118 – Was kommt 2024?

Ein Neujahrsgruß

Warum unsere Erwartungen die wahre Zukunft beeinflussen – und wir mehr wütenden Optimismus brauchen.

An den Feiertagen habe ich einen Film gesehen, der mich tief berührt hat. „Leave the World Behind“ mit der wunderbar zickigen Julia Roberts und dem zerknitterten Ethan Hawke in den Hauptrollen. Ein schrecklicher Endzeit-Film der besonderen Art. Produziert wurde der Film (unter anderem) vom Ehepaar Obama. Was bemerkenswert ist. Oder beängstigend. Haben sogar die Obamas jetzt den Glauben an das Gute, an die Zukunft, verloren?

Die Handlung geht so: Ein wohlstands-gestresstes amerikanisches Paar — sie Werbemanagerin, er Dozent an einer Hochschule — fährt mit seinen Kindern in einen Spontanurlaub in ein Luxushaus auf Long Island. Schon auf dem Weg fallen die Handyverbindungen und das Internet aus. Und dann beginnt ein endloser Horror, bei dem die Zivilisation richtig satt den Bach heruntergeht. Es fängt damit an, dass ein Öltanker einfach in einen bevölkerten Badestrand hineinfährt.

Man kann den Film einfach als Action-Film sehen — Horror-Entertainment á la carte. Die beste Horrorszene ist, wie tausend leere weiße Teslas auf einer Landstraße ineinander krachen — so endet Elon Musks Versprechen vom automatischen Fahren. So endet auch der ganze hypertechnologische Traum, der der Wirklichkeit nicht standhält.

Aber der Film hat noch eine zweite, wichtigere Ebene: Das Verhältnis der Menschen zu sich selbst. Und zur Zukunft.

„Ich hasse Menschen“ sagt Julia Roberts gleich zu Beginn. „Menschen sind einfach schrecklich (awful)“.
Der Zivilisations-Zusammenbruch, wir ahnten es eigentlich immer schon, kommt nicht von außen, nicht durch Aliens oder böse Finsterlinge. Er kommt von Innen.
Die Zombies, das sind wir selbst.

Ich habe in den letzten Tagen Freunde, Bekannte, Nachbarn gefragt, was sie für 2024 erwarten:
„Was sind Ihre/Eure Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen für das nächste Jahr und „Beyond“ (darüber hinaus)?”

Zwei Drittel haben gleich abgewinkt:
„Hör mir auf! Was soll DIESE Frage denn noch?”
„Wenn das nächste Jahr auch nur ein wenig schrecklicher wird als dieses, dann wird es schon ein Superjahr.“
„Vergiss es! Das nächste Jahr wird garantiert noch versiffter als das Vergangene.“
„Ich erwarte gar nix mehr, schon gar nicht von der Zukunft!“

Auffällig der Sound des Zynismus, der in den meisten Antworten den Ton bestimmt. Mindestens fünfmal hörte ich einen Satz, der zu einer Art Untergangs-Bullshit-Mantra geworden ist:
„Die Menschheit wird sich sowieso ausrotten!”
Und dann, als Zusatz:
„Ist sowieso gut.
Die Natur braucht uns nicht. Die kommt prima ohne uns aus.”

Begründet wird dieser wurstige Zynismus immer damit, dass man ja „nur mal in die Medien schauen muss, um zu sehen, dass die Welt den Bach heruntergeht“. Aber bilden die Medien wirklich „die Welt“ ab? Sollten wir nicht inzwischen ein bisschen weiter sein? Und verstanden haben, dass „die Medien“ nicht dazu da sind, uns die Wirklichkeit zu zeigen? Sondern uns zu Klicks zu verführen, damit die Werbung weitergeht. Was besonders gut mit Angst, Übertreibung, Hysterie und zynischer Negativität funktioniert.

Ich glaube, wir können vom Jahr 2024 (ff) durchaus etwas erwarten.
Wir könnten zum Beispiel erwarten, dass Trump krachend scheitert. Entweder bei der Wahl, oder durch irgendetwas Magisches oder Verrücktes/Absurdes danach. „Etwas“ wird passieren, das diesen aufgeblasenen Hanswurst, diesen eitlen Superclown, zu Fall bringt.
Unmöglich?
Das Denken jetzt alle. Und das ist Trumps eigentlicher Triumph.
Dabei ist Trumps Fall in den Orkus sehr wahrscheinlich. Das System Trump ist so überzogen, überreizt, bizarr, so hyperfragil, dass es vor, eigentlich schon NACH dem Kollaps steht. Es handelt sich, wie wir in der Systemsprache sagen, um überzogene Probabilität. Der Tipping-Point ist längst überschritten, die Wirklichkeit hinkt nur noch ein bisschen hinterher…

Man muss nicht Shakespeare-Stücke ansehen, um das zu verstehen. Man braucht nur einen gesunden Menschenverstand. Es kann nur schiefgehen. So oder so wird es das.
The Atlantic: Why Trump Won’t Win

Wenn Trump abstürzt, könnten wir uns womöglich aus jener Ohnmachts-Trance, jenem Bannfluch befreien, in dem wir glauben, dass die Populisten und Autokraten IMMER siegen werden, je gewaltbereiter und bösartiger sie werden.

