30 – Positive Intelligenz

Liebe Leser,

dieses Manifest versucht, die KÜNSTLICHE INTELLIGENZ von der Warte des Humanistischen Futurismus aus zu betrachten. Also ohne Hysterie und Hype. Der Text ist “Work in Progress” und soll demnächst veröffentlicht werden. Ich würde mich über Ihre direkte Reaktion mit Einwänden / Vorschlägen / Gedanken freuen: Email bitte an horx@horx.com.

Über die kommende Kooperation zwischen Computern und Menschen

Intelligenz ist das, was universalisiert und vorausschaut.
Teilhard de Chardin

1.

Ein Gespenst geht um in den Köpfen und Seelen, im Zukunfts-Gespräch der Gesellschaft und im Strategiediskurs der Wirtschaft. Es ist das Gespenst der KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ. Diese unbekannte Lebensform rast mit zunehmender Geschwindigkeit aus der Zukunft auf uns zu – wie Arnold Schwarzenegger als TERMINATOR. Ihre Absicht ist unklar und schwer zu erkennen. Geht es darum, Menschen zu versklaven oder gar zu eliminieren? Oder stehen wir vor einer Epoche, in der »kluge« Maschinen uns von allem Elend, allen menschlichen Nöten zu erlösen, indem die das perfekte Paradies auf Erden schaffen?
Beides wird nicht geschehen.

2.

Die Perspektive der Künstlichen Intelligenz wird von einem Größenwahn und einem Missverständnis zu verzerrt.
Im KI-Größenwahn glauben wir wahnhaft, dass eine Technologie, die wir Menschen geschaffen haben, uns gottähnliche Eigenschaften verleihen könnte – das ist der HOMO DEUS-Irrtum. Der Glaube an die ERLÖSUNGS-Fähigkeit von Technologien, vermischt mit narzisstischen Phantasien.

Das Missverständnis beruht auf dem, was Niklas Luhmann einen »Kategorienfehler« nannte. Ein Kategorienfehler ist es zu Beispiel, wenn ein Bauer versucht, Bratkartoffeln anzubauen. Wir verwechseln den menschlichen Geist mit maschinellen Funktionen. Wir sehen/gerieren uns selbst als Maschinen. Mehr noch: Wir projizieren menschliche Eigenschaften in digitale Maschinen hinein. In der ANTHROPOMORPHEN PROJEKTION vergleichen wir uns unbewusst immer wieder mit Maschinen. Und fragen: SIND WIR IHNEN ÄHNLICH?

 

3.

Um das Wesen der Künstlichen Intelligenz zu verstehen, müssen wir zwischen HARTER und WEICHER KI, sowie zwischen INTELLIGENZ und BEWUSSTSEIN unterscheiden.

Weiche KI macht uns Menschen Vorschläge für Problemlösungen. Harte KI erzeugt Strukturen, die von Menschen als Herrschaftsinstrument missbraucht werden können.

Während »Intelligenz« die Fähigkeit ist, logische Probleme mit operativen Methoden zu lösen – was Computer zunehmend besser können, man denke an das Schach- und Go-Spiel – ist Bewusstsein die Fähigkeit, auf die Komplexität der Welt durch Kreativität, Spontaneität und die Kräfte der Gefühle zu antworten. Diese Eigenschaften lassen sich nicht als (computerisierbare) FUNKTION abbilden, sondern nur durch REKURSIONEN, in denen wir mit der Welt in lebendige Verbindung treten.

© Zukunftsinstitut Horx GmbH

Wenn Computer im menschlichen Sinne der Kreativität und des Wollens »intelligent« sein sollten, müssten sie Fleisch, Schmerz und Sterblichkeit besitzen. Sie müssten LEIDEN. Dann wären sie aber keine Maschinen mehr, sondern Organismen. 

4.

DYNAMISCHE EXPERTENSYSTEME – ein besseres Wort für Künstliche Intelligenz – können uns helfen, die EFFIZIENZ komplexer Systeme zu steigern. Sie können Verkehr mobiler machen und Produktion effizienter. Sie können Diagnosen beschleunigen und sogar politische Prozesse verbessern.

