42 – Wie man als Possibilist in die Zukunft schaut

Wer sich mit der Zukunft beschäftigt, wird irgendwann zwangsläufig mit der Frage nach den inneren WELTHALTUNGEN konfrontiert. Hans Rosling, der berühmte Welt-Statistiker, hat auf die Frage, ob er eher zu OPTIMISMUS oder PESSIMISMUS neige, immer den Begriff des POSSIBILISMUS benutzt. Lesen Sie hier das entsprechende Kapitel aus meinem neuen Buch 15 ½ Regeln für die Zukunft. Was ist POSSIBILISMUS? Warum ist auch der Optimismus nur eine Ideologie? Es geht um Hoffnung, Zuversicht, die Überwindung von Ängsten und Apokalypseglauben. Und die Fähigkeit, den Anfängergeist zu trainieren.

Zukunftsregel 14: Überwinde Pessimismus und Optimismus.
Werde Possibilist!

Misstraue jedem, der alles gut findet,
und dem, der alles für schlecht hält,
noch mehr aber dem, dem alles gleichgültig ist.
Johann Casper Lavater

Man erkennt erst das Wirkliche, wenn man das Mögliche überschaut.
Otto Neurath

Nach meinen Vorträgen kommen immer wieder Menschen auf mich zu und machen mir ein gefährliches Kompliment:
Ich habe Ihren Vortrag sehr genossen. Vor allem fand ich gut, dass wir alle unbedingt OPTIMISTISCHER werden müssen!

Ich freue mich sehr über solches Lob. Aber MÜSSEN wir wirklich optimistischer werden?

Optimisten, so heißt es, gehen besser, leichter, aktiver durchs Leben. Sie erzeugen bessere »Ergebnisse«, weil sie auf dem Wege der »self-fulfilling prophecy« Realitäten schaffen. Auf der sonnigen Seite des Lebens ist man kreativer, sozialer. Produktiver in jeder Hinsicht. Deshalb trommeln uns die Motivationstrainer unentwegt ihre Positiv-Botschaften ins Ohr: Du kannst fliegen! Du bist ein Adler! Glaube an Dich! Alles wird gut, wenn Du dran glaubst! Tschacka!

Pessimisten hingegen stecken uns mit ihrer dunklen Sicht der Dinge an. Sie schöpfen ihre eigene Bedeutung aus der Betonung des Negativen. Sie lehnen jede Verantwortung für die Welt durch ihre düstere Haltung ab. Pessimisten sind gefährlich für die Seele, und vor allem für die Zukunft, weil sie das Negative vorwegnehmen.
Klarer Fall. Oder?

Der Trick des Optimismus

Was meint »Optimismus« eigentlich? Natürlich, der Glaube an einen guten Ausgang. Und ist das nicht eine ganz besondere Gnade, wenn man fröhlich durch die Welt läuft und das Gute voraussetzt, das Gute im Menschen und der Welt?

Optimismus wirkt in der Tat ansteckend. Menschen mit Stimmungsproblemen sollten sich Optimisten als Freunde nehmen, das hilft besser als Pillen gegen Depression. Aber diese Ansteckung kann auch leicht in positive Hysterien umschlagen. Nehmen wir als Beispiel die Bankenkrise von 2008. Von welchem Charaktertypus wurde die Krise verursacht? Na klar. Von Optimisten! Die optimistisch davon ausgingen, dass der Boom, die Blase, unendlich weitergehen musste. In immer höhere Höhen! Damals wimmelte die Welt von jenen glühenden Auguren einer immer besseren Zukunft, eines Booms, der nie zu Ende ging. Analysten, Anleger, Banker und auch Politiker, die den rauschenden Boom so lange beschworen, bis er platzte, waren in einer autistischen Optimismus-Blase gefangen.

Auch auf der Brücke der »Costa Concordia« am 13. Januar 2012 vor der Insel Giorgio im Mittelmeer, kurz bevor das Schiff auf ein Riff lief und sank, herrschte der pure Optimismus – beim Umtrunk des Kapitäns Francesco Schettino stieß man auf das Glück und die Liebe an. Bis der Kapitän zu spät merkte, dass er sein Schiff auf ein Riff gesetzt hatte. Und sich ganz optimistisch rasch auf einem Rettungsboot davon machte, bevor das Riesen-Passagierschiff mit rund 3200 Passagieren kenterte. Ein Optimist eben.

