116 – Die Zukunft der Zukunft

„Beyond Trends“ oder
Plädoyer für eine andere Zukunftsforschung

Es ist nicht leicht, über die Zukunft zu sprechen,
ohne gleich in Beschleunigungs-Hysterie oder
in ein anderweitig apokalyptisches Fahrwasser zu geraten.
Deshalb frage ich nicht, ob wir Zukunft haben oder nicht haben,
sondern wie wir Zukunft ERLEBEN und herstellen.
Aleida Assmann

H

aben Sie irgendwo die ZUKUNFT gesehen?
Ich meine: Die richtige Zukunft. Nicht nur Waldbrände, Artensterben, Krieg, Kulturkrieg und digitale Super-Intelligenz, die uns entweder umbringt oder von allen Übeln erlöst. Sondern eine Zukunft als Vorstellung eines Besseren Morgens.

Es sieht ganz so aus, als ob uns diese Zukunft in einem rasenden Jetzt verloren gegangen ist. Sie hat sich, ähnlich wie die Politik, in zwei diametrale Lager aufgespalten:

  • In einen naiven Technik-Utopismus, in dem Zukunft ausschließlich als Produkt technologischer Sensationen und digitaler Erlösungen verstanden wird.
    Mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz werden alle Probleme der Menschheit gelöst, Roboter übernehmen den Alltag, wir schrauben uns demnächst Sensoren ins Hirn, die uns hundertfach intelligenter machen. Und demnächst leben wir auf dem Mars …
  • Oder sie tritt uns als Untergangs-Dystopie gegenüber, in der die Apokalypse längst schon angefangen hat:
    Alle Wälder werden brennen, Bürgerkriege die Städte zerstören, und der Meeresspiegel steigt auf die Höhe Kitzbühels. Der Mensch ist überflüssig und überzählig und wird demnächst aussterben …

Beide Varianten sind im Grunde das Gleiche. Sie sind beide dystopisch. Wie sagte der Feuilletonist Dietmar Dath so schön?
„Zukunft ist immer das, was uns aufgeilt und erschreckt.“

Man könnte auch sagen: Die Zukunft funktioniert nicht mehr. Sie dient uns nicht mehr als Wegweiser, Orientierung und Ausrichtung für unser Leben. Was ihre eigentliche Aufgabe wäre – eine nützliche Fiktion zu sein, die uns leitet und anleitet -, kann sie nicht mehr erfüllen.

Megatrends, revisited: Die Zukunft liegt nicht geradeaus

In den letzten zwanzig Jahren hat der Begriff MEGATREND eine steile Karriere zurückgelegt. Dieser Begriff, den der amerikanisch Publizist John Naisbitt in den 80er Jahren prägte, bezeichnet die langfristigen BIG SHIFTS, die unsere Welt Richtung Zukunft verlässlich verändern: Individualisierung, Globalisierung, Urbanisierung, Digitalisierung, Wissensgesellschaft, Alterung („Silver Society“) und so fort. Also das, was bislang authentisch den Wandel unserer Welt beschrieb.

Megatrends haben den Vorteil, die Vielschichtigkeit der Welt auf einen klaren linearen Begriff zu reduzieren. Sie suggerieren ein glaubwürdiges GERADEAUS. Das entlastet unser kognitives System, führt aber auch zu Wahrnehmungs- und Wirklichkeits-Verzerrungen.

Nehmen wir die GLOBALISIERUNG, den gewaltigen ökonomischen Leit-Trend der letzten 30 Jahre. Wir erwarte(te)n, dass es immer so weitergeht im globalen Marktgeschehen. Dass das rasend schnelle Zusammenwachsen der Weltwirtschaft zu einer einzigen ökonomischen Sphäre, einem Superweltmarkt des immerzu wachsenden Wohlstands, unwiderruflich ist. Und dass die wirtschaftliche Verflechtung Konflikte und Kriege verhindert. Aber man sieht heute eher das Gegenteil. Neue Brüche entstehen, Kriege und Turbulenzen wuchern, Pandemien verändern die Spielregeln, und wir erleben ein Zerfasern der globalen Wertschöpfungs- und Wertschätzungsketten. Kulturelle Formungen und uralte Konflikte überschreiben plötzlich die scheinbar ehernen ökonomischen Gesetze.

Auch der Individualisierungs-Trend fliegt uns derzeit um die Ohren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Individualisierung und Individualismus häufig verwechselt werden.

