111 – Der Prime Radiant
Über einen Zauberwürfel der Zukunftsforschung und das „Prophetische Paradox”
Kann man über oder MIT Science-Fiction Zukunftsforschung betreiben? Gibt es BEZIEHUNGEN zwischen den visionierten Welten der Sci-Fi und inspirierenden Denkmodellen der Zukunfts-Prognostik?
Wenn Sie das irgendwie interessiert, dann empfehle ich Ihnen die Science-Fiction-Serie FOUNDATION, die gerade bei Apple-TV läuft. In diesem Epos, das sich über tausende von Jahren erstreckt – ein unfassbar verschachteltes Konvolut von Meta-Historie, das gegenüber Star Trek bieder wirkt -, spielt ein Zukunftsforscher die Hauptrolle. Hari Seldon ist ein Wissenschaftler, der „die Zukunft“ voraussagen kann. Alle Informationen dazu hat er in einem Art Zauberwürfel abgespeichert, dem PRIME RADIANT. Man ÖFFNET den Prime Radiant, der nichts anderes ist als ein Quanten-Hypercube (ein vierdimensionaler Quantencomputer, der eine dreidimensionale Welt simuliert), indem man ihn in einer bestimmten Reihenfolge antippt und dreht. Dann entspringen ihm lange Fäden von „Werdens-Evolutionen“; Datenwolken von verbundenen Evolutionen, die langsam im Kreis rotieren. Man kann dann die Verzweigungen der Zeitstränge sehen, die Krisen in blutigem Rot, die Sprünge des Fortschritts in leuchtendem Blau.
Für Anspruchsvolle hier eine Erklärung: de.wikipedia.org
So etwa denken und „ticken“ wir Zukunftsforscher. Naja, ungefähr.
FOUNDATION handelt vom Aufstieg und Untergang eines galaktischen Imperiums, das von Klon-Herrschern regiert wird – immergleichen, die generativ nachwachsen. Bruder Morgen, Bruder Mittag, Bruder Abend wechseln sich in den Herrschaftsgeschäften immer wieder ab. Damit werden Fragen von Evolution und Lernvermögen angesprochen. Können Herrschaftsformen, die immerzu DAS GLEICHE reproduzieren, überleben? Das fragt man sich manchmal, wenn man Kim Jong Un im Fernsehen sieht, oder Putin. Sind die auch geklont? Irgendwie schon …
Natürlich ist der Prime Radiant eine Fiktion, und niemand von uns Zukunftsforschern hat ein solches Gerät. Aber es ist ein fiktionaler Gegenstand mit einer hohen „Realitätskompetenz“. Immer schon hat man versucht, die Zukunft in Computern abzubilden und zu modellieren. Was immer schiefging. Aber wenn man Daten UND psychologisch-menschliche Reaktions-Prozesse kombiniert, dann kann man tatsächlich in gewisser Weise „in die Zukunft sehen“. Zumindest in den Möglichkeitsraum des Kommenden mit seinen Myriaden von Verzweigungen und Wahrscheinlichkeiten.
FOUNDATION wurde von einem alten Genie der Science Fiction bereits im Jahr 1951, vier Jahre vor meiner Geburt geschrieben. Asimow war ein unfassbarer Universalist, ein Hyper-Denker mit wirklich erstaunlichen Fähigkeiten, der in Quantenphysik, Massenpsychologie, Kybernetik und noch tausend anderen Disziplinen bewandert war. Auch das verbindet ihn mit uns Zukunftsforschern, die wir versuchen, interdisziplinär die Zukunft und ihre RÜCKWIRKUNGEN zu ergründen.
Es geht in FOUNDATION auch um das „Prophetische Paradox“, ein Phänomen, mit dem wir in der Zukunftsforschung immerzu konfrontiert sind. Es lässt sich auf den Begriff der „normativen Aussage durch selbsterfüllende Prophezeiung“ zurückführen. Jede Aussage über die Zukunft wird, wenn sie „geglaubt“ wird, zu einem zukunftsformenden Phänomen. Die Essayistin und Theaterautorin Sara Ruhl formulierte das so:
„Narrative is an accumulation of knowledge about the future.“
Foundation zeigt, wie die Realität in eine „seltsame Schleife“ einbiegt, wenn sie in den Bann einer Prophezeiung gerät – und sich sozusagen in den Schwanz beißt. Das Imperium – die Herrschenden – fürchten sich so vor der Prophezeiung Seldons (dass das Imperium untergehen wird und eine tausendjährige Zeit von Tod und Terror beginnt), dass sie dieses Ergebnis durch ihre eigenen Handlungen HERSTELLEN. Shakespeare lässt grüßen. Hari Seldon wiederum, der „Prophet“, spielt genau mit diesem Effekt, indem er ihn bewusst gegen die Herrschaft einsetzt. Und sie dadurch zu Fall bringt.