Optimismus als »gradlinige« (lineare) Haltung hat einen hohen Preis. Man muss das Schlechte, das Schlimme, das Deprimierende ignorieren. Man darf es nicht an sich heranlassen. Das Tragische dieses Konzepts wird besonders deutlich, wenn es nicht klappt: „Vergiss alle Sorgen, werde der Titan Deines Lebens!”. Dieser Satz von Mister Motivationstrainer geht runter wie Öl. Bleibt aber auch schnell in der Kehle stecken, wenn es nicht »klappt«.

„Positive Zukunftsfantasien verleiten dazu, dass Leute den Eindruck haben, sie seien schon angekommen. Sie fühlen sich weniger energetisiert und über den systolischen Blutdruck konnten wir messen, dass sie sich tatsächlich entspannten.” Das sagt Gabriele Oettingen, die die »positivistischen« Geisteshaltungen in der Praxis untersucht hat und mit ihrem Buch „Die Psychologie des Gelingens” das Phänomen Optimismus mit der Verhaltenstherapie matcht (Gabriele Oettingen: „Die Psychologie des Gelingens“. München: Droemer 2015). Ihre Erkenntnis: Wer in seiner zuversichtlichen Grundhaltung Hindernisse ignoriert, stellt sich selbst ein kognitives Bein; er fällt über seine Selbst-Illusionen.

Es gibt viele Arte von Optimismus. Taktischen Optimismus, der nur so tut als ob. Der eigentlich zynisch ist und einem das Geld aus der Tasche ziehen will. Selbstbetrügerischen Optimismus, der einen von tiefsitzenden Schwierigkeiten ablenken will. Und narzisstischen Optimismus, der sich in Wahrheit wenig um das Wohlergehen der Welt schert, und das Lächeln eher als eine Art Zwangshaltung einübt – als Maske, hinter der man das eigene Elend verbergen kann.

Der Trick des Pessimismus

Ganz anders hingegen der Pessimismus. Ist er nicht wunderbar einfach und ehrlich? Konstatiert er nicht, dass alles schiefgehen kann, ja schiefgehen MUSS, und wir am Ende alle tot sind? Ohne Zweifel gibt es großartige Pessimisten. Denken wir an einen wunderbaren Thomas Bernhard, der in seiner negativistischen Würde so grandiose Sätze sagte wie:

„“Es ist, wie es ist – und es ist furchtbar!”

„Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst, das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen.”

„Letzten Endes kommt es nur auf den Wahrheitsgehalt der Lüge an.”

„Zum Glücklichsein braucht man eine gehörige Portion Dummheit.”

Das ist grandios, und wir alle spüren, dass uns diese Sätze in ihrer fatalistischen Größe gleich wieder ein Stückchen optimistisch macht. Bernhards Pessimismus hat Würde, Gravitas; von hier aus kann es nur noch besser werden.

Natürlich muss man einen soliden Pessimismus von schlichtweg mieser Laune oder reaktionärer Gesinnung trennen. Gute Pessimisten sind ja wirklich Wissende, die ihr Auge nicht vor dem Elend der Welt verschließen. Das Melancholische lässt vermuten, dass es über Empathie verfügt. Der gute Pessimist sagt uns, dass ihn die Welt durchaus etwas angeht. Er leidet mit der Welt, und er leidet damit auch stellvertretend mit uns allen.

