113 – Die Politik der Ermöglichung
Das Drama der Grünen – und was wir daraus für die Zukunft lernen können
Geht es Ihnen auch so? Dass Sie es kaum noch aushalten können, was derzeit mit den Grünen geschieht? Da gab es einmal eine Partei, die Hoffnung auf Veränderung machte. Die für die großen Zukunfts-Themen stand, die uns alle betreffen und bewegen: Umwelt, Menschenrechte, der Idee eines anderen Wohlstands als das Immer-mehr der Konsumgesellschaft. Ist so eine Partei nicht unbedingt nötig, ja existentiell für die Zukunft, gerade in unserer krisenhaften und welterhitzten Zeit?
Und haben die Grünen nicht viele Dinge auch ziemlich gut gemacht? Haben sich von alten Dogmen verabschiedet, sind pragmatisch geworden, in vieler Hinsicht doch ziemlich erwachsen?
Und jetzt dieses Desaster.
Die Grünen sind in eine Zwickmühle geraten, aus der sie nicht mehr herauskommen. Grüne Politiker werden in Wahlkämpfen nicht nur angegrölt, bespuckt und inzwischen auch mit Wurfgeschossen beworfen, sie werden gehasst, in unfassbarer Weise beleidigt und erniedrigt. An ihnen kann sich inzwischen eine breite Phalanx von Populisten, von den Neuen Nazis über die populistischen Teile der CDU/CSU und FDP bis zu den Neo-Marxisten à la Wagenknecht, abarbeiten. Einschließlich der Medien, die genüsslich das Lied von den Grünen Versagern mitsingen. Nicht nur an jedem Stammtisch, auch in jeder Talkshow regiert die antigrüne Häme.
Das hält niemand auf die Dauer aus.
Das geht längst an die Existenz.
Aber wie kommt man da raus?
Ich fürchte, dass das auch nicht mit der Methode Habeck funktionieren wird. Es ist bewundernswert, wie beherrscht und demütig sich der Wirtschaftsminister zeigt, wie er souverän jedes Beleidigtsein, jede Gekränktheit von sich weist. Aber das grenzt fast an eine Art Unterwerfungserklärung an einen parasitären Journalismus, der jede Schwäche bis zur Neige ausbeutet.
Politik handelt eben auch von Macht. Von Autorität in einem positiven Sinne. Man manövriert sich früher oder später ins politische Nirvana, wenn man immer nur seine verwundbaren Stellen zeigt.
(Ich würde übrigens genauso argumentieren, wenn es sich um PolitikerInnen der SPD, FDP oder CDU handeln würde. Ich bin demokratischer Wechselwähler und habe eine Grundsympathie gegenüber demokratischen Politikern.)
Wie aber ginge es anders?
Schauen wir nach Frankreich. Dort hat Macron kürzlich ein „ökologisches Beschleunigungsprogramm“ verkündet. Das neue Dekarbonisierungs-Gesetz hat drei Punkte:
„Wir werden in Frankreich pro Jahr eine Millionen Wärmepumpen bauen und mindestens eine Million Elektroautos.“
„Wir werden ab nächstem Jahr Elektroautos für eine monatliche Leasinggebühr von 100,- Euro bereitstellen.“
„Wir werden die Klimaziele früher erreichen als andere Länder und dabei zum Technologieführer werden.“
„Ökologie à la française“: Das ist so ziemlich das Gegenteil des deutschen Heizungsgesetzes. Macron appelliert sowohl an den Innovations-Sinn der Bürger wie an den Nationalstolz. Je weniger fossile Energien Frankreich braucht, desto souveräner wird das Land. Auf diese Weise entsteht ein konstruktiver Sog des Stolzes, und sogar eine Dynamik des Neides. Man möchte dem Nachbarn nicht alleine seine Wärmepumpe gönnen. So wird die Klimawende zu einer Bewegung, bei der man gerne mitmachen will. Weil man sich sonst blöd und rückständig vorkommt.
Man kann jetzt natürlich meckern, dass Frankreich Atomkraftwerke hat (Deutschland hat dafür sehr viel mehr Erneuerbare). Oder irgendetwas anderes ideologisch beanstanden. Man kann aber auch verstehen, worum es eigentlich geht: um einen „semantic shift“, einen Wandel der politischen Semantik. Macron hat das Desaster der deutschen Grünen ebenso intensiv studiert wie den Aufstand der Gelbwesten in seinem eigenen Land. Er hat verstanden, wie man „Affektive Polarisierung“ – ein Begriff des Soziologen Steffen Mau – möglichst verhindern kann. Durch eine kluge Ermöglichungs-Politik, die „von vorne“, aus der Zukunft heraus, motiviert.