Auf ähnliche Weise ist vor 1600 Jahren wahrscheinlich das römische Reich untergegangen – durch Selbst-Prophezeiung.
Die Quantentheorie sagt uns, dass es Dinge gibt, die es gibt und doch nicht gibt. Wer jemals von „Schrödingers Katze“ gehört hat, weiß, was ich meine. Die Wissenschaft der PSYCHOHISTORIK, die in FOUNDATION die Hauptrolle spielt, ist auf geheimnisvolle Weise eine PROTOWISSENSCHAFT. Eine künstliche Wissenschaft, die es „eigentlich nicht gibt“, die sich aber auf ominöse Weise immerzu weiterentwickelt (etwas Ähnliches, in sehr bescheidenem Maßstab, ist mir in den 80er Jahren mit dem „Bebraismus“ gelungen).
Bebraistik ist die Lehre von der Schönheit und Wirksamkeit und Kraft des Hässlichen, Nicht-designten, Rückständigen, Nicht-Zukünftigen. Siehe www.horx.com/archive/80-er/
Im Internet kursieren jedenfalls eine Menge von interessanten bis abgedrehten Schaubildern und Charts, die die verschiedenen Aspekte der Psychohistorik beschreiben. Eine fiktive Wissenschaft aus einem Science-Fiction-Epos mutiert zu einer eigenständigen Denk-Disziplin – das ist schon ziemlich ungewöhnlich.
Das noch verrücktere ist, dass die „Wissenschaft“, die Hari Seldon in dieser Fiktion verkörpert, etwas sehr Realistisches hat. Sie nennt sich PSYCHOHISTORIK und berechnet die Zukunft aus den voraussichtlichen REAKTIONEN von Menschen auf Ereignisse und Entwicklungen. Dabei macht sie sich – wie beim Verhältnis von Wetter und Klima – zunutze, dass individuelles Verhalten zwar nicht „berechnet“ werden kann, die Massendynamik von Millionen oder Milliarden Menschen aber schon.
Hari Seldon im O-Ton:
„Ich kann das Schicksal eines einzelnen Menschen nicht voraussagen. Aber ich sehe die Menschen. Ich sehe sie sehr genau. Sie alle machen die Zukunft, jeder Einzelne. In Quadrillionen Entscheidungen.“
Könnte man das nicht auch für so viele Prozesse unserer Zeit sagen? Dass diese von MASSENPSYCHOLOGIE geprägt sind, wobei der einzelne Mensch keine Rolle spielt, aber die kollektive menschliche Dynamik ALLES ist?
Man denke an den Ukrainekrieg …
Oder den bösartigen Populismus in der Politik …
Sehen Sie sich hier unten einige Schaubilder und Charts der PSYCHOHISTORIK an, die im Internet kursieren. Es gibt sogar FACHBÜCHER darüber. Fake oder Wahrheit? Ernst oder Scherz? Manchmal sind solche Unschärfen richtig interessant. Vielleicht hat die Zukunft längst angefangen und wirkt über Fiktionen zu uns zurück. Vielleicht leben wir selbst in einer seltsamen Schleife, die sich ständig in den Schwanz beißt. Oder sind in ein galaktisches Rabbithole gefallen. Ein Kontinuum, wo alles wiederkehrt, aber sich trotzdem nichts wiederholt … Wie kann das sein? Genau das wollen wir herausfinden …
Ansonsten gibt es in FOUNDATION auch wunderbare Planetenbilder und grandiose Weltraumschlachten, Androiden, Rebellen, kampfstarke Frauen und schwule Kommandanten. Und einen Raumschifftypus, der einfach unschlagbar sexy ist: Imperiale Sprungschiffe! Dagegen kommen intergalaktische Gurkenschiffe wie eine Star-Wars-Falcon nicht an …
Ich verspreche, das war meine letzte Sci-Fi-Besprechung.
Weitere werden vielleicht trotzdem folgen.
Der Ausdruck „Noumena“ kommt bei Sextus Empiricus vor und bezeichnet dort „das Gedachte“, (mit dem Nous als zugeordnetem Vermögen) im Gegensatz zum den Sinnen Erscheinenden, den φαινόμενα.
Periodicals in the Collection
- Journal of Psychohistory, Volume 33, No. 2, Fall 2005 – The Psychology and Theocracy of George W. Bush
- Journal of Psychohistory, Volume 33, No. 1, Summer 2005 – Peace Counseling: A New Profession
- Journal of Psychohistory, Volume 32, No. 4, Spring 2005 – Ending Child Abuse
- Journal of Psychohistory, Volume 32, No. 3, Winter 2005 – The New 9/11 Scandal
- Journal of Psychohistory, Volume 21, No. 2, Fall 1993 – Group-Fantasies of World Collapse