Anders der Zynismus. Zynismus ist galoppierender Pessimismus, der scheinbar eine hohe Souveränität verspricht. Das Gefühl eigener Bedrohung wird mit einer Haltung der Überlegenheit beantwortet: Mich geht das nichts an, aber ich werde mich darüber amüsieren! Zynismus beinhaltet Hohn und Distanz, vor allem Distanz von sich selbst. Der Zynische erhebt sich über alle Wertungen, alle Bindungen, alles Leid. Er nimmt die Hintertür aus der Welt heraus, und lässt seine Verletzlichkeit im Dunklen.
Die vielbeschriebenen Nachteile des Pessimismus lassen sich so zusammenfassen:

  • Erstens muss der Pessimist für nichts und niemand Verantwortung übernehmen. Wenn alles sowieso zum Teufel geht, ist sowieso alles egal.
  • Zweitens hat er IMMER recht, weil seine Haltung als Warnung verstanden werden kann. Wenn es nicht so schlecht kam, wie pessimistisch prognostiziert, dann lag es IMMER daran, DASS er drastisch gewarnt hat! Das ist die Attraktivität des Prophetischen.
  • Drittens versucht der Pessimist eine innere Vermeidungs-Strategie, die ihn unverletzlich machen soll. Darin liegt die Attraktivität des Pessimistischen: Man versucht, durch die mentale Vorwegnahme von Schmerzen diese Schmerzen zu vermeiden. Wenn ich erwarte, dass es schlimm wird, dann wird es nachher weniger schlimm. Das Schlimme ist nur: Es stimmt nicht. Wie jeder weiß, der vor dem Zahnarztbesuch die Schmerzen im Vorhinein durchlebt, und zwar als katastrophal, geht das Konzept nicht auf. Es wird nur schlimmer, weil schon beim Hinsetzen auf den Zahnarztstuhl alle Nerven förmlich nach Schmerzen schreien. Ebensowenig funktioniert die Annahme, dass durch das Androhen des Schlimmeren das Bessere entsteht (Regel 11).

Gesamt gesehen steht der Pessimismus also ziemlich unerfolgreich da. Seine angebliche Erwachsenheit, eine souveräne Stärke entpuppt sich ziemlich schnell als Trick. Als Unfähigkeit, sich auf die Zumutungen des Lebens im hier und jetzt wirklich einzulassen.

Fazit: Optimismus und Pessimismus sind beide keine adäquaten Reaktionen auf die komplexe Welt. Es sind Engführungen, Reduktionen unserer mentalen Möglichkeiten, die wie Rillen in einer Schallplatte wirken, in der sich die Nadel des Lebens verfängt. In einer Zeit, als es noch Schallplatten gab.
Obwohl: Vinyl-Platten kommen wieder.

Die Kommandozentrale

In Disneys bemerkenswertem Zeichentrickfilm „Inside Out – Alles steht Kopf” wird das emotionale Konzert im Kopf eines jungen Mädchens, Riley, beschrieben. Riley zieht in einer Patchworkfamilie von einer Stadt in die andere und macht dabei widersprüchliche emotionale Erfahrungen. Die Emotionen, die in der Seele der kleinen Riley toben, sind Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel, repräsentiert durch gnomische Figuren in den entsprechenden Komplementärfarben. In dieser ständig durcheinanderschreienden Wohngemeinschaft kann man ziemlich plastisch ein menschliches Wesen beschreiben.

Unter Führung der Freude driftet Riley durch den Alltag. Aber ständig muss die Freude gegen die anderen kämpfen. Beim Schlafengehen füllen die fünf Emotionen mit bunten Kugeln über eine Rohrpost das Erinnerungszentrum (den Hippocampus) auf. Freude sorgt dafür, dass Riley glücklich ist, Angst bewahrt sie vor Schäden und Verletzungen. Wut sorgt für Gerechtigkeit und Ekel dafür, dass Riley nicht krank wird. Der Kummer wird gleich am Anfang in die Ecke gestellt, von einer ziemlich arroganten Freude, die unbedingt Kontrolle bewahren will.

Aber natürlich muss das schiefgehen. Der Kummer bricht in einer Krise aus seiner Schmollecke aus. Es kommt zu einer existentiellen Krise und einer turbulenten Jagd aller Gefühle, die sich gegenseitig ausstechen wollen. Aber es endet optimistisch: Am Ende entstehen Mischfarben. Und ein erweitertes Kontrollpult für die verschiedenen Emotionen und Wahrnehmungsformen, die sich in Riley befinden…

Natürlich ist das ein Kinderfilm, aber ein psychologisch sehr kluger. Er zeigt uns, wie unser Selbst in der Berührung mit Welt entsteht, und wie Eindimensionalitäten unserer Weltwahrnehmungen sich auflösen, wenn wir Störungen nicht unterdrücken, sondern leben. Wenn wir Emotionen präferieren oder umgehen, werden wir innerlich schief. Das erklärt eigentlich ganz gut das menschliche Leben. Und auch ganz gut die Zukunft. Denn die Geschichte – unser aller Geschichte – handelt vom Reifen, vom Erwachsenwerden, vom integrieren.