  • Individualismus ist eine Ideologie der egoistischen Abgrenzung.
  • Individualität ist die Formung eines stabilen Selbst in Verbundenheit.

Eindimensionaler Individualismus macht uns zu Konsumenten, Einzelnen, Ichlingen. Echte Individualität macht uns zu Mit-Menschen, die sich auf neue und respektvolle Weise übereinkommen. Individualismus handelt nur vom Wollen. Individualität auch von dem, was wir der Gesellschaft GEBEN können. Das zu differenzieren ist der Schlüssel zur Frage, wie eine NEXT SOCIETY aussehen könnte.

Auch der Begriff der „Wissensgesellschaft“, der noch bis vor Kurzem jede Zukunfts-Diskussion abschloss, ist seltsam hohl geworden. Irgendwie hat es mit der Bildungsutopie nicht geklappt. Heute ist sogar in Zweifel gezogen, was „Wissen“ überhaupt ist. Was ist eigentlich noch Wahrheit, was ist Wirklichkeit, in einer Welt der rasenden Fake News und der Lüge als neue Wahrheit?

Oder nehmen wir die Digitalisierung selbst, diesen Über-Trend unserer Epoche. Je mehr das Digitale in unsere Alltagswelt eindringt, unser Leben von innen heraus umformt, desto mehr enthüllt es seine Schattenseiten. Auf eine geradezu unheimliche Weise verbindet Digitalisierung nicht Menschen, Systeme, Kulturen zu immer höherer Konnektivität. Sondern trennt sie. Digitalisierung produziert Myriaden von „Schnittstellen“ (wörtlich) , die gewachsene menschliche Kommunikations- und Verständigungs-Systeme zerstören. Das überfordert viele Menschen. Es bringt eine vibrierende Unsicherheit in die Welt. Eine Welt-Entfremdung.

Yuval Noah Harari schreibt in seinem Buch „Homo Deus“:
„Der Dataismus invertiert die traditionelle Pyramide des Lernens. Daten wurden früher als der erste Schritt in einer langen Kette geistiger Aktivität gesehen: Aus Daten destilliert man Information, aus Information Wissen, aus Wissen Weisheit und sinnvolle Handlung. DATAISTEN glauben, dass das alles überflüssig ist. Die Daten SELBST sollen die geistige Aktivität ersetzen, weil die Prozessoren die Kapazität des menschlichen Hirns überschreiten. In der Praxis bedeutet das, skeptisch gegenüber den humanen Fähigkeiten zu sein und alles in die Hände von Computeralgorithmen zu geben.“

Das heißt nicht, dass wir Trendbegriffe nicht mehr nutzen können, um Veränderungen zu beschreiben. Aber wir müssen ihre Widersprüche erkennen, ihre paradoxen Zusammenhänge. Jeder Trend, ob groß oder klein, gerät irgendwann an einen TIPPING POINT, an dem er seine Richtung ändert. Jeder Trend erzeugt früher oder später GEGENTRENDS – darin zeigt sich eine Art Selbstregulierung der Systeme. Nichts kann immer in dieselbe Richtung gehen. Nur wenn wir diese Trend-Gegentrend-Dynamik begreifen, können wir das VERSCHLUNGENE WESEN DER WELT (der Begriff stammt vom Zen-Philosophen Matthieu Richard) erkennen. Und damit die Zukunft verstehen.

Von Prognose zu Re-Gnose: Von der Zukunft aus sehen

Um die inneren Perspektiven zu verändern hat sich die Technik der REGNOSE als nützlich erwiesen. Die Regnose ist eine Art geistiger Zeitreise, in der wir unser visionsfähiges Gehirn, unseren „Future Mind“, nutzen, um uns in eine mögliche und wahrscheinliche Zukunft zu begeben. Und von dieser Position aus auf uns selbst in der Gegenwart reflektieren.
In Krisenzeiten bedeutet das: Versetzen wir uns in eine mögliche Welt NACH den Krisen. Und fragen:
WAS IST NÖTIG GEWESEN, UM HIERHER ZU GELANGEN?

Was wäre zum Beispiel nötig, um den Ukraine-Krieg, oder den neuen Nahost-Krieg, zu einem Ende zu bringen? Eine geradezu monströse Frage, die sofort Kopfweh erzeugt. Aber sie ist sinnvoll. Offensichtlich kann eine mörderisch-kriegerische Dynamik weder durch die richtige Moral noch durch neue Waffentechniken gestoppt werden. Kriege sind ein endloses Lose-lose-Spiel, in dem es keine Gewinner gibt. Sie erzeugen unentwegt ihre eigenen Anlässe. Die wenigsten Kriege können durch Siege entschieden werden.