Solche Systeme lösen aber nicht die Fragen der ECHTEN EFFEKTIVITÄT, die immer auf menschlicher BEURTEILUNG beruht: Wie wir Menschen heilen, was produziert werden soll, und welche Mobilitäts-Formen für die Zukunft SINNVOLL sind, hängt von Kontexten, Erfahrungen, Zielen und Aufmerksamkeiten ab, die jenseits maschineller Logik liegen. In der Gestaltung von Systemen, wenn es um eine bessere Zukunft geht, steht das WARUM des menschlichen Geistes im Vordergrund. Während das WAS und das WIE digital »verbessert« werden kann, wird das WARUM immer dringender.

Auf diese Weise verweist die KI auf uns selbst: das Aufkommen der KI fordert uns heraus, menschliche Ziele besser zu definieren.

5.

Künstliche Intelligenz wird uns helfen, menschliche Tätigkeiten überflüssig zu machen, die repetitiv, unkommunikativ und monoton sind. Dieser Prozess wird jedoch nicht LINEAR erfolgen, im Sinne einer radikalen Steigerung von Arbeitslosigkeit.

Viele Berufe beinhalten explizite oder implizite menschliche Faktoren, auch wenn sie wiederholende Tätigkeiten beinhalten. Krankenpfleger »pflegen« nicht einfach nur Kranke, sie stehen in Beziehung mit ihnen. Barkeeper schütteln nicht einfach nur Cocktails, sie moderieren Kommunikation. Journalisten produzieren nicht einfach nur Text, sie erzeugen Deutungen. Menschliche Fürsorge und Verbindung ist nicht durch Maschinen ersetzbar, auch wenn uns das in Science-Fiction-Erzählungen und digitalen Dystopien immer wieder vorgegaukelt wird.

KI wird das Berufs-Spektrum in Richtung auf höherer Komplexität verschieben. Dabei können traditionelle Berufe, die durch starke Taylorisierung betroffen sind, wieder zu ihren Ursprüngen zurückfinden. Ärzte können wieder heilen, Journalisten wieder deuten, Pfleger wieder Empathie ausüben. Handwerker wieder mit den Händen gestalten.

Gleichzeitig bringt das PRINZIP DER DIFFERENZIERUNG zahlreiche neue Tätigkeitsfeder hervor: Mediatoren und Moderatoren, Konnektoren und Kuratoren, Prozessoren, Coaches und Lebensbegleiter, Traffic-Manager und Gesundheits-Provider. Die Anzahl dieser Berufe wird die Anzahl der Jobs der Industriegesellschaft übersteigen, allerdings andere, ganzheitlichere Qualifikationen erfordern.

6.

Das ist der eigentliche provokative Aspekt der KI: Sie zwingt uns, unsere existentielle Abhängigkeit von abhängiger Lohnarbeit zur Disposition zu stellen. Die Drift ins Schöpferische erzwingt eine neue menschliche Emanzipation. Das „eherne Gesetz der Hörigkeit” (Max Weber), mit der in der Industriegesellschaft Menschen an den Lohn, an die »Arbeitsstelle« gebunden waren, zerbricht. Der schiere Überfluss an materiellen Dingen, den die KI mit sich bringen wird, entwertet die Produktion, aber sie befreit uns auch vom Joch des Produktiven. Diese Befreiung macht uns Angst, weil sie bedeutet, dass wir uns jenseits unserer Arbeit zu unserem Sein bekennen müssen. Sie befreit uns von alten Ketten, an die wir uns sklavisch gewöhnt haben.

7.

Menschen und Maschinen werden immer unterschiedlich bleiben. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Mechanischen und dem Humanen entwickelt sich der menschliche Geist und die menschliche Fähigkeit auf neuere Stufen. Wir haben nichts zu verlieren als unser inneres Maschine-Sein. Wir haben eine neue, humane Welt zu gewinnen.