Man sieht an Rileys Story, dass rein optimistische oder pessimistische Strategien nicht funktionieren. Sie haben die Tendenz zur Instabilität – und zum Umkippen. Heraklit, der Philosoph des Wandels, hat dies das Gesetz der Enantiotropie genannt. So wird zum Beispiel aus dem apokalyptischen Warnungs-Pessimismus, der heute überall vorherrscht, schnell nackter Fatalismus und Zynismus. Oder das ganze Gutmeinen und Gutwollen kippt um in eine paranoide Angst – political correctness beschwört Verklemmungen im Namen des Moralischen. Das ganze Karussell der Verschwörungstheorien, der irren Weltbilder, der Übertreibungen und Paranoia-Phänomene wird angetrieben, wenn man sich zu sehr auf eine Erwartungshaltung festlegt. Optimismus und Pessimismus sind aber in ihrem Kern Erwartungs-Programmierungen.

Optimisten können genauso ignorant sein wie Pessimisten – den einen interessiert das Leiden nicht, den anderen nicht das Glück. Was beiden gleichermaßen zu eigen ist, ist die Entschlossenheit, sich nicht auf die wirkliche Welt einzulassen. Optimismus und Pessimismus sind im Grunde nur Strategien, sich der Welt und ihrem Wandel zu entziehen. Und die Zukunft zu leugnen.

Optipessimistische Rekursion

Winston Churchill war ein übelgelaunter, von Depression umwehter Mensch; heute würde ihm wahrscheinlich eine bipolare Störung bescheinigt, plus sozial destruktiver Unleidlichkeit. Er rettete Europa vor den Nazis und motivierte seine Engländer wie niemand es für möglich gehalten hätte: mit Reden, die nichts als die finstere, pessimistische Wahrheit sagten. Und trotzdem wirkten diese Reden wie Balsam, sie trösteten und motiviert, ja sie machten die Engländer zukunftsoptimistisch. Warum?

Warum kann uns traurige Musik glücklich machen? Liila Taruffi und Stefan Koelsch von der Freien Universität Berlin befragten 772 Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu ihren Musikvorlieben. Die Studie zeigt, dass einige Menschen davon profitieren, traurige Musik zu hören. Traurige Klänge bei Trauerprozessen erzeugen einen Selbstheilungs-Prozess, indem sie eine Mischung aus Freude und Trauer hervorrufen – positive Nostalgie.
https://journals.plos.org/plosone/

Churchill ließ sich in seiner düsteren Aussicht auf »seine Engländer« ein, er trat in eine Beziehung zu ihnen, die ehrlich und authentisch war. Seine Sorge berührte die Menschen, und das setzte positive Energien frei – den Willen zum Durchhalten, zur Solidarität, zum Widerstand. In der Musik machen wir bestimmte Gefühle spürbar, die ansonsten in uns »herumgeistern« – und genau das erlöst diese Gefühle.

Todd Kashdan and Robert Biswas-Diener, zwei amerikanische Psychologen, haben über die positive Verschränkung von Optimismus und Pessimismus ein Buch geschrieben. Pessimismus kann sich tatsächlich in negativen Affekten wie Aggression, Feindseligkeit und Verachtung ausdrücken. Aber eben auch in Eigenschaften wie kritischem Denken, Vorsicht, Sensibilität und – Achtsamkeit (Todd Kashdan, Robert Biswas-Diener: The Upside of Your Dark Side: Why Being Your Whole Self–Not Just Your „Good“ Self–Drives Success and Fulfillment. New York: Penguin Random House LLC 2014).