Eine Lösung könnte nur aus einer Transformation der gesamten Weltordnung entstehen. Eine Veränderung, die das Verhältnis zwischen Staaten, Globalen Institutionen, Zivilgesellschaften und Global Playern neu ordnet. Das erscheint aus heutiger Sicht unmöglich. Aber diese Entwicklung ist längst im Gange. Wenn sich alte Ordnungen auflösen, entstehen IN den Auflösungsprozessen immer schon die neuen Ordnungen. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts brachten noch IM Krieg eine neue globale Ordnung hervor. Ebenso wie der Westfälische Friede 1648 in den drei Jahren VOR dem Ende des 30-jährigen Krieges ausgehandelt wurde.

Ein ähnliches Beispiel ist die Klimakrise. Wenn wir heute über Klimawandel und Dekarbonisierung sprechen oder nachdenken, fixiert sich unser Hirn auf vertrackte Probleme. Weil die politischen Probleme der Klimawende noch nicht gelöst sind, erscheinen sie als unüberwindbares Hindernis. Wir verirren uns in einem Labyrinth von Unlösbarkeiten, in dem kein Ariadnefaden mehr hilft.

Wenn wir aber „von vorne“, aus der Perspektive der Lösung, herausschauen, also aus einer postfossilen Realität? Dann können wir den Zukunfts-Faden von der anderen Seite her auflösen. Alles erscheint plötzlich MÖGLICH und „ganz normal“: Die Techniken und Systeme, die sich heute schnell im Sinne der Dekarbonisierung entwickeln, sind (waren) in ihrem Zusammenwirken und ihrer innovativen Dynamik durchaus in der Lage, den Abschied von Öl, Kohle und Gas zu ermöglichen. Vom Ende der Entwicklung her wird das sichtbar. Wir sind in der postfossilen Wende viel weiter, als wir glauben.

Regnose heißt:
Aus der Unmöglichkeit wird ein Möglichkeitsraum.

Wir denken die Welt in Lösungen.
Und damit VERÄNDERT sich die Welt, weil sich unsere Wahr-Nehmungen verändern.
Die Theorie des ENAKTIVISMUS besagt, dass wir durch unsere Wahr-Nehmungen die Realität erst „aktivieren“. Die kommende Wirklichkeit entsteht aus unseren Vorstellungen. Das hat nichts mit dem magischen Wirken von „Manifestationen“ zu tun. Dieser Ansatz, der von Huberto Maturana und Francisco Varela in ihrer Forschungsarbeit „Der Baum der Erkenntnis“ vertreten wurde, ist der Kern einer der Ideen des „Future Mind“- des schöpferischen Geistes. Und geht heute in quantentheoretische Modelle von Zeit und Wirklichkeit ein.

Miriam Kyselo: Enaktivismus. In: A. Stephan, S. Walter (Hrsg.): Handbuch Kognitionswissenschaft. Stuttgart, J.B. Metzler 2013, S. 197–202.

Deep Future oder Jenseits der ewigen Beschleunigung

Einer der Ursprünge der modernen Zukunftsforschung geht auf eine schräge Truppe zurück, die Anfang des 20sten Jahrhunderts die Zukunft als Ideologie und Revolutionspathos benutzten. Die FUTURISTEN rund um den Italiener Filippo Tommaso Marinetti traten kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Italien und Frankreich und anderen europäischen Ländern in großen Sälen auf und hielten spektakuläre Vorträge zur „radikalen Abschaffung des Alten!“. Das Alte, die Tradition, galt den Futuristen als eine Art Verschwörung der Eliten zur Sabotage des Fortschritts. Es ging um die heroische, rasende Beschleunigung, um allumfassenden Umsturz und totale Auflösung des Bestehenden (Der Bohemien und Lebemann Marinetti wollte sogar die PASTA abschaffen, weil sie die Italiener faul und vergangenheitshörig machte; wenigstens hatte er manchmal Humor).