Erinnern wir uns an Zeiten, in denen die Grünen erfolgreich waren. Damals waren sie auf ihre eigene Art und Weise „populistisch“. Aber positiv populistisch. Der Wandel, den sie verkörperten, war mit Zugewinn, Verbesserung, Hoffnung verbunden. Let’s do it! Es gab eine Veränderungsbereitschaft in der Gesellschaft, die von den Grünen aufgegriffen und verstärkt wurde.
Diese Veränderungsbereitschaft gibt es heute noch. Allem rechten Getöse zum Trotz.
Wie konnte es zum Beispiel gelingen, dass Schwule heute weitgehend in der Gesellschaft angekommen sind? Dass es schließlich die CDU war, die die Gesetze zur „Ehe für alle“ durchsetzte?
Um die Jahrtausendwende vollzog die Schwulenbewegung (zunächst in den USA) einen Strategiewechsel. Statt weiter mit wütenden Protesten auf „Rechte“ und „Akzeptanz“ zu pochen, also die Gesellschaft mit moralischem Druck zu konfrontieren („Liebt uns gefälligst!“), codierten die Aktivisten die Bedeutungskontexte um. Große Anzeigen erschienen in den Medien, in denen schwules Leben als Beziehungsleben gezeigt wurde. Mit der Möglichkeit zur Treue und Verbindlichkeit, wofür das Recht auf Hochzeit stand. Auf diese Weise war Homosexualität plötzlich nicht mehr das Bedrohliche, Fremde, das Rechte provokativ „einforderte“, sondern das „Familiäre“, Vertraute, das Rechte verdiente. Es entstand ein Inklusions-Code: Wir sind so wie ihr (oder wie ihr sein wollt). Wir sind Teil eines größeren, gemeinsamen Wertes.
Dieses recoding ist das Geheimnis von Politik im 21. Jahrhundert.
Der Grüne und der Blaue Code
Umwelt- und Ökologiethemen, gerade der Diskurs über den Klimawandel, sind heute immer noch in einem „Schuld-Moral-Kreislauf“ gefangen. In einem Deutungsmuster, in dem Kategorien wie Verlust, Mangel, Verzicht, Angst dominieren. Das führt geradewegs in Deutungs- und Kulturkriege, die dem bösartigen Populismus in die Hand arbeiten.
Wir haben uns deshalb in der systemischen Zukunftsforschung bemüht, einen anderen „Zukunfts-Code“ für das Ökologische zu entwickeln. Wir nennen diesen den „Blauen Frame“ (siehe die Studie: DIE KLIMA-REGNOSE). Im Gegensatz zum GRÜNEN Frame, also dem Rahmen der „Ökologie als Verlust“, wird hier die ökologische Wende als ein MÖGLICHKEITSraum dargestellt.
Die postfossile Wende wird nicht als Notoperation zur Verhinderung des Untergangs dargestellt, bei der wir alle „draufzahlen“ müssen, sondern als Erweiterung menschlicher Möglichkeiten. Die Farbe Blau steht für Vision, für Technologie, Wasserstoff, die Atmosphäre der Erde, die Hoffnung. Für den Wandel sind dynamische Technologien, aber AUCH intelligente Systeme nötig. Das Resultat — eine ökologische Wende — ist nicht Mangel, sondern Fülle, Schönheit, Fortschritt.
Michael Braungart, ein Pionier der zirkulären Wirtschaft, hat den Begriff der „Intelligenten Verschwendung“ geprägt. Auch hier werden zwei scheinbar paradoxe Kategorien zu einer neuen Sinnhaftigkeit zusammengefügt. Wenn wir es richtig machen in der ökologischen Wende, wird es uns an nichts mangeln, weder an Materie, Rohstoffen noch an Energie. Die Sonne bringt uns jeden Tag eine Million Mal mehr Energie auf die Erde, als wir jemals verbrauchen können. Eine Kreislauf-Ökonomie ist eine Ökonomie der Üppigkeit. Der Fülle. Des WAHREN Wohlstands. Wir können gar nicht blöd genug sein, diese Möglichkeiten nicht zu ergreifen!
Die Wurst-, Fleisch- und Fossil-Propagandisten sehen in diesem Bedeutungs-Kontext plötzlich uralt aus. Und das fossile Genörgel der FDP wirkt irgendwie peinlich.
“
Bislang besteht der Erfolg der politischen Ökologie darin,
die Menschen in Panik zu versetzen, und sie gleichzeitig aus Langeweile zum Gähnen zu bringen. … So erklärt sich die Handlungslähmung, die sie oft hervorruft.