Negative Gefühle machen besseres Teamwork. Der größte Feind des Gruppenlebens sind klebrige Harmonie-Erwartungen, Idealisierungen, die in »euphorischen Gruppen« zwangsläufig entstehen und die Mitglieder davon abhalten, klare Erwartungen und Grenzen zu formulieren. Das führt immer in den Frust. Eine Skepsis, die sich mit Achtsamkeit verbindet, klärt hingegen den Blick auf die soziale Dynamik. Man nimmt die anderen tatsächlich wahr, und reagiert weder übertrieben beleidigt noch irreal euphorisch. Erst das macht eine Gruppe zukunftsfähig. Sie entwickelt Regelkreise, die ihr erlauben, sich in komplexen Situationen zu stabilisieren.

“The most successful and innovative teams are the ones that have a leadership that creates a healthy balance between negative and positive emotions. If you have a team that focuses only on the positive then they just agree with each other and look for points that they share and not points of difference.”
Rebecca Mitchell, Behavior Expert und Professor an der Newcastle Business School Mitchell, im Artikel „Inspirational leadership, positive mood, and team innovation“ im Journal of Human Resource Management 2019.

Sanfte Negativität macht bessere Beziehungen. Überschwänglicher Optimismus in Liebesbeziehungen führt irgendwann in eine Abwertungs- und Enttäuschungs-Spirale: Du bist ja doch nicht der, den ich mir so optimistisch vorgestellt habe! Eine bestimmte Form der liebevollen Skepsis wirkt eher stabilisierend (das »Journal of Personality and Social Psychology« 2013). Das passt auch zu der Beobachtung, dass Paare, die eine besonders romantische Hochzeit inszenierten, mit extremen »Glücks-Beschwörungen«, häufiger in eine Frustration oder gar Scheidung hineinschlittern.

Kritisches Denken hilft bei Prüfungen. Studenten, die sich vor einer Prüfung besonders optimistisch fühlten, übten weniger und versanken bei einem unerwartet schlechten Ergebnis in einem emotionalen Loch, während sich moderat pessimistische Kommilitonen besser vorbereiteten und danach schneller die Prüfung wiederholten (Gabriele Oettingen: „Die Psychologie des Gelingens“. München: Droemer 2015).

Pessimismus verlängert das Leben: Wer Optimist ist, lebt länger und gesünder. Sagt man. Ist aber falsch. In einer Studie von Frieder Lang von der Universität Erlangen-Nürnberg hatten gestandene Optimisten im Schnitt mehr gesundheitliche Probleme, wenn sie älter wurden. Sie litten mehr unter Depressionen, Angst und Verzweiflung, wenn sie mit Einschränkungen der Gesundheit konfrontiert wurden, entwickelten mehr Krankheiten und Behinderungen als die Realisten und Pessimisten, die sich mit ihren Einschränkungen abfanden und sich auf sie vorbereiteten.

Der Ur-Pessimist Schopenhauer wurde übrigens uralt bei hoher Gesundheit.
http://www.diw.de/de/diw_01.c.416554.de/themen_nachrichten/soep_studie_pessimisten_leben_laenger.html

Wer an den Tod denkt, findet leichter zum Glück.

Thinking about death could be considered the most negative of thoughts, but in a study published in the Journal of Positive Psychology, researchers from Eastern Washington University and Hofstra University found that when participants visualized their own death using real-life scenarios, such as dying in an apartment fire, they better recognized their own mortality and increased their feelings of gratitude.
„Death reflection—focusing in a specific and vivid way on one’s death—significantly enhanced state gratitude compared to subjects that did not think about their own mortality,“ the report says. „When one is fully confronted with the reality that life ‘might not be’, life itself is seen as a limited resource that one is not entitled to, and thus appreciation for life increases.”

