112 – KINDNESS ECONOMY. Das neue Wirtschaftswunder

Gibt es eine andere Ökonomie? oder: Aufbruch ins Symbiozän

Das Vorwort von Matthias Horx zum Buch von Oona Horx Strathern „Kindness Economy”

Existiert eine Alternative zum »Kapitalismus«? Diese Frage spielte in meiner Jugend eine wichtige, geradezu existenzielle Rolle. In meiner Universität tummelten sich ungefähr 20 marxistische Gruppen: Marxisten, Leninisten, Trotzkisten und alle ihre bizarren Abspaltungen, die sich auf irgendeinen ganz besonderen oberschlauen Theoretiker bezogen. Sie bekämpften sich wütend gegenseitig, bezichtigten sich unentwegt als Verräter, marschierten aber stets gemeinsam gegen den Kapitalismus.

Gottseidank hat es damals mit der Abschaffung des Kapitalismus nicht so ganz geklappt. Denn immer dann, wenn man den Kapitalismus abschaffte, kam sofort die nächste Diktatur, das nächste brutale Regime zum Vorschein. Bis heute ist das so, und es scheint nicht aufzuhören.
Irgendwann haben wir verstanden: Abschaffen alleine bringt nichts. Es ist sogar ziemlich dumm. Aber irgendwie ist die Sache mit dem »Kapitalismus« nie so ganz geklärt worden. Und heute wird sie wieder heiß diskutiert.

Ich setze »Kapitalismus« immer in Anführungsstriche, weil es sich um eine Worthülse handelt, mit der man Unheil anrichten kann. Was ist das eigentlich? Die »Herrschaft der Wallstreet«, wie es jetzt die ganz Linken und ganz Rechten im gleichen Tonfall herbeten? Die Börsenspekulation,
die 2009 zur größten möglichen Bankenkrise führte? Die Tatsache, dass Mieten (auch mal) steigen? Der Eigentumsbegriff? Man kann sich fürchterlich in solche Reizworte hineinsteigern und dadurch die Sicht auf die Welt verengen. Sind die eher sanften Sozialstaaten des Europäischen Nordens »kapitalistisch«? Gibt es nicht auch so etwas wie eine ausgleichende, kreative Marktwirtschaft? Oder regiert überall nur der finstere »Neoliberalismus«, der sein blutiges Haupt immer wieder aufs Neue erhebt?
Ist Kapitalismus die Herrschaft der »bösen Ökonomie«? Und wie verhält sich beides in Richtung Zukunft?

Dieses Buch von Oona, meiner klugen und zukunftsgewandten Frau, stellt eine interessante These in den Raum der Möglichkeiten: Könnte, so fragt dieses Buch, eine Ökonomie auch freundlich sein? Auf menschlichen Begegnungen und Verbindungen basieren? Könnte Ökonomie eine Art Evolution durchlaufen, in der sie ihre innere Logik verändert?

Unmöglich, sagt die Phalanx derjenigen, die die Welt in ordentliche Kästen und Ideologien eingeteilt haben. Ökonomie muss immer kalt, starr, funktional, ausbeuterisch sein. Das ist ihr Wesen. Sie muss unterdrücken und ausbeuten und »ungerecht« sein, sonst gäbe es ja kein Wachstum und keinen Wohlstand…

Wie sagte der unlängst verstorbene weise Intellektuelle Hans-Magnus Enzensberger so schön?
»Geld allein macht nicht unglücklich.«

Wenn man mich fragen würde, was am meisten zu einer besseren Zukunft beitragen könnte dann würde ich zwei Wörter wählen. Oder besser drei: Freundlichkeit, Zugeneigtheit, Respekt.
Alle drei Begriffe sind im englischen Begriff »Kindness« vereint; ich beneide meine Frau immer um ihre englische Muttersprache, wo Komplexes und Emotionales ungleich eleganter ausgedrückt werden kann.

Ist es nicht das, was uns in der überheizten, überreizten, digitalbeschleunigten, zur Atomisierung neigenden Erregungs-Gesellschaft unserer Tage am meisten fehlt? Was, wenn man so will, einer riesige Marktlücke, die auch eine Gesellschafts-Lücke ist? Zu-Neigung. Das Interesse am anderen. Die Kraft, und Kompetenz, sich miteinander zu beschäftigen, aufeinander zuzugehen, konstruktiv zu kooperieren statt sich ständig anzuschreien…

»Märkte sind Konversationen«, lautete vor nahezu 20 Jahren, am Beginn der digitalen Umformung, der Titel des »Cluetrain«-Manifestes, ein von Digital-Idealisten veröffentlichter Zukunfts-Aufruf. Man sah damals im Potenzial des Digitalen eine neue humane Marktwirtschaft aufdämmern, in der Menschen, Kunden, Mitarbeiter neue emanzipative Rollen einnehmen würden. Seitdem hat es viele Desillusionen gegeben. Das Digitale hat Menschen weniger zusammengeführt als getrennt, es hat dem Turbo-Kapitalismus (lassen wir hier mal die Anführungsstriche weg) eher noch einen Turbo draufgesetzt.