Bruno Latour, „Zur Entstehung einer ökologischen Klasse“
Natürlich kann man mit solchen Umdeutungen keinen eingefleischten reaktionären Benzinfan überzeugen (und auch keinen schuldgetränkten Öko). Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dem Wandel eine neue Sprache zu verleihen, in der er wieder attraktiv wird.
Die Grenzen des Moralismus
Natürlich versuchen die Grünen bereits, neue Allianzen zu schmieden, in denen Ökologie und Ökonomie konvergieren können. Aber dieser Versuch wird immer wieder in die Wirkungslosigkeit getrieben, weil die Grünen in ihrer Mehrheit immer noch im idealistischen MEM ticken. Sie glauben in ihrer Mehrzahl immer noch, dass Wandel durch Einkehr und die Durchsetzung moralischer Prinzipien entsteht. Deshalb wirken sie irgendwie verklemmt. Sie drucksen herum, und bei den wirklich großen Herausforderungen kommen sie immer zu spät.
Auch hier die Frage: Wie könnte es anders gehen?
Nehmen wir das Beispiel Dänemark. Dort hat die Premierministerin Mette Frederiksen nach Jahren der Krise der Sozialdemokratie und dem Wachstum der Rechtsradikalen eine neue Ausländerpolitik durchgesetzt. Ein Urteil ist schnell gefällt: Das ist „rechts“ und unmoralisch. Kurze Aufenthaltsfristen für Asylsuchende, kurze Ausweisungsfristen, Bildungszwänge für Ausländerkinder, Moderation von gettohaften Quartiersentwicklungen und so weiter. Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit? Wenn man ein wenig genauer hinschaut, ist es vielleicht ganz anders. In der Tat ist das deklarierte Ziel: weniger Immigration. Aber gleichzeitig: bessere Integration. Es gibt Verstärkungen von Integrationsleistungen, Bildungsinitiativen, bessere Wohnverhältnisse, sozialpolitische Unterstützung etc.
Die Dänen sind keineswegs rassistisch und inhuman geworden. Sie wissen auch, dass moderne Staaten ohne Immigration ihre Wirtschaft gar nicht aufrechterhalten können. Aber die dänische Regierung hat in langen politischen Kämpfen verstanden, dass chaotische Immigrationen, in denen Kriegsflucht, Wirtschaftsflucht und mafiöse Strukturen sich vermengen (was schließlich zu mörderischen Gangkriegen führen kann wie derzeit in Schweden), den Sozialstaat und die Demokratie gefährden. Putin macht längst erfolgreich Destabilisierungspolitik mit der Not-Migration. Soll man ihn einfach gewähren lassen? Die dänische Politik versteht, dass eine unmoralische Lücke in der Migration entsteht, die nicht nur den Rechtsradikalen Tür und Tor öffnet. Sie handelt nicht unmoralisch, sondern verantwortungsethisch.
(Wer sich mehr für das Entstehen dieser „neoethischen“ Politik interessiert, dem empfehle ich die fantastische Serie BORGEN, die die Evolution der skandinavischen Politik in den letzten 20 Jahren schildert).
Mal ehrlich: Was können wir ernsthaft gegen das Argument von Giorgia Meloni sagen, dass die Flüchtlinge im Mittelmeer bitte von jenen Staaten übernommen werden sollen, deren Flaggen die organisierten Rettungsschiffe tragen?
Die Grünen werden sich in dieser turbulenten Welt neu erfinden müssen. Das ganze politische Parteiensystem krempelt sich derzeit um. Die Kategorien von „links“ und „rechts“ diffundieren in atemberaubender Weise. Die CDU wird sich, so wie es aussieht, in einen populistischen und einen konservativ-liberalen Flügel zerlegen, wie die Christdemokraten in anderen Ländern es bereits getan haben. Neue Partial- oder „Bewegungsparteien“ werden aufsteigen und wieder absteigen. Diese „demokratische Turbulenz“ macht uns Angst, aber sie muss keineswegs in den Autokratismus oder die Wiederkehr des Faschismus führen. Demokratien sind resilienter als wir glauben. Sie können, ja sie müssen sich dauernd wieder(er)finden.
Ich würde mir wünschen, dass die Grünen zu diesem „Projekt demokratische Zukunft“ dazugehören. Vielleicht müssen sie dann gleich ganz auf die europäische Ebene wechseln. Oder sie müssen sich vom „Grün“ verabschieden, denn als „One-Issue“-Partei haben sie längst ihre Schuldigkeit getan. Vielleicht können sie in einem anderen „frame“ zu ihrer konstruktiven Energie zurückfinden. Zu ihrem Witz, ihrem Charme, ihrer zauberhaften Energie des Wandels – die Welt, Gesellschaft und Politik neu zu erfinden, lohnt sich immer. Zwickmühlen löst man nur von der Zukunft aus, auf die man sich einlässt.