Was verbindet diese Beispiele? Konstruktive Lebenshaltungen – im Sinne von Zukunfts-Kompetenz – können nur entstehen, wenn wir uns emotional in Bewegung halten. Gefühle sind dazu da, unterschiedliche Lebens-Situationen zu bewältigen – deshalb sind sie so widersprüchlich, ja bisweilen regelrecht paradox. Wut soll in Kampfsituationen helfen, Neid spornt an. Ärger motiviert – richtig eingesetzt – zu Veränderungen. Der Pessimist und der Optimist fixieren sich jedoch immer auf einen Ausgang. Sie verengen ihr Reaktionsspektrum und geraten dadurch in Starrheit.
Gerüstete Achtsamkeit hält das Schlechte für jederzeit möglich, aber geht nicht, wie der ordinäre Pessimismus, vom Schlechten aus. Chris Hadfield, der kanadische Astronaut, der 2012 das schöne Lied vom »Major Tom« auf der ISS, der Internationalen Raumstation intonierte, schrieb in seinem Buch „Anleitung zur Schwerelosigkeit“:

„Mein Optimismus… beruht nicht auf dem Glauben, mehr Glück zu haben als andere, auch nicht darauf, dass ich Erfolge imaginiere. Er ist die Folge davon, dass ich mir immer wieder vorgestellt habe, zu scheitern – und dann überlegt habe, wie ich das vermeiden kann.”

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Hoffnung versus Zuversicht

Im April 1970 flogen drei Astronauten zum Mond. Es war die dritte Mondlande-Expedition, die öffentliche Aufmerksamkeit war schon etwas ermüdet. Nachdem sich die Ausflüge in Staub und Kratern schon als eine Art Spaziergang und der Flug mit der Apollo-Kapsel als Abarbeiten von Manualen erwiesen hatten, schien alles schon Routine. Umso grösser war der Schock, als auf halbem Wege zum Erdtrabanten ganze Teile des Raumschiffs Apollo 13 explodierten, darunter mehrere Sauerstofftanks. Die Astronauten überlebten nur knapp in einem schrottreifen manövrierunfähigen Modul, das stündlich und minütlich Luft und Energie verlor. Drei Stunden nach dem Unglück, als Jack Swigert, Jim Lovell und Fred Haise immer noch unstabil in ihrer Schrottkapsel durchs All taumelten, hielt der Chef von Mission Control, Gene Kranz, eine Rede an seine übernächtigte Boden-Mannschaft:

When you leave this room, you must leave believing that this crew is coming home. I don’t give a damn about the odds and I dont give a damn that we’ve never done anything like this before…. You got to believe, your people have got to believe, that this crew is coming home!

Zitiert nach Anthony Brandt, David Eagleman: The Runaway Species: How Creativity Remakes the World

Siehe auch den wunderbaren Film Mission Control – The Unsung Heroes of Apollo von David Fairhead und die Verfilmung des Apollo-13-Dramas mit Tom Hanks.

Diese kurze Rede wirft ein Licht auf eine weitere Differenzierung, die wir zum besseren Verständnis unserer inneren Zukunft gut brauchen können:

Hoffnung / Zuversicht

Was ist der Unterschied? Hätte Gene Kranz auf Hoffnung pur gesetzt, hätte er in einem theatralischen Akt das Leben der Crew in Gottes Hand gelegt: Amen! Wir werden tun, was wir können, aber…

„Hoffnung”, sagte Francis Bacon, „ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendessen&rquo;. „Hoffnung ist der große Bruder der Verblödung” – spitzt das die traurig-erleuchtete Kolumnistin Sibylle Berg zu. Im Zustand der Hoffnung sind wir »in Erwartung«. Wir neigen eher zu Passivität, weil wir erwarten, dass „etwas über uns kommt”.

Zuversicht bezieht dagegen uns selbst, unsere Handlungen, ein in die Erwartungen. Während Hoffnung uns eher zur Passivität verdammt, nimmt uns Zuversicht in die direkte Verantwortung. Sie bildet eine Verbindung zur Zukunft, in der wir eine wahrhaftige Rolle spielen. In der Zuversicht können wir auch das Dunkle, Schreckliche ansehen, ohne dass es von uns Besitz ergreift.

Es geht um unser Sehen. Um die Verbindung zur Zukunft.

Hoffnung ist Glauben an einen Ausgang, der eigentlich schon feststeht, weil unsere Fähigkeiten begrenzt sind. Zuversicht hingegen lässt uns in eine Selbstveränderung hineinwachsen. Sie lässt das Zukünftige, also unsere erweiterten Fähigkeiten, in uns selbst wachsen.