Aber gleichzeitig ist in den letzten Jahren etwas geschehen, was wir weitgehend ignorieren. Oder erst in der Corona-Zeit langsam erahnt haben: Es verändert sich etwas Substanzielles in der Arbeitswelt, von innen heraus, in den Firmenkulturen. In den neuen, jüngeren und weniger männlichweißen Führungsetagen. Neue Generationen stellen den »Old Deal« infrage, und zwar von unten und von oben. Die alten Arbeitsformen des Industrialismus, die geschlechtergetrennte Nine-to-five-Logik, bricht auf. In gewisser Weise vertauschen sich sogar die Machtpositionen im Herzen der Ökonomie: von Kapital zu Arbeit. Die wahre knappe Ressource der Zukunft ist die menschliche Arbeitskraft. Aber nicht mehr im Sinn funktionaler Einpassung in funktionsteilige Maschinen. Sondern als Können und Wollen.

Das, was man »Arbeitsethos« nennt, verändert sich von der reinen Leistungsbereitschaft zur Sinnforderung. »Was hat dieses Unternehmen mir zu bieten?«, heißt es heute. Statt »Wo bekomme ich noch einen Arbeitsplatz?«.

Im Zentrum dieser beginnenden Transformation steht die größte ökonomische, technologische, politische Herausforderung unserer Epoche: die »Blaue Revolution« – der Übergang von einer auf fossilen Rohstoffen und Ausbeutung der Ressourcen (auch der Humanressourcen) basierenden Wirtschaft zu einem Zivilisationsmodell des Ausgleichs.

Die Kindness-Ökonomie ist eine Wirtschaftsweise, in der das Verhältnis eines »Unternehmens« (ob klein, groß, Mittelständler oder Einzelunternehmer) zur Natur, zur Gesellschaft und zur Zukunft eine viel größere Rolle spielt als im alten industriell-fossilen Modell. Früher wurden gesellschaftliche Themen in den Hinterzimmern der Chefetagen besprochen. Heute gibt es keinen CEO mehr, der sich nicht zu den Ver-Antwortungen seines Unternehmens öffentlich verhalten muss. Wofür steht das Unternehmen? Was sind seine Werte? Was hat es vor, um Antworten auf die Gegenwartskrisen zu finden? Was sind seine Lösungsangebote?

Kindness-Ökonomie benennt eine Wirtschaftsweise, in der man den Kunden, oder Konsumenten, nicht nur als »Verbraucher« wahrnimmt. Sondern auch als Freund. Den man womöglich sogar kritisieren darf, ja muss. Indem man ihm zu Beispiel ein Produkt anbietet, das sinnvoller ist als das, was er gewohnt war. Nachhaltiger. Schöner nicht nur im Sinne der Verpackung. Intelligenter im Zukunfts-Kontext.

Man spürt genau, ob ein Unternehmen im Sinne dieser neuen Verantwortung tickt. Oder ob es nur trickst. Nebelkerzen verschießt. Aber dabei auf dem alten Prinzip des »Mehr um jeden billigeren Preis« (statt besser) beharrt. Mit anderen Worten: sich der Transformation, die längst begonnen hat, verweigert.

Unsere Aufgabe als Zukunftsforscher-Paar und Zukunfts-Familie sehen wir darin, Möglichkeitsräume zu eröffnen und zugänglich zu machen. Dabei geht es auch um Begriffe, die uns die Zukunft entschlüsseln können . Wir leben im Anthropozän. In der »Herrschaft des Menschen« über den Planeten. Oona hat für das Zeitalter, das dahinter auf uns wartet, den Begriff »Symbiozän« gefunden. Das Wort handelt von einem anderen Denken, Fühlen und Handeln. In Zusammenhängen statt Spaltungen. In Möglichkeiten statt »Problemen«. In Verbindungen und konstruktiver Zuversicht. Ein bisschen (irischer) Humor ist unerlässlich. Und eine ordentliche Portion Gelassenheit. Versuchen Sie es einmal. Es wirkt. Es geht ganz leicht. Man muss nur einfach damit anfangen.

Hier können Sie einen Blick in das Buch werfen:
www.book2look.com

Das Buch „Kindness Economy“ von Oona Horx Strathern erscheint am 26.09.2023 und ist erhältlich bei: