120 – Angst vor dem Faschismus

Müssen wir Angst vor dem Faschismus haben?

Aufruf zur konstruktiven Verachtung

„Oh it’s very simple. My secret had been I know what to ignore.“
Francis Crick, Nobelpreisträger

Fragen, die mit „müssen wir…?“ beginnen, sind Scheinfragen. Sie erzeugen suggestive Zustimmungen. Indem man die Frage so stellt, beantwortet man bereits mit JA. Deshalb werden solche Angst-Haben-Müssen- Fragen gerne in Talkshows benutzt, um Angststimmungen anzuheizen.

„Ist es nicht so, dass unsere Demokratie längst verloren ist?“
„Ist es nicht so, dass die ökologische Transformation sowieso keine Chance mehr hat – und die Grünen sowieso das Letzte sind?“

Merken Sie, wie ihr Hirn, ihr MIND, affirmativ reagiert?
Hm, da ist was dran…
Wenn es schon so gefährlich ist…
Dann bin ich auch dieser Meinung…

Man nennt das auch die negative Fragebejahung. Mit ähnlichen suggestiven Methoden arbeiten übrigens auch Rechtsradikale:
Seid ihr nicht alle auch der Meinung, dass die da Oben alle Gesindel sind, die weggejagt gehören!!?“
Grölen! Hurra!

Fragen wir also anders: Hat der Faschismus in Zukunft überhaupt noch eine Chance?
Diese Antwort lautet schlichtweg: nein.

Wenn wir von „Faschismus“ sprechen, beziehen wir uns auf den Faschismus, den, den wir aus Schwarzweiß-Filmen kennen. Die im Gleichschritt marschierenden, heroischen (Männer-)Massen. Die totale Formierung einer Gesellschaft. Die Entfesselung menschenfeindlicher Gewalt.

Faschismus ist die Formierung von Gesellschaften zu einer amorphen Masse, nach dem Prinzip des Führerkultes und der fanatisierten Unterordnung von Millionen Menschen. Dazu braucht man ein gewaltiges und gewalttätiges Potential, eine kaputte Gesellschaft, und ein mächtiges, heroisches Narrativ. Man benötigt Feind-Narrative, die die Bereitschaft des Opferns und des Hasses in übermächtiger Weise ansprechen. Faschismus endet immer im Krieg, in der Zerstörung, in der mörderischen Aggression. Das ist sozusagen seine Seele.

In manchen historisch traumatisierten Gesellschaften wie Nordkorea und (teilweise) Russland kann eine solche gesellschaftliche Regression noch funktionieren. Aber unsere Lebensweisen, unsere Denk- und Fühlformen, sind heute völlig andere als vor hundert Jahren. Wir leben in einer offenen, liberalen, allen Unkenrufen entgegen auch ziemlich solidarischen Gesellschaft. Einer Kultur, die sich auf vielen Ebenen individualisiert und befreit hat von vielen alten Dumpfheiten und Dummheiten.

Das Problem ist nur, dass wir das selbst nicht mehr glauben. Wir zweifeln gerade an alledem. Wir trauen uns selbst nicht mehr, und unsere Ansprüche sind so hochgewachsen, dass wir mit Schwierigkeiten nur noch schlecht zurechtkommen. Wir neigen zur Paranoia. Und genau das ist die Hebelwirkung bösartiger Populisten. Sie versuchen, den Selbstzweifel zu schüren, uns zu zermürben in unserem Selbstverständnis, unserem Zukunftsvertrauen. Was ihnen mit Hilfe der Medien und einer Politik der Angstmachung leider ziemlich gut gelingt.

Das Einzige, womit Faschisten an die Macht kommen könnten, ist die Hypnosekraft der Angst. Donald Trump arbeitet ausschließlich mit Angst und Erniedrigungen. Er schreit, er tobt, er droht, er beleidigt. Das funktioniert so gut, weil es in er amerikanischen Gesellschaft viele Menschen gibt, die an einem Gloriositäts-Syndrom leiden. Sie sehen in Trumps Toben und Lügen eine Stärke, die sie selbst gerne hätten. Mit allem durchkommen und immer gewinnen!

Aber weder ist Donald Trump ein Faschist, noch ist die amerikanische Gesellschaft „faschistisierbar“. Selbst ein Republikaner, Geoff Duncan aus Georgia, sagte: „Trump hat den moralischen Kompass eines Axtmörders.“ Axtmörder sind schlechte Diktatoren. Trump ist ein hoffnungsloser Narzisst, ein Clown, ein Versager seines eigenen Lebens, und die US-Gesellschaft mag gespalten sein, aber sie lässt sich kaum zu marschierenden Massen formieren. Ihr innerer Kern ist der Individualismus; auf eine manchmal exzessive Weise, die aber auch einen liebevollen Gegenkern hat: Freundlichkeit und menschliche Kooperation.
Der Ballon Trump wird zerplatzen. Oder eher mit einem hässlichen Ton in sich zusammenschrumpfen.

Die wirkliche Gefahr für unsere Zukunft besteht in einer „thymotischen Gesellschaft“ (Sloterdijk). Einer Gesellschaft, die nur noch in Wut und Angst um sich selbst kreist, sich in narzisstischen Streits verliert. Davon sind wir, auch mit Hilfe eines großen Teils der Medien, leider nicht mehr weit entfernt.

Das SCHÖNE, das wir jedoch in den letzten Wochen in Deutschland erleben konnten, war ein demonstrativer Widerstand, der sich nicht (oder wenig) ängstigte. Die großen Demokratie-Demonstrationen überall im Land hatten einen überwiegenden Ton der Freude. Der Positivität. Des Selbst-Bewusstseins. Weil viele Menschen zusammenkamen, die auch wussten, WOFÜR sie sind.
Vieles gelingt. Vieles ist möglich. Bei manchem stehen wir uns nur selbst im Weg. Oder es ist eben schwierig. Es ist keine Schande, schwierige Probleme, nicht sofort lösen zu können. Das ist eine gute Grundeinstellung, um dem rechtsradikalen Dämon seine Dynamik zu nehmen.

Faschisten und bösartige Populisten haben vor allem vor EINEM Angst: Dass die Menschen sich nicht vor ihnen fürchten. Deshalb müssen sie immer lauter schreien. Wir sollten dagegen den Mut haben, die konstruktive Verachtung zu üben. Konstruktive Verachtung besteht in einer Verbindung von Angstverweigerung und einem beharrenden Stolz, der sich nicht verunsichern lässt. Einer ansteckenden Festigkeit der Zuversicht.

Der New York Times-Kolumnist David Brooks brachte die Haltung der konstruktiven Verachtung so auf den Punkt:
I try to be a reasonable person. I try to be someone who looks out in the world with trusting eyes. Over the decades I’ve build up certain expectations about how the world works and how people behave. And I’ve found that Donald Trump has confounded me at every point.
I’d rather not let him infect my brain. I’d rather not let the guy alter my views of the world. If occasional naivety is the price for mental independence from Trump, I’m willing to pay it. I don´t want to see him, minute to minute, to take up residence in our brains.
Trump is a Tyrant. As Aristoteles observed, tyranny is about arbitrariness. When a tyrant has power, there is no rule of law, there is no governing order. There is only the whim of the tyrant. There is only his inordinate desire to have more than his fair share of everything. The categories we use to evaluate the World lose their meaning – cruelty and kindness, integrity and corruption, honesty and dishonesty, generosity and selfishness, lie and truth. We should forget the idea that there should some connection between the beliefs you have and the words that come out of your mouth.“

„Ich versuche, ein vernünftiger Mensch zu sein. Ich versuche jemand zu sein, der mit vertrauensvollen Augen in die Welt blickt. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich bestimmte Erwartungen darüber aufgebaut, wie die Welt funktioniert und wie sich die Menschen verhalten. Und ich habe festgestellt, dass Donald Trump mich in jeder Hinsicht verwirrt hat.
Ich möchte lieber nicht zulassen, dass er mein Gehirn infiziert. Wenn gelegentliche Naivität der Preis für die geistige Unabhängigkeit von Trump ist, bin ich bereit, sie zu zahlen. Ich möchte nicht von Minute zu Minute sehen, dass er sich in unseren Gehirnen festsetzt.
Trump ist ein Tyrann. Wie Aristoteles feststellte, geht es bei der Tyrannei um Willkür. Wenn ein Tyrann die Macht hat, gibt es keine Rechtsstaatlichkeit, keine herrschende Ordnung. Es gibt nur die Laune des Tyrannen. Es gibt nur seinen übermäßigen Wunsch, von allem mehr als seinen gerechten Anteil zu haben. Die Kategorien, die wir zur Bewertung der Welt verwenden, verlieren ihre Bedeutung – Grausamkeit und Freundlichkeit, Integrität und Korruption, Ehrlichkeit und Unehrlichkeit, Großzügigkeit und Egoismus, Lüge und Wahrheit. Die Idee, dass es einen Zusammenhang zwischen Ihren Überzeugungen und den Worten geben sollte, die aus Ihrem Mund kommen, sollten wir vergessen.“

David Brooks, The New York Times, Juni 2023, „I Won’t let Donald Trump Invade My Brain“