Hoffnung ist ein Gefühl. Es geht von einer eher traurigen Ausgangslage aus. Wir navigieren hilflos auf einem Ozean, in der Sehnsucht nach Rettung. Wir suchen „Licht im Dunkeln”.

Zu-Versicht ist hingegen ein Wissen. Eine Gewissheit darüber, dass unsere Gefühle sich im Verlauf der Erfahrungen ändern können, dass sie adaptiv sind, dass wir im Leben auf das Leben reagieren.

Wenn ich an den Tod denke und Hoffnung habe, dann glaube ich entweder, dass ich ins ewige Leben übergehe. Oder dass es „ganz schnell geht und nicht wehtut”. Beides ist letztlich beklemmend.

Wenn ich zuversichtlich bin, weiß ich, dass sich etwas in mir wandeln wird – an den Tod anpassen wird. Dass ich ihn er-lebe im Sinne einer Transformation.

Zuversicht vertraut der Allostase – jenem fließenden Prozess, der aus Wandel etwas Ganzes macht. Das Konzept der Allostase wird von Sterling und Eyer im Jahre 1988 im Unterschied zur Homöostase definiert. – der Art und Weise, wie Menschen sich im Gleichgewicht halten. Stasis meint »Verankerung«, Das griechische »Allo« hingegen bezeichnet das Variable, die Veränderung; also „Stabilität durch Wandel”. In der Systemsprache nennt man das auch Emergenz.

Die Welt »erwacht«, wenn wir in ihr handeln, wenn sich »Mind« und Welt begegnen – und etwas Neues schaffen.

Zum Beispiel, lebende Astronauten zurück auf die Erde zu bringen.

Siehe z.B:
Robert A Wilson; Lucia Foglia (July 25, 2011). Edward N. Zalta (ed.). „Embodied Cognition: §2.2 Enactive cognition“. The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2011 Edition).
Gallagher, Shaun (2017). Enactivist Interventions: Rethinking the Mind. Oxford University Press. ISBN 978-0198794325
Niklas Luhmann (1995). Social systems. Stanford University Press. ISBN 9780804726252.

Possibilismus: Die Entkatastrophierung der inneren Welt

Geben wir also das Entweder-Oder-Spiel, das Hin- und Hertaumeln zwischen Optimismus und Pessimismus auf. Beides sind im Grunde verengte Welthaltungen, die uns auf Dauer unglücklich machen. Pessimismus führt irgendwann zu Bösartigkeit und Verbitterung. Optimismus führt zu fürchterlichen Enttäuschungen mit Depressionsgarantie – und einer manchmal sehr komplizierten Form von Beleidigt sein.

Wenden wir uns lieber einer Zukunftshaltung zu, die Hans Rosling als »Possibilismus« bezeichnete: Die Welthaltung des Möglichen.

Ein erster entschiedener Vorteil des Possibilismus ist, dass er Unsicherheiten nicht nur ertragen, sondern umarmen kann. Er sucht geradezu nach ihnen. Er macht – siehe Regel 9 – das Problem zur Lösung. Ein Possibilist muss aber nicht immer alles sofort »lösen«. Er setzt auf die Potentialität von Prozessen. Auf die Latenz der Dinge. Er befreit sich vom ständigen Bewertungszwang (Regel 8). Er sieht, dass (bessere) Zukunft oft aus langsamer, manchmal auch harter Klärung entsteht. Unschärfen und Ambivalenzen sind ein notwendiger Zwischenschritt. Wir handeln uns sozusagen in die Entwicklung hinein, wie bahnen den Weg beim Gehen.

Mit anderen Worten: Possibilismus ist der Umgang mit Unwägbarkeiten und Unsicherheiten auf einer vertrauensvollen Basis mit sich selbst.

