121 – Hoffnung für Verzweifelte

Wie wir der apokalyptischen Denk- und Fühlfalle entkommen können

Kennen Sie Elmo? Elmo ist die kleine, freche kindliche Figur in der „Sesamstraße“, die immer sehr niedlich und freundlich über sich selbst und die Welt redet. Elmo entdeckt die Welt, und die Welt in sich selbst, immerzu mit kindlichem Staunen. ELMO ist das Kürzel für „Enough, Let’s Move On“.

Jetzt hat ELMO auf dem Hashtag #EmotionalWellBeing (bei X) eine ganz einfache Frage an das breite Publikum gestellt.
„WIE GEHTS EUCH ALLEN EIGENTLICH?”

Und das Netz explodierte:

  • „Elmo, ich bin deprimiert und pleite.”
  • „Ich wurde gerade entlassen.”
  • „Die Welt brennt um uns herum, Elmo.”
  • „Die Welt ist doch schon so kaputt, dass man gar nichts mehr fühlen kann.“
  • „Wir sind alle verloren!“
  • „Ich habe keine Lust mehr, in dieser Sch… Welt zu leben!“

Und so weiter, zigtausendfach.
Sogar Präsident Biden mischte sich ein. Und rief zur Solidarität auf. Solidarisch zeigte sich auch das Krümelmonster. Es schrieb: „Ich bin hier, um darüber zu reden, wann immer du willst. Ich werde auch Kekse liefern.“
Wie kann es sein, dass eine Kunstfigur, eine Puppe, einen derartigen „Sadstorm“ verursacht (im Gegensatz zum Shitstorm)?

Ich treffe derzeit immer mehr Menschen – jeden Alters, jeder Profession – die die Welt und die Zukunft vollkommen verloren geben. Sie sind in einer Grübel-Schleife gefangen, die immer mehr ins Apokalyptische tendiert. Nach einer neueren Umfrage glauben 54 Prozent der jüngeren Generation nicht nur in den westlichen Ländern, dass die Menschheit nicht zu retten ist.
Ich kann das verstehen. Als Zukunftsforscher habe ich noch keine Zeit erlebt, in der die Zukunft so an den Horizont verdrängt war wie heute. Die Krisen häufen sich, und sie hängen miteinander zusammen.

Andererseits gibt es auch viel Großartiges zu verteidigen. Und viel, was bereits in Gang ist, zu beschleunigen und zu verbessern.
Aber diese Umdrehung ins Konstruktive fällt schwer. Auf das Angst-Monster zu starren ist viel leichter.
Wir alle sind an dieser Situation des Weltverdammens nicht ganz unschuldig. So gut wie alles, was wir über die Welt wissen, wissen wir aus den Medien. Wir glauben einfach das, was uns jeden Tag reingeliefert, reingeklickt, weis-gemacht wird. Und deshalb haben wir keinen blassen Schimmer von der Welt. Wir glauben aber, genau Bescheid zu wissen, über alles. Wir haben ja Angst. Und Angst scheint in einer Erregungs- und Aufmerksamkeitsgesellschaft immer recht zu haben.
Nicht nur Putin freut sich drüber.

Das Erbe des Possibilismus

2017 starb Hans Rosling, der Zauberer der Welt-Statistiken. Im damals schon anschwellenden Untergangs-Pessimismus-Trend erhob dieser „schwedische Arzt“ (Wikipedia) eine humorvolle, liebevolle Stimme eines konstruktiven, kritischen Optimismus: „Hört auf zu jammern, schaut Euch die Fakten an!“. Fakten und reale Welt Entwicklungen, so Hans, werden im hypermedialen Zeitalter eigentlich gar nicht mehr gesehen. Sie werden immer aus dem Zusammenhang gerissen, oder spielen im ewigen Angst- und Moraltaumel gar keine Rolle. Hans warnte vor dem medial-kollektiven Untergangsgeschwurbel. Er hatte einen richtigen Ekel davor, fand das Negativ-Gejammer eitel, narzisstisch, uncool, gerade WEIL er die schrecklichen Dinge der Welt erlebt hatte, und seine Verantwortung darin erkannte (er war jahrelang als Arzt in den ärmsten Regionen der Welt unterwegs, unter den schwierigsten Bedingungen).