„Zukunft“ war für diese Aktionsgruppe, die zunächst dem Dadaismus und den Anarchisten nahestand, später aber immer mehr ins Faschistische driftete, Fetisch und Utopie zugleich. Die Futuristen gerierten sich als Umstürzler, die den Fortschritt als „Genuss der Beschleunigung“ empfanden. Einschließlich der dazugehörigen Gewalt. Folgerichtig landeten sie in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges, den sie als „Orgie der rasenden Veränderung“ feierten. Von dort aus kamen sie mittellos und als Krüppel zurück, wenn überhaupt.
Merke: Das rasende Zukünftige kann leicht ins Reaktionäre kippen …

In der Logik des Silicon Valley drückt sich dieser „Cult of the New“ heute in einem Satz „Move fast and break things!“ aus: Dieser Spruch von Marc Zuckerberg ist eine Art Superparole des „Akzelerationismus“, einer hyperkapitalistischen Auffassung der Zukunft, in der Technologie als das Allheilmittel für alles und als Treiber einer Art Hyper-Evolution gesehen wird, in der nur die ganz Starken und die ganz Schnellen überleben. Vieles daran ähnelt den Auftritten von Elon Musk und Peter Thiel – weg mit dem Alten, Hinfälligen, Schwachen! Auf zum Mars und zur Unsterblichkeit – auch wenn alle Raketen auf dem Weg dahin explodieren!

Ursula K. Le Guin, die einzige Frau im Olymp der Zukunfts-Autoren, formulierte einmal in einem „Rant on Technology“:
„Wir wurden so desensibilisiert durch einen 150-jährigen technischen Heldentums-Rausch, dass wir glauben, man könnte nichts, was weniger komplex ist als ein Düsenbomber oder ein Computer, „Technologie“ nennen. In Wirklichkeit ist Technologie nichts anderes als die Art und Weise, wie die Gesellschaft mit der physischen Realität umgeht.“

Die amerikanischen Publizisten Lee Vinsel und Andrew Russell vertreten in ihrem Buch „The Innovation Delusion“ (Der Innovations-Wahn) einen interessanten Gegen-Ansatz: Der rasende Kult des IMMER-NEUEN, so die Autoren, hat unsere Gesellschaft mental ausgelaugt und ökonomisch deformiert. Da alle Investitionen immer nur in spektakuläre (meist digitale) Super-Hypes gelenkt wurden, die vor allem den Sinn verfolgten, neue Märkte monopolitisch zu besetzen, haben wir die tragenden Strukturen der Zivilisation vernachlässigt. Die Idee der ERHALTUNG ist völlig in den Hintergrund geraten, deshalb sind wir jetzt mit bröckelnden Infrastrukturen und kaputten Brücken, maroden Krankenhäusern und Schulen konfrontiert. Wir sind umgeben von technischen Systemen, die immer fragiler und fehleranfälliger werden. Die Autoren plädieren für einen „Maintenance Mind“, ein „Bewusstsein der Wartung und Erhaltung“, in dem das Verhältnis zwischen Kultur, Dauer und Technologie wieder in ein sinnvolles Gleichgewicht gebracht wird. (Siehe auch die Initiative meines amerikanischen Zukunftsforscher-Freundes Stewart Brand: „The Maintenance Race“)

Wer muss dabei nicht an den Hype der Künstlichen Intelligenz denken? Und an die inzwischen fad und abgeschmackt wirkenden Parolen vom „Schneller Scheitern“, dem heiligen Glauben an die Tugend des Geldverbrennens durch Start-ups und Cybergeld? Obwohl es vielleicht viel wichtiger wäre, die REALE, physische, existierende, dauernde Welt am Laufen zu halten – und graduell zu verbessern.

Manches ist uralt und beständig.
Es entwickelt sich auf seine eigene Weise.
Vieles Bewährtes ist erhaltenswert.
Die Zukunft entsteht in intelligenten Synthesen.
Neues und Altes, klug kombiniert, ergeben das BESSERE.

Oder wie Steward Brand auch das System der „Mehrschichtigkeit der Veränderung“ (Pace-Layer-Modell) beschreibt:

Es ist sinnvoll und realistisch
Sich eine Zivilisation als etwas vorzustellen,
das gleichzeitig in verschiedenen
Geschwindigkeiten funktioniert.
Mode und Handel verändern sich schnell.
Natur und Kultur ändern sich langsam.
Infrastruktur und Politik begleiten beides
in einem mittleren Tempo.
Aber weil wir uns vor allem auf die sich

schnell verändernden Elemente konzentrieren,
vergessen wir die wahre Kraft
in den Sphären der langsamen, tiefen Veränderung.

Was ist „Humanistischer Futurismus“?