Der zweite Grund-Faktor des Possibilismus ist die Dankbarkeit. Viele verwechseln das mit Demut. Aber es geht nicht um Unterwerfung, sondern darum, das, was schon gelungen ist, anzuerkennen. Das meinte Hans Rosling auch mit seinem Zorn gegen den Pessimismus: Ihn regte die Undankbarkeit auf, mit der viele Menschen das, was gelingt, vom Tisch wischen. Darin sah er eine spezifische Form der Undankbarkeit, der seelischen Kälte. In Dankbarkeit manifestiert sich unsere grundlegende Verbundenheit zur Welt, und zur Zukunft:

„Unsere öffentliche Kultur leidet unter einer Verfemung der Dankbarkeit in fast allen kulturellen Hinsichten. Anspruchsberechtigte sind prinzipiell undankbar; und die gesamte mediale Welt, in gleichschrittiger Eintracht mit fast allen NGO, ist darauf programmiert, Ansprüche ins Absurde weiterzutreiben oder immer neue zu erfinden. Freilich ist die Haltung «Ich schulde nichts, daher muss ich nichts rückerstatten» für jede Kultur selbstmörderisch, für eine politische Gemeinschaft sowieso.”
Der Historiker Ego Flaig in der NZZ vom 7.8.2017

Diese vorwärts gerichtete Dankbarkeit knüpft an dem an, was ich in der Regel 3 als Verbundenheit von Vergangenheit und Zukunft bezeichnet habe. In ihrem Kern liegt das Staunen. Possibilismus setzt auf das, was Spinoza Conatus, nannte – die essentielle Kraft, mit der alle Dinge durch Wandel andauern wollen. Entropie ist vielleicht das end-gültige Prinzip der Welt. Aber die Gegenkraft, das Schöpferische, das Komplexe, ist ebenso ewig.

Possibilismus bedeutet, das Leiden, dem Abgrund, über den das Leben gebaut ist, anzunehmen. Das heißt, dass Possibilismus auch in der Not funktioniert, die man nicht ignorieren kann. Dass wir das Ganze wahrnehmen können, nicht nur eine Seite. Rem Kohlhaas, der Architekt nannte das in einem Interview „ein freudvolles Verhältnis zur Realität“.

Possibilismus bedeutet: Der Glaube, dass eine bessere Zukunft nicht nur möglich, sondern evident ist. Die Logik des Möglichen erlaubt uns jene innere Frische, die lebendige Spannung, die uns nicht wirklich altern lässt. Wer mehr davon wissen möchte, dem empfehle ich das Buch meines Freundes Dr. Michael Lehofer: Alter ist eine Illusion: Wie wir uns von den Grenzen im Kopf befreien.

Possibilismus bedeutet: Ehrlich vom Leben überrascht werden können.

Zukunftsübung Nummer 14: Üben Sie konstruktive Gelassenheit

Einer wirklichen possibilistischen Grundhaltung nähern wir uns am ehesten mit weltlichen Formen der Meditation. Es geht ja darum, zunächst einmal unseren Geist, der ständig irgendetwas festlegen will, zu beruhigen. Ihn sozusagen aus der Schusslinie zu nehmen, damit er wieder funktionieren kann.

Possibilismus ist einerseits Erwachsenwerden, andererseits aber auch- paradoxerweise – die Wiederentdeckung des Kindlichen, den Anfänger-Geist trainieren (Zenmeister Shunryu Suzuli: Zen-Geist – Anfänger-Geist: Unterweisungen in Zen-Meditation).

Possibilismus handelt von der Welt als ein Möglichkeitsraum, in dem die Dinge einen überraschenden Verlauf nehmen können – entgegen aller Klischees und Vor-Einstellungen. Es geht also eigentlich um die Wahrnehmung des Neuen. Es ist auch eine WEIBLICHE Haltung, weil es vor allem die Kontinuität sieht und würdigt, die das Leben durchziehen. Nützlich ist eine bestimmte Form des nicht-zynischen Humors, der Lakonie, die uns erlaubt, im Paradoxen zu funktionieren. Denn nur das Paradoxe ist komplex genug, um interessant zu sein.

Hier eine sehr schöne Wort-Meditation aus der Feder der amerikanischen Autorin Anne Lamott:

1. All truths are paradox. Life is both a precious and an impossible gift. Its filled simultaneously with heartbreaking sweetness and beauty, desperate poverty, floods and babies and Mozart, all swirled together. I don‘t think it’s an ideal system.

2. Almost everything will work again, if you unplug it for a few minutes. Including You.