Ich kann mir für das Jahr 2024 vorstellen, dass ausgerechnet aus dem Horror des Gaza-Krieges eine politische Wende in Israel hervorgeht. So wie in Polen. Dass sich die israelische Gesellschaft über ihre eigenen Abgründe erhebt. Und sich im Nahen Osten neue Bündnisse für eine Befriedung dieses scheinbar ewigen Konfliktes herausbilden.
„Geht nicht”, sagen die ewigen Doomsayer. „Kann gar nicht gehen.”
Wirklich?

Wir könnten uns wundern.
Wenn wir uns nicht mehr wundern können, gibt es in der Tat keine Zukunft.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass China bereits im kommenden Jahr (oder in den nächsten drei Jahren) seinen „Carbon Peak“ erreicht. Von da an würden die CO2-Outputs dieses gigantischen Industrielandes ständig sinken, wie heute schon in den alten Industrienationen.

Chinas Karbonwende würde unsere Wahrnehmung der Klima-Wende stark verändern. Wenn die bald größte Wirtschaft der Welt das schafft, dann ändert sich womöglich auch unsere panische, negative Wahrnehmung: „es kann sowieso nicht funktionieren“. Dann nehmen wir endlich WAHR, dass wir in einem gewaltigen Boom neuer postfossiler Technologien leben. Dass verdammt vieles in Richtung Dekarbonisierung vorangeht, obwohl, na klar doch, es „immer noch nicht genug ist“.

Ich glaube, dass jeder Einzelne von uns eine Mit-Verantwortung für die Hoffnung hat. Und das heißt: auch für seine Wahr-Nehmungen. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, sich dem ewigen Jammern und Klagen, dem Ver-Meinen und Negativieren, der Weltverderbung, die regelrecht zu einer Seuche geworden ist, zu verweigern.

Was uns weiterbringen würde, ist eine bestimmte Form von nicht-naivem Optimismus. Von aufgeklärter Zuversicht. Die schottische Daten-Analystin — (sie arbeitet bei der Datenplattform ourworldindata.org) Hannah Ritchie nennt das den „hartnäckigen Optimismus“.
Oder DRINGENDEN Optimismus.
Oder würdigen Optimismus
Verantwortungsvollen Optimismus
Oder auch WÜTENDEN Optimismus (Copyright: mein Sohn Tristan).
Einen Optimismus, der etwas aushält. Der sich nicht bei jeder Gelegenheit verunsichern lässt. Und nicht jedes Weltuntergangsgerücht nachplappert und dadurch verstärkt.
Eine Art Zukunfts-Resilienz.

Apokalypse heißt wörtlich übersetzt „Offenbarung“. Nicht Untergang.
Ebenso wie „Krise“ nicht „Ende der Welt“ bedeutet.
Sondern Übergang.

Am Anfang von „Leave the World Behind“ befindet sich jedes der vier Familienmitglieder in einer eigenen Blase. Alle sind irgendwie an sich selbst und an den anderen gescheitert. Die Frau am Mann, der Mann an sich selbst, die Kids sind in ihren Screens gestrandet.
Je mehr die Auflösung des Gewohnten voranschreitet, desto mehr werden jedoch die Schichten der Entfremdung abgelöst. Im Ernstfall kommt das wahre Menschliche wieder zum Vorschein. Es entsteht wieder Beziehung.

„Wenn wir Menschen schon alle so schrecklich sind – sollten wir nicht gerade deshalb versuchen, besser miteinander auskommen?“ sagt Julia Roberts in einem erleuchteten Moment.

Im Zivilisations-Untergang versammeln sich die Tiere neugierig um die Menschen, die nun keine Gefahr mehr darstellen. In der Apokalypse ordnen sich die Dinge neu und überraschend. Die Gestrandeten des Untergangs merken, wie viel sie einander bedeuteten. Wieviel ihnen die Welt bedeutet. Wie sehr es sich lohnt, füreinander und miteinander zu sein. IN der Welt zu sein.

Wie wichtig es ist, den Zynismus, die digitale Einsamkeit, die innere Selbstverdammung, hinter sich zu lassen. Das ist das Wunder der Verwandlung.

Der Schluss des Films ist rätselhaft wie das Leben selbst. Nur so viel: Es geht um Hoffnung. Um das, was alleine die Zukunft möglich macht: Zusammengehörigkeit.

P.S.: Hier noch ein Lesetipp fürs neue Jahr:

Hannah Ritchie: Not the End of the World
How we can be the first Generation to build a sustainable Planet.
Erscheint am 11. Januar auf Englisch.
Im März auch auf Deutsch, unter dem schönen Titel: „Hoffnung für Verzweifelte“