psyche aus. Sie ändern unseren Umgang mit der Gesellschaft und untereinander. Der Dopamin-Kick durch die unmittelbare soziale Bestätigung wirkt toxisch auf unsere Seelen. Gott allein weiß, was das mit den Gehirnen unserer Kinder macht.“

Siehe www.faz.net.

Sudan Wu, einer der Ur-Investoren von Silicon Valley, äußerte sich kürzlich in einem flammenden Aufruf im digitalen Zentralorgan WIRED:

„Es ist kristallklar, dass die Chefs von Silicon Valley nicht mehr nur einfach Startup-Gründer sind… Es sind gesellschaftliche Führer, Oligarchen, die die Natur unserer Identitäten, Kommunikationen und Beziehungen formen… In einer Welt, in der Software-Algorithmen bald jedenTeil unseres Lebens formen, Google und Facebook 70 Prozent des digitalen Anzeigengeschäfts dominieren und Smartphones eine Abdeckung von 80 Prozent erreichen, ist es nicht mehr genug, innovative Software und unverzichtbare APPS zu produzieren. Eine übermächtige Marktmacht anzuhäufen ohne den breiteren sozialen Impact des Unternehmens zu berücksichtigen, ist rücksichtslos und unverantwortlich!”

Jetzt, im Frühling 2018, ist ein riesiger Shitstorm über die blaue Firma hereingebrochen. Es gibt endlich eine breite gesellschaftliche Debatte. Mark Zuckerberg muss sich öffentlich legitimieren, und er sieht dabei nicht gut aus. Nach dem Cambridge-Analytika-Skandal fielen die Aktien um mehr als zehn Prozent, und das ist erst der Anfang.

Facebook wird wohl nicht verschwinden, aber dieses riesige „Menschenexperiment“ (Elke Schmitter) wird sich selbst stark verändern. Allein in Berlin hat Facebook 1.500 „Hass-Moderatoren“ eingestellt. Es scheint heute auch nicht mehr unmöglich, dass sich echte Alternativen zu den großen Datenkraken entwickeln. Dass Staaten die digitalen Plattform-Konzerne einschränken oder gar zerschlagen, ist nicht mehr nur eine rein hypothetische Möglichkeit.

Man kann sich irren, auch wenn man recht hat.
Das klingt eitel, und rechtfertigend. Damit keine Missverständnisse auftreten: Ich will meine Fehler nicht kleinreden. Ich war blöd, blauäugig, ich lag daneben. Punkt.
Aber je mehr ich im Zukunftsgeschäft tätig bin, desto mehr denke ich über den wahren Sinn und Wert von »Prognosen« ist. Müssen sie »stimmen« im Sinne von genauen Voraussagen mit Datum und Ablauf ? Oder haben sie eine andere Funktion???

Prognosen müssen Zukunft spürbar machen – im Sinne eines tieferen Verständnisses von komplexen Phänomenen. Dabei geht es ums Bewusst-Machen. Der Wortstamm: »Pro-gnosis« heißt »Vor-Schöpfung«. Im Spiegel der Zukunft können wir vielleicht manche Dinge klarer sehen. Dazu braucht die Zukunftsforschung jedoch noch eine andere Grammatik, ein anderes Sprach-Vermögen, eine klügere Sprechweise. Wir sollten nicht so sehr von »kommenden Fakten« oder fernen Zuständen reden, und dafür mehr die wandelnde Wirklichkeit verstehbar machen. Das ist die eigentliche Kunst, sozusagen die »magische Schleife« der Prognostik. Ich übe also besseres Irren. Bedeutungsvolleres Irren. Das ist, vermute ich, mein eigentlicher Job.