Die Zukunftsforschung hat eine verzweigte Geschichte, in der sie sich immer wieder neu erfunden und umbenannt hat. Ihre Wurzeln reichen bis in die antiken Orakel, die gar nicht so sehr „orakelten“, sondern kluge Rück-Fragen an ihre Kundschaft stellten. Und dadurch Weisheit erzeugen wollten. In den Denk-Zirkeln der frühen Humanisten seit dem 14. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, bestand das Zukünftige in der Hoffnung auf den Austritt des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Daraus wiederum entfaltete sich die Grundidee des „Humanismus“, der den Menschen als universelles Wesen begreift, das in der Lage ist, Selbstverantwortung und Zukunftsformung zu übernehmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen neue Denkansätze hinzu. Die „Kybernetik“ wurde als Planungs- und Risiko-Wissenschaft erfunden: Zunächst ging es um die Strategie möglicher Atomkriege (Herman Kahn und der Think Tank der Rand Corporation). Dann erweiterte sich das Feld in Richtung der Systemwissenschaften. In den 90er Jahren kam die Trendforschung auf, die sich mit der Semiotik der Gesellschaft beschäftigte, aber ziemlich schnell vom Marketing absorbiert wurde. Zukunftsforschung führte später in die Strategieberatung mit Megatrends und Szenarien. All das waren notwendige und sinnvolle Ansätze. Aber sie hatten eine bestimmte Zeit. Einen bestimmten Kontext. Heute geht es wieder darum die Zukunftsforschung als Universal-Wissenschaft zu einer neuen Ganzheitlichkeit zu führen. Sie auf ihre universalistischen, humanistischen Elemente zurückzuführen.

Humanistischer Futurismus überwindet den zu engen Blickwinkel von Technologie und Ökonomie. Ohne ein Verständnis des Sozialen, des Gesellschaftlichen, bleibt das Technologische entfremdet. Ohne Verbindung zu den echten menschlichen Bedürfnissen verselbstständigt sich die Ökonomie und wird destruktiv.

Humanistischer Futurismus beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von INNERER und ÄUSSERER Zukunft (Bewusstsein UND Welt). Wie wirken Visionen, Utopien, Zukunfts-Narrative, mächtige MEME, auf die Wirklichkeit zurück – und gestalten in Form der Futurogenese die Realität?

Humanistischer Futurismus sieht den Wandel als ständigen SYNTHESEprozess. Darin spiegelt sich Hegels Dialektik, aber auch das, was der Renaissance-Gelehrte Giambattista Vico die „corsi e ricorsi“ nannte, die „Flüsse und Rückflüsse“ der Geschichte. Trends und Gegentrends, Aufstieg und Dekadenz, Turbulenz und Neubeginn …

Humanistischer Futurismus entwickelt ein konstruktives Verhältnis zum Phänomen der „Krise“. Krise bedeutet, dass das Alte und das Neue in eine Dissonanz getreten sind, das die „Frames“ unserer Weltwahrnehmung nicht mehr mit den Realitäten zusammenpassen. Das macht Angst, aber Angst kann auch ein Treiber von Veränderung werden.

Humanistischer Futurismus ist dem neuen Langzeitdenken verpflichtet. Er verabschiedet sich vom „rasenden Jetzt“, von der Verengung aller Wahrnehmung auf die Gegenwart. Es überwindet den Akzelerationismus, das utopistische Beschleunigungs-Denken. Und versucht, die langfristigen Perspektiven der menschlichen Existenz zu erforschen – auch diejenigen Perspektiven, die über unser persönliches Leben hinausreichen.

Humanistischer Futurismus funktioniert INTEGRIEREND. Wir erforschen die Zukunft/das Zukünftige nicht nur in der einseitigen Perspektive des Technologisch-Ökonomischen. Sondern in den Verbindungen und Schnittmengen zwischen den vier „Hauptachsen“ des Wandels: Technologie, Kultur (Gesellschaft), Ökonomie und Bewusstsein.

„Es ist dringend notwendig, dass wir die Kräfte und Erkenntnisse der verschiedenen Disziplinen der Natur-, Techno-, Geistes- und Sozialwissenschaften bündeln und auf die alles entscheidende Frage fokussieren,
wie wir als Menschen sind und wer wir sein wollen.”
Markus Gabriel, Philosoph

„When we think about how the future might be different, we better understand how we might be different too.“
Jane McGonigal, Futuristin

„A trend is a trend is a trend
But the question is – will it bend?
Will it alter its course
through some unforeseen force
and come to a premature end?“
Alexander Cairncross