Jetzt hat Hans Rosling eine würdige Nachfolgerin gefunden. Die Schottin Hannah Ritchie hat ein wichtiges Buch über die globalen Fakten und unser Verhältnis zu Angst und Zukunft geschrieben. Es heißt „Not the End of the World” und fängt so an:

„Es ist mittlerweile üblich, Kindern zu sagen, dass sie durch den Klimawandel sterben werden. Wenn eine Hitzewelle sie nicht erwischt, kann es zu einem Waldbrand, einem Hurrikan, einer Überschwemmung oder einer Massenhungerattacke kommen.
Dennoch klingt Pessimismus immer noch intelligent und Optimismus dumm. Es ist mir oft peinlich zuzugeben, dass ich eine Optimistin bin. Ich kann mir vorstellen, dass es mich im Reputations-Vergleich um ein oder zwei Punkte zurückwirft. Aber die Welt braucht dringend mehr Optimismus. Das Problem ist, dass Menschen Optimismus mit blindem Optimismus verwechseln, dem unbegründeten Glauben, dass die Dinge einfach besser werden. Blinder Optimismus ist wirklich dumm. Und gefährlich. Wenn wir uns zurücklehnen und nichts tun, wird es nicht gut ausgehen. Optimismus bedeutet, Herausforderungen als Chancen für Fortschritte zu sehen: Es geht darum, zuversichtlich zu sein, dass es Dinge gibt, die wir tun können, um etwas zu bewirken (S. 9, engl. Fassung).“

Hannah Ritchie arbeitet beim Welt-Daten-Portal ourwoldindata als Head of Research. Auf dieser Plattform, gegründet von Max Rosen, lassen sich die großen Trends der Welt in soliden Daten und Kurven abfragen. WENN man sich dafür interessiert. Nur: Wer interessiert sich noch für das Lang- und Mittelfristige, für die wahren Trends, wenn überall das Blitzlichtgewitter der Meinungen und Schreckensmeldungen tobt, und grausame Ereignisse alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen?
Hannah Ritchie erzählt in ihrem Buch, wie sie als 18 jährige selbst vom Doomsday-Gefühl erfasst war, wie sie nicht mehr herauskam aus dem Grübeln und Verzweifeln. Und wie sie sich aus dem Korsett des negativen Denkens befreite, indem sie sich gegenüber den laufenden UND gegenlaufenden Trends öffnete.

Die falschen Rechnungen im Kopf

Hannah Ritchie zerlegt die Doomsday-Formeln, die wir ständig wie dunkle Mantras vor uns her murmeln – Artensterben, Klimakatastrophe, Bevölkerungsexplosion, Rohstoffmangel etc. –, in ihre Einzelteile: Stehen wir heute wirklich vor dem „Sechsten großen Artensterben“? Unsinn, wenn man genauer die Faktenlage betrachtet. In der Tat sinkt in manchen Ländern und Gegenden die Biodiversität. Das ist beunruhigend. Es gibt aber auch eine Menge Gegenbewegungen. Es gibt weltweit neue Aufforstungen, viele bedrohte Tierarten vermehren sich wieder prächtig. Zum Beispiel die meisten Wal-Arten.

Es gab fünf große „Extinctions“ in der Erdgeschichte. Bei einigen davon ging die Artendiversität um 90 Prozent zurück. Keine davon war von Menschen verursacht. Und immer stieg danach die Artenvielfalt weiter an.
Ist es wirklich wahr, dass die Bevölkerungsexplosion alle Ressourcen verbrauchen wird? Dass es viel zu wenig erneuerbare Energie gibt, und das postfossile Zeitalter niemals zu erreichen ist? Dass Elektroautos umweltschädlicher sind als Verbrenner? Mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiß gar nicht, dass die Bevölkerung der Erde längst nicht mehr „explodiert“. Dass die Geburtenraten auch in den ärmeren Ländern rapide gesunken sind, während die Energieeffizienz der meisten industriellen Produktionen sich vom Wachstum abgekoppelt hat.

Ist es wirklich wahr, dass Palmöl nur schädlich für die Umwelt ist?
Ist es wirklich wahr, dass die Meere durch die Überfischung bald leer sein werden?
Ist es wirklich wahr, dass wir in einer Welt leben, in die man keine Kinder setzen sollte?

Beim Lesen entsteht, wenn man sich darauf einlässt, eine interessante Kognitive Dissonanz. Man spürt, wie die einzelnen Doomsday-Narrative zu so etwas wie unseren Lieblings-Geschichten geworden sind. Wir sind regelrecht verliebt in sie. Wir verteidigen sie bis aufs polemische Messer. Untergangs-Narrative geben uns eine moralische Überlegenheit, eine überlegene Deutungsmacht. Ein negatives Größengefühl, verbunden mit einer Art Häme über die Blödheit der Menschheit, die sich gerade selbst abschafft.
Provozieren kommt vom lateinische pro-vocare. Hervorrufen, eine Reaktion erzeugen. Hanna Ritchie provoziert uns zum Beispiel wundervoll mit folgenden Sätzen:

„Ich glaube nicht, dass wir die letzte Generation sein werden. Die Beweise deuten auf das Gegenteil hin. Ich denke, wir könnten die ERSTE Generation sein. Wir haben die Chance, die erste Generation zu sein, die die Umwelt in einem besseren Zustand hinterlässt, als wir sie vorgefunden haben.“

Im Kern des Buches findet sich ein wichtiger Diskurs über die negativen Auswirkungen von Untergangs-Weltbildern:

  1. Apokalypse-Geschichten sind oft unwahr. Sie rechnen bestimmte Fehlentwicklungen in einer bizarr übertriebenen Weise hoch. Die Menschheit geht nicht unter. Beim besten Willen nicht. Zynisch könnte man sagen: Wir können uns noch so anstrengen, wir kriegen den Planeten nicht kaputt. Und uns selbst als Spezies auch nicht!
  2. Untergangs-Narrative tragen indirekt zum Zerfall wissenschaftlicher Reputation bei. Wenn Wissenschaftler (und Medien) ständig vor „Apokalyptischen Gefahren“ warnen, und die dann nicht eintreten, verlieren sie leicht ihre Glaubwürdigkeit. Das ist ein Einfallstor für Klima-Leugner, aber auch für alarmistischen Journalismus, der sich seiner fatalen Rolle gar nicht bewusst ist. „Da sieht man’s wieder, die Welt ist nicht untergegangen“, sagen die Leugner, „Es gibt in diesem Winter sogar Schnee, die Wissenschaftler haben doch keine Ahnung!“
  3. Doomsday-Gerüchte erzeugen Passivität und Zynismus und verhindern Veränderungen, die tatsächlich nötig sind.
    „Die Option des Aufgebens ist nur von einer privilegierten Situation aus möglich.“, schreibt Ritchie. Zack, das sitzt.

PS: Vorschlag zur Abschaffung eines Wortes

Ich möchte noch einen vorsichtigen Vorschlag zur Abschaffung eines Wortes machen, das unfassbar verbreitet, aber gleichzeitig ziemlich unproduktiv ist.
Geht es Ihnen auch so, dass Ihnen das Wort „Nachhaltigkeit“ schrecklich auf die Nerven geht? Es steht in jeder zweiten Zeile von Geschäftsberichten. Es geistert quer durch die Sprachwelt und leidet unter grassierendem Bedeutungsverlust. Wem auf einem Business-Kongress nichts mehr einfällt, spricht von „Nachhaltigkeit der Investitionen“. Sprich: Garantiert springt Kohle raus. Neulich sprach ein militanter Islamist davon, dass er „Menschen nachhaltig für den radikalen Islam gewinnen“ will. Nachhaltigkeit ist ein glitschiges Null-Wort geworden, ein Füllsel, das das Image des Ökologischen eher beschädigt als voranbringt. Lassen sie es sich einmal auf der Zunge zergehen: Nach-Haltig. Klingt süßlich nach Vorrats-Haltung, oder? Wir haben noch etwas im Lager und füllen die Regale wieder auf. Vorratshaltung.

To sustain heißt im Englischen „aushalten“ bzw. „ertragen“. Alles soll so bleiben wie es ist. Kein Wunder, dass man im Namen der Nachhaltigkeit eher einschläft als für eine neue, bessere Welt zu kämpfen (erfunden wurde das Wort übrigens vom sächsischen Forstrat Hans Carl von Carlowitz 1713). In seinem Traktat Sylvicultura oeconomica benutzt er es, um die Energiebedürfnisse der frühen sächsischen Minenindustrie auszudeuten – auch die „Verspargelung“ unsere Wälder als reine Rohstofflieferanten geht darauf zurück).

Mein Gegenvorschlag für ein konstruktiveres Wort: Re-Generation. Das kommende Zeitalter, THE NEXT AGE, wird re-generativ sein. Es wird uns die Energie zurückgeben, die wir im fossilen industriellen Zeitalter so „nachhaltig“ verbrauchen, so dass wir ganz erschöpft sind. Es wird die Natur üppiger denn je machen. Es wird die Generationen zusammenführen („Re-Generation“). Die zerbrochenen industriellen Lebensweisen reparieren. Das Postfossile wird wie ein Generator wirken, der jede Menge Energie erzeugt, die wir für die Zukunft brauchen.
Vorwärts ins RE-GENERATIVE ZEITALTER!
Klingt doch schon viel besser, oder?
Vielleicht brauchen wir wieder mal anregende und lustige Parolen.
Arbeiten wir dran!

„Not The End of the World“ von Hannah Ritchie erscheint auf Deutsch unter dem schönen Titel „Hoffnung für Verzweifelte“. Bei TED gibt es einen interessanten Vortrag von ihr, in charmantem Schottisch: www.ted.com